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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.

Der Anefang durfte an beweglichen Sachen nur vorgenommen
werden, wenn sie derart beschaffen waren, dass an ihnen ein Iden-
titätsnachweis geführt werden konnte. Dem Nachweis, dass die an-
geschlagene Sache mit der abhanden gekommenen identisch sei,
dienten bei Tieren und lebloser Fahrhabe jene Marken und Zeichen,
welche die Germanen von alters her auf allen wirtschaftlich belang-
reichen Gegenständen der Fahrhabe anzubringen pflegten 29. So wissen
wir z. B. aus der Lex Salica, dass die Salfranken ihr Vieh kenn-
zeichneten, indem sie ein Ohr des Tieres durchlochten 30. So erfahren
wir aus einer Stelle des langobardischen Ediktes, dass der Eigentümer,
der jemanden beauftragte, ein verlorenes Tier zn suchen, ihm zu
diesem Zwecke die signa des Tieres angab 31. Seinem formalen Zu-
schnitt entsprechend gestattete das ältere Recht, abgesehen von Sklaven,
den Identitätsnachweis nur durch Zeichen und Marken 32, ein Er-
fordernis, das den Anefang an Kleidern und anderen ungezeich-
neten Gegenständen schlechtweg abschnitt 33.

Das Anschlagen der Sache geschah in rechtsförmlicher Weise.
Für den Anefang an Vieh tauchen in jüngeren Rechtsquellen bestimmte
Formen auf, die aber sicherlich in hohes Altertum zurückreichen,
zumal sie uns auch im gälischen Rechte begegnen. Regel war, dass
die linke Hand (die Rechte blieb frei zum Schwur) das rechte, ver-
mutlich das gezeichnete Ohr des Tieres anfasste, während der rechte
Fuss auf das Vorderbein des Tieres trat. Mit dieser Handlung ver-
band sich eine mündliche Erklärung, durch die der Kläger behauptete,
dass ihm das Tier gestohlen oder geraubt worden sei, und den Be-
sitzer aufforderte, sich über den Erwerb auszuweisen 34.


29 Homeyer, die Haus- und Hofmarken 1870, S. 8 ff. 320. 335. Testamentum
Bertramni v. J. 615 bei Pardessus, Diplomata I Nr. 230, S. 208: caballos, qui ...
characterium sanctae ecclesiae habuerint ..; illorum vero, qui meum characterium
peculiare habuerint ...
30 Lex Sal. 9, 2 in Cod. 6 ff. Nach Jütsche Low II 105 weist der Kläger
durch die Ohrenmarke (fylsmerki) nach, dass das Tier von ihm auferzogen wurde,
Stemann S. 484, Anm. 1. Vgl. das Durchlochen des Ohres bei den Sklaven der
Hebräer in Exodus 21, 6.
31 Roth. 348. Vgl. Roth. 343.
32 Im jütischen Low wird daher verlangt, dass man Zeugen habe bei dem
Kauf von alledem, was sonderliche Marke an sich hat.
33 Lex Rib. 72, 9. Die Bedeutung der Marke für den Anefang beleuchtet
ein jüngerer Rechtsfall, Leidsche Rechtsbronnen S. 122, wo es heisst, dass der Kläger
an Weinfässern einen rechten Anefang gethan habe nach dem Rechte von Leiden,
wenn er seine Marken und Kerben von Fass zu Fass beweisen könne.
34 Dies bestreitet Hermann. Es folgt aber u. a. aus Lex Rib. 33, 4, wonach
§ 118. Spurfolge und Anefang.

Der Anefang durfte an beweglichen Sachen nur vorgenommen
werden, wenn sie derart beschaffen waren, daſs an ihnen ein Iden-
titätsnachweis geführt werden konnte. Dem Nachweis, daſs die an-
geschlagene Sache mit der abhanden gekommenen identisch sei,
dienten bei Tieren und lebloser Fahrhabe jene Marken und Zeichen,
welche die Germanen von alters her auf allen wirtschaftlich belang-
reichen Gegenständen der Fahrhabe anzubringen pflegten 29. So wissen
wir z. B. aus der Lex Salica, daſs die Salfranken ihr Vieh kenn-
zeichneten, indem sie ein Ohr des Tieres durchlochten 30. So erfahren
wir aus einer Stelle des langobardischen Ediktes, daſs der Eigentümer,
der jemanden beauftragte, ein verlorenes Tier zn suchen, ihm zu
diesem Zwecke die signa des Tieres angab 31. Seinem formalen Zu-
schnitt entsprechend gestattete das ältere Recht, abgesehen von Sklaven,
den Identitätsnachweis nur durch Zeichen und Marken 32, ein Er-
fordernis, das den Anefang an Kleidern und anderen ungezeich-
neten Gegenständen schlechtweg abschnitt 33.

Das Anschlagen der Sache geschah in rechtsförmlicher Weise.
Für den Anefang an Vieh tauchen in jüngeren Rechtsquellen bestimmte
Formen auf, die aber sicherlich in hohes Altertum zurückreichen,
zumal sie uns auch im gälischen Rechte begegnen. Regel war, daſs
die linke Hand (die Rechte blieb frei zum Schwur) das rechte, ver-
mutlich das gezeichnete Ohr des Tieres anfaſste, während der rechte
Fuſs auf das Vorderbein des Tieres trat. Mit dieser Handlung ver-
band sich eine mündliche Erklärung, durch die der Kläger behauptete,
daſs ihm das Tier gestohlen oder geraubt worden sei, und den Be-
sitzer aufforderte, sich über den Erwerb auszuweisen 34.


29 Homeyer, die Haus- und Hofmarken 1870, S. 8 ff. 320. 335. Testamentum
Bertramni v. J. 615 bei Pardessus, Diplomata I Nr. 230, S. 208: caballos, qui …
characterium sanctae ecclesiae habuerint ..; illorum vero, qui meum characterium
peculiare habuerint …
30 Lex Sal. 9, 2 in Cod. 6 ff. Nach Jütsche Low II 105 weist der Kläger
durch die Ohrenmarke (fylsmerki) nach, daſs das Tier von ihm auferzogen wurde,
Stemann S. 484, Anm. 1. Vgl. das Durchlochen des Ohres bei den Sklaven der
Hebräer in Exodus 21, 6.
31 Roth. 348. Vgl. Roth. 343.
32 Im jütischen Low wird daher verlangt, daſs man Zeugen habe bei dem
Kauf von alledem, was sonderliche Marke an sich hat.
33 Lex Rib. 72, 9. Die Bedeutung der Marke für den Anefang beleuchtet
ein jüngerer Rechtsfall, Leidsche Rechtsbronnen S. 122, wo es heiſst, daſs der Kläger
an Weinfässern einen rechten Anefang gethan habe nach dem Rechte von Leiden,
wenn er seine Marken und Kerben von Faſs zu Faſs beweisen könne.
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[500/0518] § 118. Spurfolge und Anefang. Der Anefang durfte an beweglichen Sachen nur vorgenommen werden, wenn sie derart beschaffen waren, daſs an ihnen ein Iden- titätsnachweis geführt werden konnte. Dem Nachweis, daſs die an- geschlagene Sache mit der abhanden gekommenen identisch sei, dienten bei Tieren und lebloser Fahrhabe jene Marken und Zeichen, welche die Germanen von alters her auf allen wirtschaftlich belang- reichen Gegenständen der Fahrhabe anzubringen pflegten 29. So wissen wir z. B. aus der Lex Salica, daſs die Salfranken ihr Vieh kenn- zeichneten, indem sie ein Ohr des Tieres durchlochten 30. So erfahren wir aus einer Stelle des langobardischen Ediktes, daſs der Eigentümer, der jemanden beauftragte, ein verlorenes Tier zn suchen, ihm zu diesem Zwecke die signa des Tieres angab 31. Seinem formalen Zu- schnitt entsprechend gestattete das ältere Recht, abgesehen von Sklaven, den Identitätsnachweis nur durch Zeichen und Marken 32, ein Er- fordernis, das den Anefang an Kleidern und anderen ungezeich- neten Gegenständen schlechtweg abschnitt 33. Das Anschlagen der Sache geschah in rechtsförmlicher Weise. Für den Anefang an Vieh tauchen in jüngeren Rechtsquellen bestimmte Formen auf, die aber sicherlich in hohes Altertum zurückreichen, zumal sie uns auch im gälischen Rechte begegnen. Regel war, daſs die linke Hand (die Rechte blieb frei zum Schwur) das rechte, ver- mutlich das gezeichnete Ohr des Tieres anfaſste, während der rechte Fuſs auf das Vorderbein des Tieres trat. Mit dieser Handlung ver- band sich eine mündliche Erklärung, durch die der Kläger behauptete, daſs ihm das Tier gestohlen oder geraubt worden sei, und den Be- sitzer aufforderte, sich über den Erwerb auszuweisen 34. 29 Homeyer, die Haus- und Hofmarken 1870, S. 8 ff. 320. 335. Testamentum Bertramni v. J. 615 bei Pardessus, Diplomata I Nr. 230, S. 208: caballos, qui … characterium sanctae ecclesiae habuerint ..; illorum vero, qui meum characterium peculiare habuerint … 30 Lex Sal. 9, 2 in Cod. 6 ff. Nach Jütsche Low II 105 weist der Kläger durch die Ohrenmarke (fylsmerki) nach, daſs das Tier von ihm auferzogen wurde, Stemann S. 484, Anm. 1. Vgl. das Durchlochen des Ohres bei den Sklaven der Hebräer in Exodus 21, 6. 31 Roth. 348. Vgl. Roth. 343. 32 Im jütischen Low wird daher verlangt, daſs man Zeugen habe bei dem Kauf von alledem, was sonderliche Marke an sich hat. 33 Lex Rib. 72, 9. Die Bedeutung der Marke für den Anefang beleuchtet ein jüngerer Rechtsfall, Leidsche Rechtsbronnen S. 122, wo es heiſst, daſs der Kläger an Weinfässern einen rechten Anefang gethan habe nach dem Rechte von Leiden, wenn er seine Marken und Kerben von Faſs zu Faſs beweisen könne. 34 Dies bestreitet Hermann. Es folgt aber u. a. aus Lex Rib. 33, 4, wonach

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/518>, abgerufen am 22.11.2024.