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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 131. Das Strafensystem.
lichen Strafen bezeichnet oder diese nebst den Freiheits- und Ehren-
strafen1. Allein wenn man unter öffentlicher Strafe diejenige ver-
steht, die dem Missethäter im Namen des Gemeinwesens zugefügt
wird, so fallen unter diesen Begriff auch Vermögensstrafen, wie die
Konfiskation, der fredus und der bannus. Andererseits giebt es pein-
liche Strafen, insbesondere Todesstrafen, die nicht den Charakter
der öffentlichen, sondern der Privatstrafe haben, weil sie den Ver-
brecher nicht im Namen des Gemeinwesens treffen. Das Organ, das
die Strafe vollzieht, ist für diesen Gegensatz unerheblich. Die öffent-
liche Gewalt kann die öffentliche Strafe auch von dem Verletzten voll-
strecken lassen, ohne dass sie sich zur Privatstrafe gestaltet, weil sie
nicht zugleich in den Willen des Verletzten gestellt wird2.

In den Quellen der fränkischen Zeit wird die Aufgabe des Staates,
das Verbrechen zu strafen, in gelegentlichen Wendungen durch An-
gabe verschiedenartiger Strafzwecke motiviert3. Energisch wird mit-
unter der religiöse, schon dem heidnisch-germanischen Strafrechte ge-
läufige Gedanke der Entsühnung des Gemeinwesens in einer dem
Christentum angepassten Auffassung geltend gemacht. Das Verbrechen
soll seine Strafe finden, damit Gottes Zorn versöhnt, gegenwärtiges
Unheil beseitigt, bevorstehendes verhütet werde4. Oder es wird als
Zweck der Strafe die Reinigung des Landes von sündhafter Befleckung
betont und unter diesem Gesichtspunkte die Vertilgung und Aus-
rottung gewisser Missethäter verlangt5. Obzwar die Quellen diesen

1 Wilda, Strafrecht S. 487. Boehlau, S. 72. Vgl. v. Amira, Recht S. 177.
2 Siehe oben S. 472 f.
3 Hälschner I 29. Boehlau S. 74. Waitz, VG IV 524. Günther
I 180. Glasson III 583.
4 Guntchramni edictum v. J. 585, Cap. I 11: cognovimus infra regni nostri
spatia universa scelera, quae canonibus et legibus pro divino timore puniri con-
suerunt, .. perpetrari et ex hoc procul dubio indignatione coelesti .. homines
ac pecora aut morbo consumi censentur aut gladio. Episcoporum ad Hludowicum
relatio v. J. 829, c. 54, Cap. II 44: sunt sane diversorum malorum patratores,
quos et lex divina improbat et condemnat, pro quorum etiam diversis sceleribus et
flagitiis populus fame et pestilentia flagellatur et ecclesiae status infirmatur et
regnum periclitatur. Karoli II concil. in Verno palatio v. J. 844, c. 12, Pertz LL
I 385: videmus iram Dei nobis et vobis imminere .. pro rapinis et immanibus
aliis sceleribus ... Conv. Silvac. v. J. 853, c. 12, Pertz LL I 425: si aliquis ..
rapinas vel depraedationes aut talia inlicita fecerit, de quibus Deus offendi solet ...
5 Cap. miss. v. J. 802, c. 25, I 96: castigentur (fures, latrones ...) secundum
legem, ut Deo largiente omnia haec mala a christiano populo auferantur. A. O. c. 33,
I 97: ut auferatur penitus (incestuosum scelus) et inmunditia populo christiano.
A. O. c. 37: Missi und Grafen sollen Verwandtenmörder in solcher vorläufigen
Haft behalten, ut salvi sint nec caeterum populum quoinquinent. Cap. Pap. v. J. 850,

§ 131. Das Strafensystem.
lichen Strafen bezeichnet oder diese nebst den Freiheits- und Ehren-
strafen1. Allein wenn man unter öffentlicher Strafe diejenige ver-
steht, die dem Missethäter im Namen des Gemeinwesens zugefügt
wird, so fallen unter diesen Begriff auch Vermögensstrafen, wie die
Konfiskation, der fredus und der bannus. Andererseits giebt es pein-
liche Strafen, insbesondere Todesstrafen, die nicht den Charakter
der öffentlichen, sondern der Privatstrafe haben, weil sie den Ver-
brecher nicht im Namen des Gemeinwesens treffen. Das Organ, das
die Strafe vollzieht, ist für diesen Gegensatz unerheblich. Die öffent-
liche Gewalt kann die öffentliche Strafe auch von dem Verletzten voll-
strecken lassen, ohne daſs sie sich zur Privatstrafe gestaltet, weil sie
nicht zugleich in den Willen des Verletzten gestellt wird2.

In den Quellen der fränkischen Zeit wird die Aufgabe des Staates,
das Verbrechen zu strafen, in gelegentlichen Wendungen durch An-
gabe verschiedenartiger Strafzwecke motiviert3. Energisch wird mit-
unter der religiöse, schon dem heidnisch-germanischen Strafrechte ge-
läufige Gedanke der Entsühnung des Gemeinwesens in einer dem
Christentum angepassten Auffassung geltend gemacht. Das Verbrechen
soll seine Strafe finden, damit Gottes Zorn versöhnt, gegenwärtiges
Unheil beseitigt, bevorstehendes verhütet werde4. Oder es wird als
Zweck der Strafe die Reinigung des Landes von sündhafter Befleckung
betont und unter diesem Gesichtspunkte die Vertilgung und Aus-
rottung gewisser Missethäter verlangt5. Obzwar die Quellen diesen

1 Wilda, Strafrecht S. 487. Boehlau, S. 72. Vgl. v. Amira, Recht S. 177.
2 Siehe oben S. 472 f.
3 Hälschner I 29. Boehlau S. 74. Waitz, VG IV 524. Günther
I 180. Glasson III 583.
4 Guntchramni edictum v. J. 585, Cap. I 11: cognovimus infra regni nostri
spatia universa scelera, quae canonibus et legibus pro divino timore puniri con-
suerunt, .. perpetrari et ex hoc procul dubio indignatione coelesti .. homines
ac pecora aut morbo consumi censentur aut gladio. Episcoporum ad Hludowicum
relatio v. J. 829, c. 54, Cap. II 44: sunt sane diversorum malorum patratores,
quos et lex divina improbat et condemnat, pro quorum etiam diversis sceleribus et
flagitiis populus fame et pestilentia flagellatur et ecclesiae status infirmatur et
regnum periclitatur. Karoli II concil. in Verno palatio v. J. 844, c. 12, Pertz LL
I 385: videmus iram Dei nobis et vobis imminere .. pro rapinis et immanibus
aliis sceleribus … Conv. Silvac. v. J. 853, c. 12, Pertz LL I 425: si aliquis ..
rapinas vel depraedationes aut talia inlicita fecerit, de quibus Deus offendi solet …
5 Cap. miss. v. J. 802, c. 25, I 96: castigentur (fures, latrones …) secundum
legem, ut Deo largiente omnia haec mala a christiano populo auferantur. A. O. c. 33,
I 97: ut auferatur penitus (incestuosum scelus) et inmunditia populo christiano.
A. O. c. 37: Missi und Grafen sollen Verwandtenmörder in solcher vorläufigen
Haft behalten, ut salvi sint nec caeterum populum quoinquinent. Cap. Pap. v. J. 850,
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[587/0605] § 131. Das Strafensystem. lichen Strafen bezeichnet oder diese nebst den Freiheits- und Ehren- strafen 1. Allein wenn man unter öffentlicher Strafe diejenige ver- steht, die dem Missethäter im Namen des Gemeinwesens zugefügt wird, so fallen unter diesen Begriff auch Vermögensstrafen, wie die Konfiskation, der fredus und der bannus. Andererseits giebt es pein- liche Strafen, insbesondere Todesstrafen, die nicht den Charakter der öffentlichen, sondern der Privatstrafe haben, weil sie den Ver- brecher nicht im Namen des Gemeinwesens treffen. Das Organ, das die Strafe vollzieht, ist für diesen Gegensatz unerheblich. Die öffent- liche Gewalt kann die öffentliche Strafe auch von dem Verletzten voll- strecken lassen, ohne daſs sie sich zur Privatstrafe gestaltet, weil sie nicht zugleich in den Willen des Verletzten gestellt wird 2. In den Quellen der fränkischen Zeit wird die Aufgabe des Staates, das Verbrechen zu strafen, in gelegentlichen Wendungen durch An- gabe verschiedenartiger Strafzwecke motiviert 3. Energisch wird mit- unter der religiöse, schon dem heidnisch-germanischen Strafrechte ge- läufige Gedanke der Entsühnung des Gemeinwesens in einer dem Christentum angepassten Auffassung geltend gemacht. Das Verbrechen soll seine Strafe finden, damit Gottes Zorn versöhnt, gegenwärtiges Unheil beseitigt, bevorstehendes verhütet werde 4. Oder es wird als Zweck der Strafe die Reinigung des Landes von sündhafter Befleckung betont und unter diesem Gesichtspunkte die Vertilgung und Aus- rottung gewisser Missethäter verlangt 5. Obzwar die Quellen diesen 1 Wilda, Strafrecht S. 487. Boehlau, S. 72. Vgl. v. Amira, Recht S. 177. 2 Siehe oben S. 472 f. 3 Hälschner I 29. Boehlau S. 74. Waitz, VG IV 524. Günther I 180. Glasson III 583. 4 Guntchramni edictum v. J. 585, Cap. I 11: cognovimus infra regni nostri spatia universa scelera, quae canonibus et legibus pro divino timore puniri con- suerunt, .. perpetrari et ex hoc procul dubio indignatione coelesti .. homines ac pecora aut morbo consumi censentur aut gladio. Episcoporum ad Hludowicum relatio v. J. 829, c. 54, Cap. II 44: sunt sane diversorum malorum patratores, quos et lex divina improbat et condemnat, pro quorum etiam diversis sceleribus et flagitiis populus fame et pestilentia flagellatur et ecclesiae status infirmatur et regnum periclitatur. Karoli II concil. in Verno palatio v. J. 844, c. 12, Pertz LL I 385: videmus iram Dei nobis et vobis imminere .. pro rapinis et immanibus aliis sceleribus … Conv. Silvac. v. J. 853, c. 12, Pertz LL I 425: si aliquis .. rapinas vel depraedationes aut talia inlicita fecerit, de quibus Deus offendi solet … 5 Cap. miss. v. J. 802, c. 25, I 96: castigentur (fures, latrones …) secundum legem, ut Deo largiente omnia haec mala a christiano populo auferantur. A. O. c. 33, I 97: ut auferatur penitus (incestuosum scelus) et inmunditia populo christiano. A. O. c. 37: Missi und Grafen sollen Verwandtenmörder in solcher vorläufigen Haft behalten, ut salvi sint nec caeterum populum quoinquinent. Cap. Pap. v. J. 850,

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/605>, abgerufen am 22.11.2024.