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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.
greift, um die Diebstahlsbusse und die gestohlene Sache oder deren
Wert zu erlangen, ist hier das Verfahren in erster Linie auf Verfol-
gung der Sache gerichtet, um in dem Besitzer oder durch dessen
Vermittelung den Dieb zu finden 2. Diesem Zwecke dient das Ver-
fahren der Spurfolge und das des Anefangs.

Wenn der Beschädigte seinen Schaden früh genug wahrnahm,
mochte er die Spur des Diebstahls stracks verfolgen, in den fränki-
schen Quellen vestigium minare, angelsächsisch trod (Spur) bedrifan 3.
Die Spurfolge pflegte er in der Weise vorzunehmen, dass er sich an
die Spitze einer aus Hausgenossen und Nachbarn gebildeten Schaar
stellte, welche bei den Franken trustis hiess 4. Leitete die Spur in
ein Haus, so hatten die Spurfolger das Recht, eine Haussuchung vor-
zunehmen, scrutinium, inquisitio, ahd. haussuacha 5, bairisch salisuochan 6,
nordisch rannsokn oder ransak 7. Die Haussuchung musste in alt-
hergebrachten Formen stattfinden, deren Verwandtschaft mit griechi-
schen, römischen, slawischen und keltischen Rechtsbräuchen auf uralte
arische Grundlage zurückschliessen lässt 8. Mit greifenden Armen,
sagt eine jüngere friesische Rechtsquelle 9, ungegürtet, unbehost und
barfuss sollen die Suchenden das Haus betreten, auf dass keiner im-
stande sei, die angeblich gesuchte Sache in das Haus hineinzutragen
und so den Hausherrn in den Verdacht des Diebstahls zu bringen.

2 Den Unterschied lassen die angelsächsischen Eidesformeln bei Schmid, Ges.
der Ags. Anhang X 2 und X 4, deutlich ersehen. Bei der Diebstahlsklage (X 4)
lautet der Voreid des Klägers: Ich bezichtige N. nicht aus Hass noch aus Ungunst
noch aus ungerechter Habsucht und weiss es nicht anders, als es mein Anzeiger
sagte und ich selbst wahrhaft erzähle, dass er der Dieb meines Viehes sei. Da-
gegen aus Anlass des Anefangs (X 2): wie ich Klage erhebe .. ohne Lug und ohne
Trug und ohne einige Arglist, so ist mir dies Vieh gestohlen worden, das ich bei
N. in Beschlag genommen habe.
3 Edgar I 5: gyf him (dem Bestohlenen) hundred bedreife trod on oder hun-
dred, was die vetus versio wiedergibt: si hundredum minet vestigium in aliud hundre-
dum. Vgl. Anhang I 1 bei Schmid S. 358.
4 Lex Sal. (Hessels) 66. Über die amtlich organisierten trustes siehe oben
S. 147.
5 Glosse zu Lex Rib. 47, 2, LL V 277.
6 Decreta Tassil. Niuh. c. 12, LL III 466: selisohan.
7 Ransak auch im Friesischen. v. Richthofen, Rqu. S. 240, § 34, wozu
Anm. 7 daselbst zu vergleichen ist.
8 Grimm, Z. f. gesch. RW II 91. Derselbe RA S. 639. Wilda, Straf-
recht S. 903. Noordewier S. 287. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 309.
Derselbe, Zweck und Mittel S. 54. Hoffmann, Beitr. zur Gesch. des griech.
und röm. Rechts 1870, S. 30. Bernhöft, Staat und Recht der röm. Königszeit
1882, S. 247.
9 Das westerlauwersche Schulzenrecht § 64, v. Richthofen, Rqu. S. 397 ff.

§ 118. Spurfolge und Anefang.
greift, um die Diebstahlsbuſse und die gestohlene Sache oder deren
Wert zu erlangen, ist hier das Verfahren in erster Linie auf Verfol-
gung der Sache gerichtet, um in dem Besitzer oder durch dessen
Vermittelung den Dieb zu finden 2. Diesem Zwecke dient das Ver-
fahren der Spurfolge und das des Anefangs.

Wenn der Beschädigte seinen Schaden früh genug wahrnahm,
mochte er die Spur des Diebstahls stracks verfolgen, in den fränki-
schen Quellen vestigium minare, angelsächsisch trod (Spur) bedrífan 3.
Die Spurfolge pflegte er in der Weise vorzunehmen, daſs er sich an
die Spitze einer aus Hausgenossen und Nachbarn gebildeten Schaar
stellte, welche bei den Franken trustis hieſs 4. Leitete die Spur in
ein Haus, so hatten die Spurfolger das Recht, eine Haussuchung vor-
zunehmen, scrutinium, inquisitio, ahd. hûssuacha 5, bairisch salisuochan 6,
nordisch rannsókn oder ransak 7. Die Haussuchung muſste in alt-
hergebrachten Formen stattfinden, deren Verwandtschaft mit griechi-
schen, römischen, slawischen und keltischen Rechtsbräuchen auf uralte
arische Grundlage zurückschlieſsen läſst 8. Mit greifenden Armen,
sagt eine jüngere friesische Rechtsquelle 9, ungegürtet, unbehost und
barfuſs sollen die Suchenden das Haus betreten, auf daſs keiner im-
stande sei, die angeblich gesuchte Sache in das Haus hineinzutragen
und so den Hausherrn in den Verdacht des Diebstahls zu bringen.

2 Den Unterschied lassen die angelsächsischen Eidesformeln bei Schmid, Ges.
der Ags. Anhang X 2 und X 4, deutlich ersehen. Bei der Diebstahlsklage (X 4)
lautet der Voreid des Klägers: Ich bezichtige N. nicht aus Haſs noch aus Ungunst
noch aus ungerechter Habsucht und weiſs es nicht anders, als es mein Anzeiger
sagte und ich selbst wahrhaft erzähle, daſs er der Dieb meines Viehes sei. Da-
gegen aus Anlaſs des Anefangs (X 2): wie ich Klage erhebe .. ohne Lug und ohne
Trug und ohne einige Arglist, so ist mir dies Vieh gestohlen worden, das ich bei
N. in Beschlag genommen habe.
3 Edgar I 5: gyf him (dem Bestohlenen) hundred bedrîfe trod on ôđer hun-
dred, was die vetus versio wiedergibt: si hundredum minet vestigium in aliud hundre-
dum. Vgl. Anhang I 1 bei Schmid S. 358.
4 Lex Sal. (Hessels) 66. Über die amtlich organisierten trustes siehe oben
S. 147.
5 Glosse zu Lex Rib. 47, 2, LL V 277.
6 Decreta Tassil. Niuh. c. 12, LL III 466: selisohan.
7 Ransak auch im Friesischen. v. Richthofen, Rqu. S. 240, § 34, wozu
Anm. 7 daselbst zu vergleichen ist.
8 Grimm, Z. f. gesch. RW II 91. Derselbe RA S. 639. Wilda, Straf-
recht S. 903. Noordewier S. 287. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 309.
Derselbe, Zweck und Mittel S. 54. Hoffmann, Beitr. zur Gesch. des griech.
und röm. Rechts 1870, S. 30. Bernhöft, Staat und Recht der röm. Königszeit
1882, S. 247.
9 Das westerlauwersche Schulzenrecht § 64, v. Richthofen, Rqu. S. 397 ff.
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[496/0514] § 118. Spurfolge und Anefang. greift, um die Diebstahlsbuſse und die gestohlene Sache oder deren Wert zu erlangen, ist hier das Verfahren in erster Linie auf Verfol- gung der Sache gerichtet, um in dem Besitzer oder durch dessen Vermittelung den Dieb zu finden 2. Diesem Zwecke dient das Ver- fahren der Spurfolge und das des Anefangs. Wenn der Beschädigte seinen Schaden früh genug wahrnahm, mochte er die Spur des Diebstahls stracks verfolgen, in den fränki- schen Quellen vestigium minare, angelsächsisch trod (Spur) bedrífan 3. Die Spurfolge pflegte er in der Weise vorzunehmen, daſs er sich an die Spitze einer aus Hausgenossen und Nachbarn gebildeten Schaar stellte, welche bei den Franken trustis hieſs 4. Leitete die Spur in ein Haus, so hatten die Spurfolger das Recht, eine Haussuchung vor- zunehmen, scrutinium, inquisitio, ahd. hûssuacha 5, bairisch salisuochan 6, nordisch rannsókn oder ransak 7. Die Haussuchung muſste in alt- hergebrachten Formen stattfinden, deren Verwandtschaft mit griechi- schen, römischen, slawischen und keltischen Rechtsbräuchen auf uralte arische Grundlage zurückschlieſsen läſst 8. Mit greifenden Armen, sagt eine jüngere friesische Rechtsquelle 9, ungegürtet, unbehost und barfuſs sollen die Suchenden das Haus betreten, auf daſs keiner im- stande sei, die angeblich gesuchte Sache in das Haus hineinzutragen und so den Hausherrn in den Verdacht des Diebstahls zu bringen. 2 Den Unterschied lassen die angelsächsischen Eidesformeln bei Schmid, Ges. der Ags. Anhang X 2 und X 4, deutlich ersehen. Bei der Diebstahlsklage (X 4) lautet der Voreid des Klägers: Ich bezichtige N. nicht aus Haſs noch aus Ungunst noch aus ungerechter Habsucht und weiſs es nicht anders, als es mein Anzeiger sagte und ich selbst wahrhaft erzähle, daſs er der Dieb meines Viehes sei. Da- gegen aus Anlaſs des Anefangs (X 2): wie ich Klage erhebe .. ohne Lug und ohne Trug und ohne einige Arglist, so ist mir dies Vieh gestohlen worden, das ich bei N. in Beschlag genommen habe. 3 Edgar I 5: gyf him (dem Bestohlenen) hundred bedrîfe trod on ôđer hun- dred, was die vetus versio wiedergibt: si hundredum minet vestigium in aliud hundre- dum. Vgl. Anhang I 1 bei Schmid S. 358. 4 Lex Sal. (Hessels) 66. Über die amtlich organisierten trustes siehe oben S. 147. 5 Glosse zu Lex Rib. 47, 2, LL V 277. 6 Decreta Tassil. Niuh. c. 12, LL III 466: selisohan. 7 Ransak auch im Friesischen. v. Richthofen, Rqu. S. 240, § 34, wozu Anm. 7 daselbst zu vergleichen ist. 8 Grimm, Z. f. gesch. RW II 91. Derselbe RA S. 639. Wilda, Straf- recht S. 903. Noordewier S. 287. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 309. Derselbe, Zweck und Mittel S. 54. Hoffmann, Beitr. zur Gesch. des griech. und röm. Rechts 1870, S. 30. Bernhöft, Staat und Recht der röm. Königszeit 1882, S. 247. 9 Das westerlauwersche Schulzenrecht § 64, v. Richthofen, Rqu. S. 397 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/514>, abgerufen am 22.11.2024.