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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
jenige, dessen Freiheit in Frage steht, beschuldigt wird, seine Ver-
wandten getödtet zu haben, um den Beweis der Knechtschaft zu er-
schweren 51. Die Lex Angliorum gestattet der Witwe, die beschuldigt
wird, ihren Mann durch Gift getötet zu haben, den Pflugscharen-
gang, wenn sie keinen Vertreter im Zweikampf finden kann 52. Eine
altbairische Synode schreibt das heisse Eisen als Unschuldsprobe für
Giftmischer und Zauberer vor 53. Als Reinigungsmittel der Rügezeugen
gegen begründeten Verdacht des Meineids kennt es das kirchliche
Sendgerichtsverfahren 54.

3. Die Wasserprobe, examen aquae frigidae. Der Beweis-
führer wurde mit gebundenen Händen, ein Seil um den Leib, auf
den Wasserspiegel gelegt 55. Blieb er schweben, verweigerte die reine
Flut, ihn aufzunehmen, so galt er für schuldig; sank er unter,
so galt er für schuldlos 56. Das Wasserordal ist nachmals insbesondere
als Hexenprobe im Gebrauch. Eine solche kennt aber schon der
Pactus Alamannorum 57; wahrscheinlich war sie das Wasserordal. Aus

51 Cap. legg. add. v. J. 803, c. 5, I 113.
52 Lex Angl. c. 55. Alternativ erbietet sich Richgardis zu Zweikampf (durch
einen Vertreter) oder Pflugscharengang bei Regino, Chron. z. J. 887 (ed. Kurze
1890, S. 127).
53 Can. Risp. etc. III 9, LL III 475.
54 Sendrecht der Mainwenden, Dove, Z. f. KR IV 160 f. Vgl. Cap. Pipp.
800--810 (?), c. 4, I 208.
55 Hinkmar, De divortio Loth. et Tetbergae interr. 6, Migne, Patrol. lat. 125,
Sp. 668: colligatur autem fune qui examinandus in aquam dimittitur ... Qui ob
duas causas colligari videtur, scilicet ne aut aliquam possit fraudem in iudicio fa-
cere, aut si aqua illum velut innoxium receperit, ne in aqua periclitetur, ad tempus
valeat retrahi.
56 Hinkmar a. O. Sp. 669: quia pura natura aquae naturam humanam, per
aquam baptismatis .. purgatam, iterum mendacio infectam, non recognoscit puram
et ideo eam non recipit, sed rejicit ut alienam. Wenn einzelne jüngere Weistümer,
welche Grimm, RA S. 924 f., anführt, den Erfolg der Probe umkehren, so kann
daraus kein Schluss auf die ursprüngliche Auffassung des Ordals gezogen werden.
Das Untersinken gilt, wie nach den älteren germanischen Quellen, auch bei den
Indern als Beweis der Unschuld. Friedrich II. sagt in seinen Const. regni Sic.
II 31: reum .. asserunt ab aquae frigidae elemento non recipi, quem submergi
potius aeris competentis retentio non permittit. Nach Aethelstan II 23, einer Stelle,
die ich mit der vetus versio auf die Wasserprohe und nicht auf den Kesselfang
beziehe, soll der Körper des Beweisführers anderthalb Ellen tief untertauchen.
57 Pactus II 35: si in clinata (auf die Hürde, wo sie verbrannt werden soll)
misa non fuerit (die Freie, welche als Hexe ergriffen worden ist) et prisa et
temptata fuerit, 40 solidos componat. Der folgende Satz: et si in clita misa
non fuerit, 6 solidos solvat, ist verstümmelt; es fehlen, wie sich aus der Busse er-
giebt, die Worte nec temptata.

§ 106. Die Gottesurteile.
jenige, dessen Freiheit in Frage steht, beschuldigt wird, seine Ver-
wandten getödtet zu haben, um den Beweis der Knechtschaft zu er-
schweren 51. Die Lex Angliorum gestattet der Witwe, die beschuldigt
wird, ihren Mann durch Gift getötet zu haben, den Pflugscharen-
gang, wenn sie keinen Vertreter im Zweikampf finden kann 52. Eine
altbairische Synode schreibt das heiſse Eisen als Unschuldsprobe für
Giftmischer und Zauberer vor 53. Als Reinigungsmittel der Rügezeugen
gegen begründeten Verdacht des Meineids kennt es das kirchliche
Sendgerichtsverfahren 54.

3. Die Wasserprobe, examen aquae frigidae. Der Beweis-
führer wurde mit gebundenen Händen, ein Seil um den Leib, auf
den Wasserspiegel gelegt 55. Blieb er schweben, verweigerte die reine
Flut, ihn aufzunehmen, so galt er für schuldig; sank er unter,
so galt er für schuldlos 56. Das Wasserordal ist nachmals insbesondere
als Hexenprobe im Gebrauch. Eine solche kennt aber schon der
Pactus Alamannorum 57; wahrscheinlich war sie das Wasserordal. Aus

51 Cap. legg. add. v. J. 803, c. 5, I 113.
52 Lex Angl. c. 55. Alternativ erbietet sich Richgardis zu Zweikampf (durch
einen Vertreter) oder Pflugscharengang bei Regino, Chron. z. J. 887 (ed. Kurze
1890, S. 127).
53 Can. Risp. etc. III 9, LL III 475.
54 Sendrecht der Mainwenden, Dove, Z. f. KR IV 160 f. Vgl. Cap. Pipp.
800—810 (?), c. 4, I 208.
55 Hinkmar, De divortio Loth. et Tetbergae interr. 6, Migne, Patrol. lat. 125,
Sp. 668: colligatur autem fune qui examinandus in aquam dimittitur … Qui ob
duas causas colligari videtur, scilicet ne aut aliquam possit fraudem in iudicio fa-
cere, aut si aqua illum velut innoxium receperit, ne in aqua periclitetur, ad tempus
valeat retrahi.
56 Hinkmar a. O. Sp. 669: quia pura natura aquae naturam humanam, per
aquam baptismatis .. purgatam, iterum mendacio infectam, non recognoscit puram
et ideo eam non recipit, sed rejicit ut alienam. Wenn einzelne jüngere Weistümer,
welche Grimm, RA S. 924 f., anführt, den Erfolg der Probe umkehren, so kann
daraus kein Schluſs auf die ursprüngliche Auffassung des Ordals gezogen werden.
Das Untersinken gilt, wie nach den älteren germanischen Quellen, auch bei den
Indern als Beweis der Unschuld. Friedrich II. sagt in seinen Const. regni Sic.
II 31: reum .. asserunt ab aquae frigidae elemento non recipi, quem submergi
potius aëris competentis retentio non permittit. Nach Aethelstan II 23, einer Stelle,
die ich mit der vetus versio auf die Wasserprohe und nicht auf den Kesselfang
beziehe, soll der Körper des Beweisführers anderthalb Ellen tief untertauchen.
57 Pactus II 35: si in clinata (auf die Hürde, wo sie verbrannt werden soll)
misa non fuerit (die Freie, welche als Hexe ergriffen worden ist) et prisa et
temptata fuerit, 40 solidos componat. Der folgende Satz: et si in clita misa
non fuerit, 6 solidos solvat, ist verstümmelt; es fehlen, wie sich aus der Buſse er-
giebt, die Worte nec temptata.
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[410/0428] § 106. Die Gottesurteile. jenige, dessen Freiheit in Frage steht, beschuldigt wird, seine Ver- wandten getödtet zu haben, um den Beweis der Knechtschaft zu er- schweren 51. Die Lex Angliorum gestattet der Witwe, die beschuldigt wird, ihren Mann durch Gift getötet zu haben, den Pflugscharen- gang, wenn sie keinen Vertreter im Zweikampf finden kann 52. Eine altbairische Synode schreibt das heiſse Eisen als Unschuldsprobe für Giftmischer und Zauberer vor 53. Als Reinigungsmittel der Rügezeugen gegen begründeten Verdacht des Meineids kennt es das kirchliche Sendgerichtsverfahren 54. 3. Die Wasserprobe, examen aquae frigidae. Der Beweis- führer wurde mit gebundenen Händen, ein Seil um den Leib, auf den Wasserspiegel gelegt 55. Blieb er schweben, verweigerte die reine Flut, ihn aufzunehmen, so galt er für schuldig; sank er unter, so galt er für schuldlos 56. Das Wasserordal ist nachmals insbesondere als Hexenprobe im Gebrauch. Eine solche kennt aber schon der Pactus Alamannorum 57; wahrscheinlich war sie das Wasserordal. Aus 51 Cap. legg. add. v. J. 803, c. 5, I 113. 52 Lex Angl. c. 55. Alternativ erbietet sich Richgardis zu Zweikampf (durch einen Vertreter) oder Pflugscharengang bei Regino, Chron. z. J. 887 (ed. Kurze 1890, S. 127). 53 Can. Risp. etc. III 9, LL III 475. 54 Sendrecht der Mainwenden, Dove, Z. f. KR IV 160 f. Vgl. Cap. Pipp. 800—810 (?), c. 4, I 208. 55 Hinkmar, De divortio Loth. et Tetbergae interr. 6, Migne, Patrol. lat. 125, Sp. 668: colligatur autem fune qui examinandus in aquam dimittitur … Qui ob duas causas colligari videtur, scilicet ne aut aliquam possit fraudem in iudicio fa- cere, aut si aqua illum velut innoxium receperit, ne in aqua periclitetur, ad tempus valeat retrahi. 56 Hinkmar a. O. Sp. 669: quia pura natura aquae naturam humanam, per aquam baptismatis .. purgatam, iterum mendacio infectam, non recognoscit puram et ideo eam non recipit, sed rejicit ut alienam. Wenn einzelne jüngere Weistümer, welche Grimm, RA S. 924 f., anführt, den Erfolg der Probe umkehren, so kann daraus kein Schluſs auf die ursprüngliche Auffassung des Ordals gezogen werden. Das Untersinken gilt, wie nach den älteren germanischen Quellen, auch bei den Indern als Beweis der Unschuld. Friedrich II. sagt in seinen Const. regni Sic. II 31: reum .. asserunt ab aquae frigidae elemento non recipi, quem submergi potius aëris competentis retentio non permittit. Nach Aethelstan II 23, einer Stelle, die ich mit der vetus versio auf die Wasserprohe und nicht auf den Kesselfang beziehe, soll der Körper des Beweisführers anderthalb Ellen tief untertauchen. 57 Pactus II 35: si in clinata (auf die Hürde, wo sie verbrannt werden soll) misa non fuerit (die Freie, welche als Hexe ergriffen worden ist) et prisa et temptata fuerit, 40 solidos componat. Der folgende Satz: et si in clita misa non fuerit, 6 solidos solvat, ist verstümmelt; es fehlen, wie sich aus der Buſse er- giebt, die Worte nec temptata.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/428>, abgerufen am 25.11.2024.