Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 106. Die Gottesurteile. den fränkischen Rechtsquellen erfahren wir von der Anwendung derWasserprobe erst durch ein Kapitular Ludwigs I., v. J. 829, welches die Wasserprobe, die man bisher geübt hatte, verbietet 58. Sie sollte damit nicht schlechtweg abgeschafft werden 59, sondern nur in der früher üblichen Form nicht mehr zulässig sein. Das Verbot hängt vermutlich mit einer Nachricht zusammen, welche die überlieferten Formeln des Wasserordals regelmässig an ihre Spitze stellen. Darnach sei das Ritual der Wasserprobe von Papst Eugen II. festgestellt und von Ludwig I. acceptiert worden 60. Wahrscheinlich war eine autorisierte christliche Form des Wasserordals nicht vorhanden oder haben die vorhandenen Formen Bedenken veranlasst. Ludwig mag sich deshalb an den Papst Eugen II. (824 bis 827) gewendet haben. Als ein päpst- lich autorisiertes Ritual vorhanden war, erfolgte 829 das Verbot der älteren Formen 61. 4. Das Bahrgericht 62, Bahrrecht, Scheines 63 Recht, Schein- 58 Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 12, II 16: ut examen aquae frigidae, quod actenus faciebant, a missis nostris omnibus interdicatur, ne ulterius fiat. Vgl. Cap. ab ep. in placito tractanda v. J. 829, c. 5, II 7. 59 So hat aber schon Hinkmar a. O. S. 671 das Verbot aufgefasst: nec prae- tereundum, quia legimus in capitulis Augustorum fuisse vetitum frigidae aquae iudi- cium, sed non in illis synodalibus, quae de certis accepimus synodis (in einem Cap. missorum, nicht in capitula synodalia). 60 Zeumer, Formulae S. 617 ff. So heisst es in Nr. 14: istum iudicium crea- vit omnipotens Deus, quia verus est et quia domnus Eugenius papa constituit eum et domnus imperator Ludovicus voluit illum observare et transmisit ei istum dilu- culum, ut eum observaret. Istum faciant episcopi, abbates et comites et est con- stitutus in omnem regionem nostram. 61 Eine Anwendung des Wasserordals bezeugen die Annales Bertiniani z. J. 876, rec. Waitz S. 132: Hludowicus .. decem homines aqua calida et decem ferro calido et decem aqua frigida ad iudicium misit coram eis, qui cum illo erant, pe- tentibus omnibus, ut Deus in illo iudicio declararet, si plus per rectum ille deberet habere portionem de regno ... Qui omnes inlaesi reperti sunt. 62 Grimm, RA S. 930 f., mit handschriftlichen Nachträgen. Noordewier S. 443. Osenbrüggen, Studien zur deutschen und schweiz. RG 1868, S. 327 ff. Patetta S. 196. Über einen verwandten Aberglauben siehe oben I 82. 63 Schein ist der Leichnam oder die von ihm als Beweiszeichen der That ab-
genommene Hand. § 106. Die Gottesurteile. den fränkischen Rechtsquellen erfahren wir von der Anwendung derWasserprobe erst durch ein Kapitular Ludwigs I., v. J. 829, welches die Wasserprobe, die man bisher geübt hatte, verbietet 58. Sie sollte damit nicht schlechtweg abgeschafft werden 59, sondern nur in der früher üblichen Form nicht mehr zulässig sein. Das Verbot hängt vermutlich mit einer Nachricht zusammen, welche die überlieferten Formeln des Wasserordals regelmäſsig an ihre Spitze stellen. Darnach sei das Ritual der Wasserprobe von Papst Eugen II. festgestellt und von Ludwig I. acceptiert worden 60. Wahrscheinlich war eine autorisierte christliche Form des Wasserordals nicht vorhanden oder haben die vorhandenen Formen Bedenken veranlaſst. Ludwig mag sich deshalb an den Papst Eugen II. (824 bis 827) gewendet haben. Als ein päpst- lich autorisiertes Ritual vorhanden war, erfolgte 829 das Verbot der älteren Formen 61. 4. Das Bahrgericht 62, Bahrrecht, Scheines 63 Recht, Schein- 58 Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 12, II 16: ut examen aquae frigidae, quod actenus faciebant, a missis nostris omnibus interdicatur, ne ulterius fiat. Vgl. Cap. ab ep. in placito tractanda v. J. 829, c. 5, II 7. 59 So hat aber schon Hinkmar a. O. S. 671 das Verbot aufgefaſst: nec prae- tereundum, quia legimus in capitulis Augustorum fuisse vetitum frigidae aquae iudi- cium, sed non in illis synodalibus, quae de certis accepimus synodis (in einem Cap. missorum, nicht in capitula synodalia). 60 Zeumer, Formulae S. 617 ff. So heiſst es in Nr. 14: istum iudicium crea- vit omnipotens Deus, quia verus est et quia domnus Eugenius papa constituit eum et domnus imperator Ludovicus voluit illum observare et transmisit ei istum dilu- culum, ut eum observaret. Istum faciant episcopi, abbates et comites et est con- stitutus in omnem regionem nostram. 61 Eine Anwendung des Wasserordals bezeugen die Annales Bertiniani z. J. 876, rec. Waitz S. 132: Hludowicus .. decem homines aqua calida et decem ferro calido et decem aqua frigida ad iudicium misit coram eis, qui cum illo erant, pe- tentibus omnibus, ut Deus in illo iudicio declararet, si plus per rectum ille deberet habere portionem de regno … Qui omnes inlaesi reperti sunt. 62 Grimm, RA S. 930 f., mit handschriftlichen Nachträgen. Noordewier S. 443. Osenbrüggen, Studien zur deutschen und schweiz. RG 1868, S. 327 ff. Patetta S. 196. Über einen verwandten Aberglauben siehe oben I 82. 63 Schein ist der Leichnam oder die von ihm als Beweiszeichen der That ab-
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§ 106. Die Gottesurteile.
den fränkischen Rechtsquellen erfahren wir von der Anwendung der
Wasserprobe erst durch ein Kapitular Ludwigs I., v. J. 829, welches
die Wasserprobe, die man bisher geübt hatte, verbietet 58. Sie sollte
damit nicht schlechtweg abgeschafft werden 59, sondern nur in der früher
üblichen Form nicht mehr zulässig sein. Das Verbot hängt vermutlich
mit einer Nachricht zusammen, welche die überlieferten Formeln des
Wasserordals regelmäſsig an ihre Spitze stellen. Darnach sei das
Ritual der Wasserprobe von Papst Eugen II. festgestellt und von
Ludwig I. acceptiert worden 60. Wahrscheinlich war eine autorisierte
christliche Form des Wasserordals nicht vorhanden oder haben die
vorhandenen Formen Bedenken veranlaſst. Ludwig mag sich deshalb
an den Papst Eugen II. (824 bis 827) gewendet haben. Als ein päpst-
lich autorisiertes Ritual vorhanden war, erfolgte 829 das Verbot der
älteren Formen 61.
4. Das Bahrgericht 62, Bahrrecht, Scheines 63 Recht, Schein-
gehen, über den Todten gehen auf Gottes Erbarmen, eine Probe,
die aus Anlaſs eines Todschlags den Todschläger zu überführen
bestimmt war. Sie setzte ursprünglich nicht den Glauben an das Wissen
und Walten göttlicher Mächte voraus, sondern ging aus der von
der Ausbildung jenes Glaubens unabhängigen Auffassung hervor,
daſs in dem menschlichen Leichnam die Seele noch fortlebe und die
übernatürliche Macht habe, den Todschläger kundzugeben. Insofern
58 Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 12, II 16: ut examen aquae frigidae, quod
actenus faciebant, a missis nostris omnibus interdicatur, ne ulterius fiat. Vgl.
Cap. ab ep. in placito tractanda v. J. 829, c. 5, II 7.
59 So hat aber schon Hinkmar a. O. S. 671 das Verbot aufgefaſst: nec prae-
tereundum, quia legimus in capitulis Augustorum fuisse vetitum frigidae aquae iudi-
cium, sed non in illis synodalibus, quae de certis accepimus synodis (in einem Cap.
missorum, nicht in capitula synodalia).
60 Zeumer, Formulae S. 617 ff. So heiſst es in Nr. 14: istum iudicium crea-
vit omnipotens Deus, quia verus est et quia domnus Eugenius papa constituit eum
et domnus imperator Ludovicus voluit illum observare et transmisit ei istum dilu-
culum, ut eum observaret. Istum faciant episcopi, abbates et comites et est con-
stitutus in omnem regionem nostram.
61 Eine Anwendung des Wasserordals bezeugen die Annales Bertiniani z. J.
876, rec. Waitz S. 132: Hludowicus .. decem homines aqua calida et decem ferro
calido et decem aqua frigida ad iudicium misit coram eis, qui cum illo erant, pe-
tentibus omnibus, ut Deus in illo iudicio declararet, si plus per rectum ille deberet
habere portionem de regno … Qui omnes inlaesi reperti sunt.
62 Grimm, RA S. 930 f., mit handschriftlichen Nachträgen. Noordewier
S. 443. Osenbrüggen, Studien zur deutschen und schweiz. RG 1868, S. 327 ff.
Patetta S. 196. Über einen verwandten Aberglauben siehe oben I 82.
63 Schein ist der Leichnam oder die von ihm als Beweiszeichen der That ab-
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