Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 108. Das Beweisverfahren. rührung eines Tierhauptes unter Anrufung der heidnischen Götter42.Frauen schwören unter Berührung der Brust43 oder wohl auch Über die alten, zum Teil oberflächlich christianisierten Formen Der Eidespflichtige hat sich zum Eidestermin an dem bestimmten 42 Concil. Aurelian. v. J. 541, can. 16, MG Conc. S. 90: si quis christianus, ut est gentilium consuetudo, ad caput cuiuscunque ferae vel pecudis invocatis in- super nominibus paganorum fortasse iuraverit ... 43 Lex Alam. 54: hoc dicunt Alamanni nasthait. Vgl. Grimm, WB VII 625. 44 Im merowingischen Königsgericht werden Eide auferlegt, die super capella domni Martini, ubi reliqua sacramenta percurribant, zu schwören sind. Pertz, Dipl. M. 49. 78. Marculf I 38. 45 Ein Eid auf ein christliches Heiltum scheint der in der Lex Ribuaria so oft genannte Eid in haraho zu sein. Die herrschende Ansicht sieht darin einen Eid, der an heiliger Stätte geschworen wurde. Grimm, RA S. 794. 903. Allein in Lex Rib. 72, 1 wird ein Eid in haraho geschworen an dem Kreuzwege, wo der Knecht begraben liegt, an dem der Anefang vorgenommen worden war: et ibidem .. cum testibus accidat et cum ipsis sex .. in haraho coniuret, quod ibidem .. sepultus iaceat. Der ganze Zusammenhang der Stelle schliesst die Möglichkeit aus, dass man vom Kreuzwege zum Schwur in die Kirche und dann wieder an den Kreuzweg gegangen sei. Auch die Stellen Lex Rib. 32, 3: ante comite .. in ha- raho iurare debit, l. c. 77: ante iudice in haraho coniuret, erklären sich einfacher, wenn man an ein bewegliches, ein tragbares Heiltum denkt. Die capsa mit den Reliquien oder das Evangelienbuch war auch ausserhalb der Kirche zu haben, wo man sie brauchte, wie die Vergabungen auf die Reliquien darthun. Harahus ge- hört allerdings zu haruc, harug, hearg, hörgr, hatte aber neben der Bedeutung Hain, Opferstätte die allgemeinere von Heiligtum erhalten, wie denn nordisch hörgar idola bedeutet und der Priester ahd. harugari heisst. 46 Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 11, I 118, als additio zu Lex Rib. 67 (5), oben S. 429. 47 In legitimo sacramenti loco, Cap. legi add. v. J. 816, c. 2, I 268. Als
Eidesort dient der mallus, die Kirche oder ein anderer durch die Sachlage ge- gebener Ort. § 108. Das Beweisverfahren. rührung eines Tierhauptes unter Anrufung der heidnischen Götter42.Frauen schwören unter Berührung der Brust43 oder wohl auch Über die alten, zum Teil oberflächlich christianisierten Formen Der Eidespflichtige hat sich zum Eidestermin an dem bestimmten 42 Concil. Aurelian. v. J. 541, can. 16, MG Conc. S. 90: si quis christianus, ut est gentilium consuetudo, ad caput cuiuscunque ferae vel pecudis invocatis in- super nominibus paganorum fortasse iuraverit … 43 Lex Alam. 54: hoc dicunt Alamanni nasthait. Vgl. Grimm, WB VII 625. 44 Im merowingischen Königsgericht werden Eide auferlegt, die super capella domni Martini, ubi reliqua sacramenta percurribant, zu schwören sind. Pertz, Dipl. M. 49. 78. Marculf I 38. 45 Ein Eid auf ein christliches Heiltum scheint der in der Lex Ribuaria so oft genannte Eid in haraho zu sein. Die herrschende Ansicht sieht darin einen Eid, der an heiliger Stätte geschworen wurde. Grimm, RA S. 794. 903. Allein in Lex Rib. 72, 1 wird ein Eid in haraho geschworen an dem Kreuzwege, wo der Knecht begraben liegt, an dem der Anefang vorgenommen worden war: et ibidem .. cum testibus accidat et cum ipsis sex .. in haraho coniuret, quod ibidem .. sepultus iaceat. Der ganze Zusammenhang der Stelle schlieſst die Möglichkeit aus, daſs man vom Kreuzwege zum Schwur in die Kirche und dann wieder an den Kreuzweg gegangen sei. Auch die Stellen Lex Rib. 32, 3: ante comite .. in ha- raho iurare debit, l. c. 77: ante iudice in haraho coniuret, erklären sich einfacher, wenn man an ein bewegliches, ein tragbares Heiltum denkt. Die capsa mit den Reliquien oder das Evangelienbuch war auch auſserhalb der Kirche zu haben, wo man sie brauchte, wie die Vergabungen auf die Reliquien darthun. Harahus ge- hört allerdings zu haruc, harug, hearg, hörgr, hatte aber neben der Bedeutung Hain, Opferstätte die allgemeinere von Heiligtum erhalten, wie denn nordisch hörgar idola bedeutet und der Priester ahd. harugari heiſst. 46 Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 11, I 118, als additio zu Lex Rib. 67 (5), oben S. 429. 47 In legitimo sacramenti loco, Cap. legi add. v. J. 816, c. 2, I 268. Als
Eidesort dient der mallus, die Kirche oder ein anderer durch die Sachlage ge- gebener Ort. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0450" n="432"/><fw place="top" type="header">§ 108. Das Beweisverfahren.</fw><lb/> rührung eines Tierhauptes unter Anrufung der heidnischen Götter<note place="foot" n="42">Concil. Aurelian. v. J. 541, can. 16, MG Conc. S. 90: si quis christianus,<lb/> ut est gentilium consuetudo, ad caput cuiuscunque ferae vel pecudis invocatis in-<lb/> super nominibus paganorum fortasse iuraverit …</note>.</p><lb/> <p>Frauen schwören unter Berührung der Brust<note place="foot" n="43">Lex Alam. 54: hoc dicunt Alamanni nasthait. Vgl. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, WB VII 625.</note> oder wohl auch<lb/> des Zopfes, in der erstgedachten Form auch Geistliche.</p><lb/> <p>Über die alten, zum Teil oberflächlich christianisierten Formen<lb/> des Eides gewinnen neue specifisch christliche Formen mehr und mehr<lb/> das Übergewicht. Als solche erscheinen der Eid auf die Reliquien<lb/> von Heiligen<note place="foot" n="44">Im merowingischen Königsgericht werden Eide auferlegt, die super capella<lb/> domni Martini, ubi reliqua sacramenta percurribant, zu schwören sind. Pertz, Dipl.<lb/> M. 49. 78. Marculf I 38.</note>, auf den Altar, der Eid auf die Evangelien<note place="foot" n="45">Ein Eid auf ein christliches Heiltum scheint der in der Lex Ribuaria so<lb/> oft genannte Eid in haraho zu sein. Die herrschende Ansicht sieht darin einen<lb/> Eid, der an heiliger Stätte geschworen wurde. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S. 794. 903. Allein<lb/> in Lex Rib. 72, 1 wird ein Eid in haraho geschworen an dem Kreuzwege, wo der<lb/> Knecht begraben liegt, an dem der Anefang vorgenommen worden war: et ibidem<lb/> .. cum testibus accidat et cum ipsis sex .. in haraho coniuret, quod ibidem ..<lb/> sepultus iaceat. Der ganze Zusammenhang der Stelle schlieſst die Möglichkeit aus,<lb/> daſs man vom Kreuzwege zum Schwur in die Kirche und dann wieder an den<lb/> Kreuzweg gegangen sei. Auch die Stellen Lex Rib. 32, 3: ante comite .. in ha-<lb/> raho iurare debit, l. c. 77: ante iudice in haraho coniuret, erklären sich einfacher,<lb/> wenn man an ein bewegliches, ein tragbares Heiltum denkt. Die capsa mit den<lb/> Reliquien oder das Evangelienbuch war auch auſserhalb der Kirche zu haben, wo<lb/> man sie brauchte, wie die Vergabungen auf die Reliquien darthun. Harahus ge-<lb/> hört allerdings zu haruc, harug, hearg, hörgr, hatte aber neben der Bedeutung Hain,<lb/> Opferstätte die allgemeinere von Heiligtum erhalten, wie denn nordisch hörgar<lb/> idola bedeutet und der Priester ahd. harugari heiſst.</note>, auf ein<lb/> geweihtes Kreuz. Der ribuarische Eid auf Ring und Stab verschwand<lb/> in karolingischer Zeit; ein Capitular von 803 bestimmte in Abänderung<lb/> der Lex Ribuaria, daſs jeder Eid in der Kirche oder auf die Reliquien<lb/> zu leisten sei<note place="foot" n="46">Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 11, I 118, als additio zu Lex Rib. 67 (5),<lb/> oben S. 429.</note>.</p><lb/> <p>Der Eidespflichtige hat sich zum Eidestermin an dem bestimmten<lb/> Eidesorte<note place="foot" n="47">In legitimo sacramenti loco, Cap. legi add. v. J. 816, c. 2, I 268. Als<lb/> Eidesort dient der mallus, die Kirche oder ein anderer durch die Sachlage ge-<lb/> gebener Ort.</note> einzufinden. Ist ein Eid mit Eidhelfern zu leisten, so<lb/> muſs der Beweisführer die erforderlichen Eidhelfer mitbringen. Er<lb/> hat die Eidhelfer zum Eide zu leiten (ahd. leitjan, as. lêdjan, friesisch<lb/> lêda). Der Eid mit Helfern heiſst daher bei den Angelsachsen lád,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [432/0450]
§ 108. Das Beweisverfahren.
rührung eines Tierhauptes unter Anrufung der heidnischen Götter 42.
Frauen schwören unter Berührung der Brust 43 oder wohl auch
des Zopfes, in der erstgedachten Form auch Geistliche.
Über die alten, zum Teil oberflächlich christianisierten Formen
des Eides gewinnen neue specifisch christliche Formen mehr und mehr
das Übergewicht. Als solche erscheinen der Eid auf die Reliquien
von Heiligen 44, auf den Altar, der Eid auf die Evangelien 45, auf ein
geweihtes Kreuz. Der ribuarische Eid auf Ring und Stab verschwand
in karolingischer Zeit; ein Capitular von 803 bestimmte in Abänderung
der Lex Ribuaria, daſs jeder Eid in der Kirche oder auf die Reliquien
zu leisten sei 46.
Der Eidespflichtige hat sich zum Eidestermin an dem bestimmten
Eidesorte 47 einzufinden. Ist ein Eid mit Eidhelfern zu leisten, so
muſs der Beweisführer die erforderlichen Eidhelfer mitbringen. Er
hat die Eidhelfer zum Eide zu leiten (ahd. leitjan, as. lêdjan, friesisch
lêda). Der Eid mit Helfern heiſst daher bei den Angelsachsen lád,
42 Concil. Aurelian. v. J. 541, can. 16, MG Conc. S. 90: si quis christianus,
ut est gentilium consuetudo, ad caput cuiuscunque ferae vel pecudis invocatis in-
super nominibus paganorum fortasse iuraverit …
43 Lex Alam. 54: hoc dicunt Alamanni nasthait. Vgl. Grimm, WB VII 625.
44 Im merowingischen Königsgericht werden Eide auferlegt, die super capella
domni Martini, ubi reliqua sacramenta percurribant, zu schwören sind. Pertz, Dipl.
M. 49. 78. Marculf I 38.
45 Ein Eid auf ein christliches Heiltum scheint der in der Lex Ribuaria so
oft genannte Eid in haraho zu sein. Die herrschende Ansicht sieht darin einen
Eid, der an heiliger Stätte geschworen wurde. Grimm, RA S. 794. 903. Allein
in Lex Rib. 72, 1 wird ein Eid in haraho geschworen an dem Kreuzwege, wo der
Knecht begraben liegt, an dem der Anefang vorgenommen worden war: et ibidem
.. cum testibus accidat et cum ipsis sex .. in haraho coniuret, quod ibidem ..
sepultus iaceat. Der ganze Zusammenhang der Stelle schlieſst die Möglichkeit aus,
daſs man vom Kreuzwege zum Schwur in die Kirche und dann wieder an den
Kreuzweg gegangen sei. Auch die Stellen Lex Rib. 32, 3: ante comite .. in ha-
raho iurare debit, l. c. 77: ante iudice in haraho coniuret, erklären sich einfacher,
wenn man an ein bewegliches, ein tragbares Heiltum denkt. Die capsa mit den
Reliquien oder das Evangelienbuch war auch auſserhalb der Kirche zu haben, wo
man sie brauchte, wie die Vergabungen auf die Reliquien darthun. Harahus ge-
hört allerdings zu haruc, harug, hearg, hörgr, hatte aber neben der Bedeutung Hain,
Opferstätte die allgemeinere von Heiligtum erhalten, wie denn nordisch hörgar
idola bedeutet und der Priester ahd. harugari heiſst.
46 Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 11, I 118, als additio zu Lex Rib. 67 (5),
oben S. 429.
47 In legitimo sacramenti loco, Cap. legi add. v. J. 816, c. 2, I 268. Als
Eidesort dient der mallus, die Kirche oder ein anderer durch die Sachlage ge-
gebener Ort.
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