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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 136. Die Bussen.
den meisten Fällen 900 Solidi betrug 10. Während in den bisher ge-
nannten Rechten die Wehrlosigkeit des Weibes massgebend war, gingen
das salische, ribuarische und anglo-warnische Recht von der Erwägung
aus, dass das Weib in gewissem Alter höheren Rechtsschutzes besonders
bedürftig sei. Franken und Anglowarnen gaben daher den Frauen
gebärfähigen Alters dreifaches 11 Wergeld. Dagegen zeichneten die
Sachsen das Weib, das noch nicht geboren hatte, durch doppeltes Wer-
geld und doppelte Busse aus 12. Bei den Friesen besass das weibliche
Geschlecht die compositio des männlichen 13. Das ungeborene und das
ungetaufte Kind hatte nur einen Bruchteil des Wergeldes 14, dreifaches
dagegen nach salischem Rechte der unmündige und der noch nicht
wehrhaft gemachte Knabe 15. Eine Steigerung des Wergeldes be-
wirkten der Königsdienst, die geistlichen Weihen 16 und der höhere
Sonderfriede.

Das Wergeld des Verletzten wird als Sühne nicht nur des Tod-
schlags, sondern auch anderer Rechtsverletzungen bezahlt; so bei rechts-
widriger Verknechtung eines Freien, bei gewissen Sittlichkeitsverbrechen,
bei Entmannung eines Freien, bei rechtswidriger Freilassung durch
Schatzwurf und in anderen Fällen.

Durch manche Missethaten verwirkt der Verbrecher sein eigenes
Wergeld oder eine Busse, die dem einfachen oder mehrfachen Wer-
gelde des freien Mannes gleichkommt. Solche Busse hat den recht-
lichen Charakter der compositio, da sie ganz oder zum entsprechenden
Teile dem Verletzten zufällt.


10 Roth. 378. Vgl. Roth. 257. Hundert Solidi in dem Falle Liu. 146, achtzig
in Liu. 125. Hatte sich ein Weib an einem Kampfe beteiligt, so fiel die Un-
ehrenbusse aus, eo quod ad litem cocurrit, quod inhonestum est mulieribus facere.
Vgl. Lex Burg. 33, 3. Siehe Osenbrüggen S. 24, Schröder, RG S. 333, Anm. 16.
11 Lex Sal. 24, 6. Lex Rib. 12, 1; 13; 14. Lex Angliorum et Werinorum 48.
Dreifache Busse des Weibes liegt der Strafsatzung in Lex Sax. 64, 2 und wohl
auch der in Lex Sal. 30, 3 zu Grunde.
12 Lex Sax. 15: quicquid de superioribus factis in feminam committitur, si
virgo fuerit, dupliciter componatur, si iam enixa, simpliciter componatur. Virgo be-
deutet auch die verheiratete Frau, solange sie nicht über ein gewisses Alter hin-
aus ist. Vgl. Walter, RG II 106. Gaupp, Sachsen S. 109.
13 Lex Fris. Add. 5.
14 Siehe oben I 76, Anm. 39. Wilda, Strafrecht S. 718 ff.
15 Lex Sal. 24, 1. 2.
16 Über das Wergeld der Geistlichen in merowingischer Zeit siehe E. Loening
KR II 272. 309. In karolingischer Zeit wurde es erhöht. Cap. legg. add. v. J. 803,
c. 1, I 113. Vgl. oben I 388, Anm. 2. Das Cap. I 359, De clericorum percus-
soribus, gehört nicht mehr der karolingischen Zeit an.

§ 136. Die Buſsen.
den meisten Fällen 900 Solidi betrug 10. Während in den bisher ge-
nannten Rechten die Wehrlosigkeit des Weibes maſsgebend war, gingen
das salische, ribuarische und anglo-warnische Recht von der Erwägung
aus, daſs das Weib in gewissem Alter höheren Rechtsschutzes besonders
bedürftig sei. Franken und Anglowarnen gaben daher den Frauen
gebärfähigen Alters dreifaches 11 Wergeld. Dagegen zeichneten die
Sachsen das Weib, das noch nicht geboren hatte, durch doppeltes Wer-
geld und doppelte Buſse aus 12. Bei den Friesen besaſs das weibliche
Geschlecht die compositio des männlichen 13. Das ungeborene und das
ungetaufte Kind hatte nur einen Bruchteil des Wergeldes 14, dreifaches
dagegen nach salischem Rechte der unmündige und der noch nicht
wehrhaft gemachte Knabe 15. Eine Steigerung des Wergeldes be-
wirkten der Königsdienst, die geistlichen Weihen 16 und der höhere
Sonderfriede.

Das Wergeld des Verletzten wird als Sühne nicht nur des Tod-
schlags, sondern auch anderer Rechtsverletzungen bezahlt; so bei rechts-
widriger Verknechtung eines Freien, bei gewissen Sittlichkeitsverbrechen,
bei Entmannung eines Freien, bei rechtswidriger Freilassung durch
Schatzwurf und in anderen Fällen.

Durch manche Missethaten verwirkt der Verbrecher sein eigenes
Wergeld oder eine Buſse, die dem einfachen oder mehrfachen Wer-
gelde des freien Mannes gleichkommt. Solche Buſse hat den recht-
lichen Charakter der compositio, da sie ganz oder zum entsprechenden
Teile dem Verletzten zufällt.


10 Roth. 378. Vgl. Roth. 257. Hundert Solidi in dem Falle Liu. 146, achtzig
in Liu. 125. Hatte sich ein Weib an einem Kampfe beteiligt, so fiel die Un-
ehrenbuſse aus, eo quod ad litem cocurrit, quod inhonestum est mulieribus facere.
Vgl. Lex Burg. 33, 3. Siehe Osenbrüggen S. 24, Schröder, RG S. 333, Anm. 16.
11 Lex Sal. 24, 6. Lex Rib. 12, 1; 13; 14. Lex Angliorum et Werinorum 48.
Dreifache Buſse des Weibes liegt der Strafsatzung in Lex Sax. 64, 2 und wohl
auch der in Lex Sal. 30, 3 zu Grunde.
12 Lex Sax. 15: quicquid de superioribus factis in feminam committitur, si
virgo fuerit, dupliciter componatur, si iam enixa, simpliciter componatur. Virgo be-
deutet auch die verheiratete Frau, solange sie nicht über ein gewisses Alter hin-
aus ist. Vgl. Walter, RG II 106. Gaupp, Sachsen S. 109.
13 Lex Fris. Add. 5.
14 Siehe oben I 76, Anm. 39. Wilda, Strafrecht S. 718 ff.
15 Lex Sal. 24, 1. 2.
16 Über das Wergeld der Geistlichen in merowingischer Zeit siehe E. Loening
KR II 272. 309. In karolingischer Zeit wurde es erhöht. Cap. legg. add. v. J. 803,
c. 1, I 113. Vgl. oben I 388, Anm. 2. Das Cap. I 359, De clericorum percus-
soribus, gehört nicht mehr der karolingischen Zeit an.
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[615/0633] § 136. Die Buſsen. den meisten Fällen 900 Solidi betrug 10. Während in den bisher ge- nannten Rechten die Wehrlosigkeit des Weibes maſsgebend war, gingen das salische, ribuarische und anglo-warnische Recht von der Erwägung aus, daſs das Weib in gewissem Alter höheren Rechtsschutzes besonders bedürftig sei. Franken und Anglowarnen gaben daher den Frauen gebärfähigen Alters dreifaches 11 Wergeld. Dagegen zeichneten die Sachsen das Weib, das noch nicht geboren hatte, durch doppeltes Wer- geld und doppelte Buſse aus 12. Bei den Friesen besaſs das weibliche Geschlecht die compositio des männlichen 13. Das ungeborene und das ungetaufte Kind hatte nur einen Bruchteil des Wergeldes 14, dreifaches dagegen nach salischem Rechte der unmündige und der noch nicht wehrhaft gemachte Knabe 15. Eine Steigerung des Wergeldes be- wirkten der Königsdienst, die geistlichen Weihen 16 und der höhere Sonderfriede. Das Wergeld des Verletzten wird als Sühne nicht nur des Tod- schlags, sondern auch anderer Rechtsverletzungen bezahlt; so bei rechts- widriger Verknechtung eines Freien, bei gewissen Sittlichkeitsverbrechen, bei Entmannung eines Freien, bei rechtswidriger Freilassung durch Schatzwurf und in anderen Fällen. Durch manche Missethaten verwirkt der Verbrecher sein eigenes Wergeld oder eine Buſse, die dem einfachen oder mehrfachen Wer- gelde des freien Mannes gleichkommt. Solche Buſse hat den recht- lichen Charakter der compositio, da sie ganz oder zum entsprechenden Teile dem Verletzten zufällt. 10 Roth. 378. Vgl. Roth. 257. Hundert Solidi in dem Falle Liu. 146, achtzig in Liu. 125. Hatte sich ein Weib an einem Kampfe beteiligt, so fiel die Un- ehrenbuſse aus, eo quod ad litem cocurrit, quod inhonestum est mulieribus facere. Vgl. Lex Burg. 33, 3. Siehe Osenbrüggen S. 24, Schröder, RG S. 333, Anm. 16. 11 Lex Sal. 24, 6. Lex Rib. 12, 1; 13; 14. Lex Angliorum et Werinorum 48. Dreifache Buſse des Weibes liegt der Strafsatzung in Lex Sax. 64, 2 und wohl auch der in Lex Sal. 30, 3 zu Grunde. 12 Lex Sax. 15: quicquid de superioribus factis in feminam committitur, si virgo fuerit, dupliciter componatur, si iam enixa, simpliciter componatur. Virgo be- deutet auch die verheiratete Frau, solange sie nicht über ein gewisses Alter hin- aus ist. Vgl. Walter, RG II 106. Gaupp, Sachsen S. 109. 13 Lex Fris. Add. 5. 14 Siehe oben I 76, Anm. 39. Wilda, Strafrecht S. 718 ff. 15 Lex Sal. 24, 1. 2. 16 Über das Wergeld der Geistlichen in merowingischer Zeit siehe E. Loening KR II 272. 309. In karolingischer Zeit wurde es erhöht. Cap. legg. add. v. J. 803, c. 1, I 113. Vgl. oben I 388, Anm. 2. Das Cap. I 359, De clericorum percus- soribus, gehört nicht mehr der karolingischen Zeit an.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/633>, abgerufen am 17.06.2024.