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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 120. Das Betreibungsverfahren.
auf Friedlosigkeit oder auf Busse erkannt werden konnte. Wie jene
setzte auch diese ein straf bares Unrecht voraus; denn auch die Busse
trug ein pönales Moment in sich. Ein Gerichtsverfahren, welches
keine direkte Zwangsvollstreckung kannte, sondern gegen den sach-
fälligen Beklagten nur die Friedloslegung zur Verfügung hatte, war
zur Geltendmachung von Civilsachen nicht geeignet. Vielmehr war
der Berechtigte dafür in ältester Zeit auf den ausschliesslichen Weg
der rechtlich geregelten Selbsthilfe angewiesen. Sollte ein privat-
rechtlicher, insbesondere ein vermögensrechtlicher Anspruch zur ge-
richtlichen Verfolgung reif werden, so musste der Gegner vorher in
strafbares Unrecht versetzt werden, das ihn bussfällig machte. Diesen
Zweck erfüllt das Betreibungs- oder Mahnverfahren, wie es uns in
den fränkischen Volksrechten, namentlich in der Lex Salica, und in
verwandter Ausgestaltung in den nordgermanischen Quellen begegnet.
Ursprünglich ein rein aussergerichtlicher Rechtsgang1 kann es im fränki-
schen Rechte, um gegen einen widersetzlichen Gegner zum Abschluss zu
gelangen, der Anrufung des Richters auch bei liquiden Ansprüchen
nicht mehr entbehren.

Die Lex Salica kennt ein Betreibungs- oder Mahnverfahren aus
drei Anlässen, nämlich das Verfahren ex fide facta, d. h. die
Geltendmachung eines rechtsförmlichen Schuldversprechens, mag es nun
gerichtlich oder aussergerichtlich abgegeben worden sein, ferner das
Verfahren ex re praestita2, d. h. die Durchführung des Anspruches auf
Rückerstattung der geliehenen Sache, und endlich das Verfahren gegen
den homo migrans, d. h. die Austreibung des Ausmärkers, der sich in
der Dorfmark niedergelassen hatte. Doch lässt sich nicht bezweifeln,
dass das Betreibungsverfahren auch bei anderen privatrechtlichen An-
sprüchen Platz griff, die nicht von einer Gegenleistung abhängig waren;
so z. B. bei Ansprüchen auf Rückgabe anvertrauten Gutes oder auf
Herausgabe einer Liegenschaft3.

Wesentlich ist dem Betreibungsverfahren eine aussergerichtliche
Mahnung, die in Gegenwart von Zeugen an den Verpflichteten ge-
richtet wird, ein Akt, welcher testare, contestare, admonere heisst.
Das testare hat die rechtliche Wirkung, dass der Gegner, der in Ver-
zug gesetzt ist, eine Busse wegen rechtswidriger Vorenthaltung der

1 Siehe oben I 184.
2 Die res praestita schliesst sowohl das Darlehen als den Leihevertrag in
sich. Über die Bedeutung von praestare siehe v. Richthofen, LL III 695,
Anm. 63 zu Lex Fris. Add. 10, 1.
3 Behrend a. O. S. 63.

§ 120. Das Betreibungsverfahren.
auf Friedlosigkeit oder auf Buſse erkannt werden konnte. Wie jene
setzte auch diese ein straf bares Unrecht voraus; denn auch die Buſse
trug ein pönales Moment in sich. Ein Gerichtsverfahren, welches
keine direkte Zwangsvollstreckung kannte, sondern gegen den sach-
fälligen Beklagten nur die Friedloslegung zur Verfügung hatte, war
zur Geltendmachung von Civilsachen nicht geeignet. Vielmehr war
der Berechtigte dafür in ältester Zeit auf den ausschlieſslichen Weg
der rechtlich geregelten Selbsthilfe angewiesen. Sollte ein privat-
rechtlicher, insbesondere ein vermögensrechtlicher Anspruch zur ge-
richtlichen Verfolgung reif werden, so muſste der Gegner vorher in
strafbares Unrecht versetzt werden, das ihn buſsfällig machte. Diesen
Zweck erfüllt das Betreibungs- oder Mahnverfahren, wie es uns in
den fränkischen Volksrechten, namentlich in der Lex Salica, und in
verwandter Ausgestaltung in den nordgermanischen Quellen begegnet.
Ursprünglich ein rein auſsergerichtlicher Rechtsgang1 kann es im fränki-
schen Rechte, um gegen einen widersetzlichen Gegner zum Abschluſs zu
gelangen, der Anrufung des Richters auch bei liquiden Ansprüchen
nicht mehr entbehren.

Die Lex Salica kennt ein Betreibungs- oder Mahnverfahren aus
drei Anlässen, nämlich das Verfahren ex fide facta, d. h. die
Geltendmachung eines rechtsförmlichen Schuldversprechens, mag es nun
gerichtlich oder auſsergerichtlich abgegeben worden sein, ferner das
Verfahren ex re praestita2, d. h. die Durchführung des Anspruches auf
Rückerstattung der geliehenen Sache, und endlich das Verfahren gegen
den homo migrans, d. h. die Austreibung des Ausmärkers, der sich in
der Dorfmark niedergelassen hatte. Doch läſst sich nicht bezweifeln,
daſs das Betreibungsverfahren auch bei anderen privatrechtlichen An-
sprüchen Platz griff, die nicht von einer Gegenleistung abhängig waren;
so z. B. bei Ansprüchen auf Rückgabe anvertrauten Gutes oder auf
Herausgabe einer Liegenschaft3.

Wesentlich ist dem Betreibungsverfahren eine auſsergerichtliche
Mahnung, die in Gegenwart von Zeugen an den Verpflichteten ge-
richtet wird, ein Akt, welcher testare, contestare, admonere heiſst.
Das testare hat die rechtliche Wirkung, daſs der Gegner, der in Ver-
zug gesetzt ist, eine Buſse wegen rechtswidriger Vorenthaltung der

1 Siehe oben I 184.
2 Die res praestita schlieſst sowohl das Darlehen als den Leihevertrag in
sich. Über die Bedeutung von praestare siehe v. Richthofen, LL III 695,
Anm. 63 zu Lex Fris. Add. 10, 1.
3 Behrend a. O. S. 63.
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[520/0538] § 120. Das Betreibungsverfahren. auf Friedlosigkeit oder auf Buſse erkannt werden konnte. Wie jene setzte auch diese ein straf bares Unrecht voraus; denn auch die Buſse trug ein pönales Moment in sich. Ein Gerichtsverfahren, welches keine direkte Zwangsvollstreckung kannte, sondern gegen den sach- fälligen Beklagten nur die Friedloslegung zur Verfügung hatte, war zur Geltendmachung von Civilsachen nicht geeignet. Vielmehr war der Berechtigte dafür in ältester Zeit auf den ausschlieſslichen Weg der rechtlich geregelten Selbsthilfe angewiesen. Sollte ein privat- rechtlicher, insbesondere ein vermögensrechtlicher Anspruch zur ge- richtlichen Verfolgung reif werden, so muſste der Gegner vorher in strafbares Unrecht versetzt werden, das ihn buſsfällig machte. Diesen Zweck erfüllt das Betreibungs- oder Mahnverfahren, wie es uns in den fränkischen Volksrechten, namentlich in der Lex Salica, und in verwandter Ausgestaltung in den nordgermanischen Quellen begegnet. Ursprünglich ein rein auſsergerichtlicher Rechtsgang 1 kann es im fränki- schen Rechte, um gegen einen widersetzlichen Gegner zum Abschluſs zu gelangen, der Anrufung des Richters auch bei liquiden Ansprüchen nicht mehr entbehren. Die Lex Salica kennt ein Betreibungs- oder Mahnverfahren aus drei Anlässen, nämlich das Verfahren ex fide facta, d. h. die Geltendmachung eines rechtsförmlichen Schuldversprechens, mag es nun gerichtlich oder auſsergerichtlich abgegeben worden sein, ferner das Verfahren ex re praestita 2, d. h. die Durchführung des Anspruches auf Rückerstattung der geliehenen Sache, und endlich das Verfahren gegen den homo migrans, d. h. die Austreibung des Ausmärkers, der sich in der Dorfmark niedergelassen hatte. Doch läſst sich nicht bezweifeln, daſs das Betreibungsverfahren auch bei anderen privatrechtlichen An- sprüchen Platz griff, die nicht von einer Gegenleistung abhängig waren; so z. B. bei Ansprüchen auf Rückgabe anvertrauten Gutes oder auf Herausgabe einer Liegenschaft 3. Wesentlich ist dem Betreibungsverfahren eine auſsergerichtliche Mahnung, die in Gegenwart von Zeugen an den Verpflichteten ge- richtet wird, ein Akt, welcher testare, contestare, admonere heiſst. Das testare hat die rechtliche Wirkung, daſs der Gegner, der in Ver- zug gesetzt ist, eine Buſse wegen rechtswidriger Vorenthaltung der 1 Siehe oben I 184. 2 Die res praestita schlieſst sowohl das Darlehen als den Leihevertrag in sich. Über die Bedeutung von praestare siehe v. Richthofen, LL III 695, Anm. 63 zu Lex Fris. Add. 10, 1. 3 Behrend a. O. S. 63.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/538>, abgerufen am 17.09.2024.