Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 108. Das Beweisverfahren. Umschreibungen der gemeingermanischen Formel dar, dass der Eid desHauptmanns 'rein und unmein sei'53. Wahrscheinlich unter kirchlichem Einfluss kam im fränkischen Reiche hie und da der Brauch in Geltung, dass die Eidhelfer einzeln, nicht mehr mit gesamtem Munde schwuren54, eine Neuerung, die dem einzelnen Helfer seine Verantwortlichkeit stärker zum Bewusstsein bringen und Meineiden entgegenwirken sollte. Für Italien schrieb ein Gesetz Lothars I. v. J. 825 ausdrücklich vor, dass die Helfer einzeln schwören sollten55. Der Schwörende darf nach gesprochenem Eidesworte seine Hal- Der Eidgang durfte dem Beweisführer von seinem Gegner durch 53 Form. Tur. 31: ut quicquam ille .. de hac causa iuravit, verum et ido- neum sacramentum dedit. Ebenso Form. Tur. 40. Formeln des Liber Papiensis zu Roth. 361, Liu. 60 und öfter: quod ipse iuravit, verum iuravit. 'In Deutschland schwören von Tirol bis Rügen, von den Niederlanden bis nach Schlesien, durch das ganze Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert die Eidhelfer, dass sein (des Haupt- manns) Eid sei rein und unmein.' Homeyer, Richtsteig Ldr. S. 468. Schmid, Ges. d. Ags. Anhang X 6: se ad is claene (rein) and unmaene, the N. swor. Eriks Saell. Lov (Thorsen) 99, dass er schwor rechten Eid oc thaer aer ey men i. West- götal. II, Add. 12, 1: reen oc eig men. Stiernhöök I, c. 9: sant (wahr) och laghreen och icke meen. 54 Form. Tur. 40: similiter venientes testes sui per singula iurati dixerunt, eine Stelle, auf die Cosack S. 58 aufmerksam gemacht hat. 55 Cap. Olonn. mund. v. J. 825, c. 8, I 331. 56 Siehe die oben S. 431, Anm. 39 citierte Stelle aus Manu. 57 Lex Rib. 59, 4: quod si illi, qui causam sequitur, manum cancellarii de
altario traxerit aut ante ostium basilici manum posuerit. Vgl. die analoge Pfän- dungsschelte in Lex Rib. 32, 4. Cap. de latronibus 804--813, c. 3, I 180: si per sacramentum quis se aedoniare voluerit et fuerit aliquis, qui contra eum conten- dere vellit, retraat alius manum desuper altare, antequam iuratores sui iurent et exeant in campum cum fustibus. Vgl. noch Lex Rib. 67, 5. Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 4, I 117. § 108. Das Beweisverfahren. Umschreibungen der gemeingermanischen Formel dar, daſs der Eid desHauptmanns ‘rein und unmein sei’53. Wahrscheinlich unter kirchlichem Einfluſs kam im fränkischen Reiche hie und da der Brauch in Geltung, daſs die Eidhelfer einzeln, nicht mehr mit gesamtem Munde schwuren54, eine Neuerung, die dem einzelnen Helfer seine Verantwortlichkeit stärker zum Bewuſstsein bringen und Meineiden entgegenwirken sollte. Für Italien schrieb ein Gesetz Lothars I. v. J. 825 ausdrücklich vor, daſs die Helfer einzeln schwören sollten55. Der Schwörende darf nach gesprochenem Eidesworte seine Hal- Der Eidgang durfte dem Beweisführer von seinem Gegner durch 53 Form. Tur. 31: ut quicquam ille .. de hac causa iuravit, verum et ido- neum sacramentum dedit. Ebenso Form. Tur. 40. Formeln des Liber Papiensis zu Roth. 361, Liu. 60 und öfter: quod ipse iuravit, verum iuravit. ‘In Deutschland schwören von Tirol bis Rügen, von den Niederlanden bis nach Schlesien, durch das ganze Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert die Eidhelfer, daſs sein (des Haupt- manns) Eid sei rein und unmein.’ Homeyer, Richtsteig Ldr. S. 468. Schmid, Ges. d. Ags. Anhang X 6: se âđ is clæ̂ne (rein) and unmæ̂ne, þe N. swôr. Eriks Sæll. Lov (Thorsen) 99, daſs er schwor rechten Eid oc thær ær ey men i. West- götal. II, Add. 12, 1: reen oc eig men. Stiernhöök I, c. 9: sant (wahr) och laghreen och icke meen. 54 Form. Tur. 40: similiter venientes testes sui per singula iurati dixerunt, eine Stelle, auf die Cosack S. 58 aufmerksam gemacht hat. 55 Cap. Olonn. mund. v. J. 825, c. 8, I 331. 56 Siehe die oben S. 431, Anm. 39 citierte Stelle aus Manu. 57 Lex Rib. 59, 4: quod si illi, qui causam sequitur, manum cancellarii de
altario traxerit aut ante ostium basilici manum posuerit. Vgl. die analoge Pfän- dungsschelte in Lex Rib. 32, 4. Cap. de latronibus 804—813, c. 3, I 180: si per sacramentum quis se aedoniare voluerit et fuerit aliquis, qui contra eum conten- dere vellit, retraat alius manum desuper altare, antequam iuratores sui iurent et exeant in campum cum fustibus. Vgl. noch Lex Rib. 67, 5. Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 4, I 117. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0452" n="434"/><fw place="top" type="header">§ 108. Das Beweisverfahren.</fw><lb/> Umschreibungen der gemeingermanischen Formel dar, daſs der Eid des<lb/> Hauptmanns ‘rein und unmein sei’<note place="foot" n="53">Form. Tur. 31: ut quicquam ille .. de hac causa iuravit, verum et ido-<lb/> neum sacramentum dedit. Ebenso Form. Tur. 40. Formeln des Liber Papiensis<lb/> zu Roth. 361, Liu. 60 und öfter: quod ipse iuravit, verum iuravit. ‘In Deutschland<lb/> schwören von Tirol bis Rügen, von den Niederlanden bis nach Schlesien, durch<lb/> das ganze Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert die Eidhelfer, daſs sein (des Haupt-<lb/> manns) Eid sei rein und unmein.’ <hi rendition="#g">Homeyer</hi>, Richtsteig Ldr. S. 468. Schmid,<lb/> Ges. d. Ags. Anhang X 6: se âđ is clæ̂ne (rein) and unmæ̂ne, þe N. swôr. Eriks<lb/> Sæll. Lov (Thorsen) 99, daſs er schwor rechten Eid oc thær ær ey men i. West-<lb/> götal. II, Add. 12, 1: reen oc eig men. <hi rendition="#g">Stiernhöök</hi> I, c. 9: sant (wahr) och<lb/> laghreen och icke meen.</note>. Wahrscheinlich unter kirchlichem<lb/> Einfluſs kam im fränkischen Reiche hie und da der Brauch in Geltung,<lb/> daſs die Eidhelfer einzeln, nicht mehr mit gesamtem Munde schwuren<note place="foot" n="54">Form. Tur. 40: similiter venientes testes sui per singula iurati dixerunt,<lb/> eine Stelle, auf die <hi rendition="#g">Cosack</hi> S. 58 aufmerksam gemacht hat.</note>,<lb/> eine Neuerung, die dem einzelnen Helfer seine Verantwortlichkeit<lb/> stärker zum Bewuſstsein bringen und Meineiden entgegenwirken sollte.<lb/> Für Italien schrieb ein Gesetz Lothars I. v. J. 825 ausdrücklich vor,<lb/> daſs die Helfer einzeln schwören sollten<note place="foot" n="55">Cap. Olonn. mund. v. J. 825, c. 8, I 331.</note>.</p><lb/> <p>Der Schwörende darf nach gesprochenem Eidesworte seine Hal-<lb/> tung und Stellung nicht verändern, insbesondere die Schwurhand<lb/> nicht wegziehen oder senken, bevor es der Eidstaber gestattet. Die<lb/> Pause, welche somit nach dem Eidspiel eintritt, ehe der Eid für ge-<lb/> lungen gilt, geht wohl auf die Auffassung zurück, daſs der Meineid<lb/> sich an dem Schwörenden sofort rächen, dem Meineidigen sofort ein<lb/> Unglück zustoſsen könne<note place="foot" n="56">Siehe die oben S. 431, Anm. 39 citierte Stelle aus Manu.</note>.</p><lb/> <p>Der Eidgang durfte dem Beweisführer von seinem Gegner durch<lb/> Eidesschelte verlegt werden. Diese war eine rechtsförmliche Handlung,<lb/> die nach fränkischem Rechte entweder darin bestand, daſs der<lb/> Scheltende sein Schwert vor die Thüre der Kirche legte, in welcher<lb/> der Eid zu leisten war, und so dem Schwörenden den Zutritt zu dem<lb/> Heiligtum verwehrte, oder darin, daſs er dem Schwörenden die Hand<lb/> von den Reliquien oder überhaupt von dem Gegenstande hinwegzog,<lb/> der beim Eide berührt werden sollte<note place="foot" n="57">Lex Rib. 59, 4: quod si illi, qui causam sequitur, manum cancellarii de<lb/> altario traxerit aut ante ostium basilici manum posuerit. Vgl. die analoge Pfän-<lb/> dungsschelte in Lex Rib. 32, 4. Cap. de latronibus 804—813, c. 3, I 180: si per<lb/> sacramentum quis se aedoniare voluerit et fuerit aliquis, qui contra eum conten-<lb/> dere vellit, retraat alius manum desuper altare, antequam iuratores sui iurent et<lb/> exeant in campum cum fustibus. Vgl. noch Lex Rib. 67, 5. Cap. legi Rib. add.<lb/> v. J. 803, c. 4, I 117.</note>. Die Verlegung des Eides<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [434/0452]
§ 108. Das Beweisverfahren.
Umschreibungen der gemeingermanischen Formel dar, daſs der Eid des
Hauptmanns ‘rein und unmein sei’ 53. Wahrscheinlich unter kirchlichem
Einfluſs kam im fränkischen Reiche hie und da der Brauch in Geltung,
daſs die Eidhelfer einzeln, nicht mehr mit gesamtem Munde schwuren 54,
eine Neuerung, die dem einzelnen Helfer seine Verantwortlichkeit
stärker zum Bewuſstsein bringen und Meineiden entgegenwirken sollte.
Für Italien schrieb ein Gesetz Lothars I. v. J. 825 ausdrücklich vor,
daſs die Helfer einzeln schwören sollten 55.
Der Schwörende darf nach gesprochenem Eidesworte seine Hal-
tung und Stellung nicht verändern, insbesondere die Schwurhand
nicht wegziehen oder senken, bevor es der Eidstaber gestattet. Die
Pause, welche somit nach dem Eidspiel eintritt, ehe der Eid für ge-
lungen gilt, geht wohl auf die Auffassung zurück, daſs der Meineid
sich an dem Schwörenden sofort rächen, dem Meineidigen sofort ein
Unglück zustoſsen könne 56.
Der Eidgang durfte dem Beweisführer von seinem Gegner durch
Eidesschelte verlegt werden. Diese war eine rechtsförmliche Handlung,
die nach fränkischem Rechte entweder darin bestand, daſs der
Scheltende sein Schwert vor die Thüre der Kirche legte, in welcher
der Eid zu leisten war, und so dem Schwörenden den Zutritt zu dem
Heiligtum verwehrte, oder darin, daſs er dem Schwörenden die Hand
von den Reliquien oder überhaupt von dem Gegenstande hinwegzog,
der beim Eide berührt werden sollte 57. Die Verlegung des Eides
53 Form. Tur. 31: ut quicquam ille .. de hac causa iuravit, verum et ido-
neum sacramentum dedit. Ebenso Form. Tur. 40. Formeln des Liber Papiensis
zu Roth. 361, Liu. 60 und öfter: quod ipse iuravit, verum iuravit. ‘In Deutschland
schwören von Tirol bis Rügen, von den Niederlanden bis nach Schlesien, durch
das ganze Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert die Eidhelfer, daſs sein (des Haupt-
manns) Eid sei rein und unmein.’ Homeyer, Richtsteig Ldr. S. 468. Schmid,
Ges. d. Ags. Anhang X 6: se âđ is clæ̂ne (rein) and unmæ̂ne, þe N. swôr. Eriks
Sæll. Lov (Thorsen) 99, daſs er schwor rechten Eid oc thær ær ey men i. West-
götal. II, Add. 12, 1: reen oc eig men. Stiernhöök I, c. 9: sant (wahr) och
laghreen och icke meen.
54 Form. Tur. 40: similiter venientes testes sui per singula iurati dixerunt,
eine Stelle, auf die Cosack S. 58 aufmerksam gemacht hat.
55 Cap. Olonn. mund. v. J. 825, c. 8, I 331.
56 Siehe die oben S. 431, Anm. 39 citierte Stelle aus Manu.
57 Lex Rib. 59, 4: quod si illi, qui causam sequitur, manum cancellarii de
altario traxerit aut ante ostium basilici manum posuerit. Vgl. die analoge Pfän-
dungsschelte in Lex Rib. 32, 4. Cap. de latronibus 804—813, c. 3, I 180: si per
sacramentum quis se aedoniare voluerit et fuerit aliquis, qui contra eum conten-
dere vellit, retraat alius manum desuper altare, antequam iuratores sui iurent et
exeant in campum cum fustibus. Vgl. noch Lex Rib. 67, 5. Cap. legi Rib. add.
v. J. 803, c. 4, I 117.
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