Dagegen fügen sich nicht mehr unter den Begriff der compositio die Wergelder und die sonstigen Lösungstaxen, um die der Misse- thäter eine zuerkannte Lebens- oder Leibesstrafe ablösen darf. Während bei den Wergeldbussen die Strafsatzung in erster Linie auf compositio lautet und demnach das Urteil darauf erkennt, wird in Fällen der redemptio vitae (capitis) Verwirkung des Lebens angedroht und dem- gemäss im Urteile ausgesprochen, dem Schuldigen aber die Befugnis gewährt, die Acht oder Lebensstrafe um sein Wergeld zu ledigen 17. Ähnlich liegt die Sache, wo auf die Missethat nach dem Schema: manum perdat aut redimat, eine ablösbare Leibesstrafe gesetzt ist. So- fern die peinliche Strafe den reinen Charakter der öffentlichen Strafe besass, fiel die Lösungstaxe ungeteilt an die öffentliche Gewalt 18. Wenn sie gesetzlich normierte Privatstrafe war, erhielt wohl der Verletzte die Lösungssumme oder mindestens einen Anteil. Obzwar von den Bussen grundsätzlich verschieden, haben sich doch im laufe der Zeit ursprüngliche Redemptionstaxen in wahre Bussen, compositiones, um- gewandelt 19, ein Vorgang, den wir vereinzelt noch im neunten Jahr- hundert wahrnehmen können 20.
Die den Volksrechten eigentümlichen Bussen im engeren Sinne sind von einer geradezu verwirrenden Mannigfaltigkeit. Nichtdesto- weniger ergiebt eine nähere Untersuchung, dass sie ihre Entstehung nicht willkürlichen Ansätzen verdanken, dass vielmehr die scheinbar systemlose und fast unübersehbare Menge von Busszahlen auf ver- hältnismässig einfachen Grundlagen beruht. Die einzelnen Busszahlen stellen sich nämlich als Bruchteile des Wergeldes dar, oder sie führen auf eine bestimmte Grundbusse zurück, durch deren Teilung oder Ver- vielfältigung abgeleitete Bussansätze entstanden sind.
Wohl bei allen Stämmen haben die ursprünglichen Bussbeträge
17 Lex Sal. 50, 4: de vita culpabilis esse debet aut, quantum valet, se redemat; 51, 2: aut se redimat aut de vita conponet. Pactus pro tenore pacis c. 2: et si latro redimendi se habeat facultatem ..; et si non redimitur, vita carebit.
18 Lex Chamav. c. 32: si quis in sanctis reliquiis se periuraverit, manum suam perdat aut eam redimat quarta parte de sua leode in dominico. Nach Knut II 36 beziehen Herr (hlaford) und Bischof das halbe Wergeld, um das der Meineidige die verwirkte Hand erkauft.
19 Eine Wergeldbusse erscheint in Lex Rib. 85 an Stelle der in Lex Sal. 55 angedrohten Friedlosigkeit. In Lex Rib. a. O. heisst es: 200 solidos ... cul- pabilis iudicetur vel wargus sit. In der Lex Sal. steht das wargus sit voran.
20 Cap. legg. add. v. J. 818/9, c. 10, I 283 sagt von falschen Zeugen: manus suas redimant, cuius conpositionis duae partes ei, contra quem testati sunt, dentur, tertia pro fredo solvatur. Die Redemptionstaxe ist hier in eine compositio umgewandelt und als Busse angedroht.
§ 136. Die Buſsen.
Dagegen fügen sich nicht mehr unter den Begriff der compositio die Wergelder und die sonstigen Lösungstaxen, um die der Misse- thäter eine zuerkannte Lebens- oder Leibesstrafe ablösen darf. Während bei den Wergeldbuſsen die Strafsatzung in erster Linie auf compositio lautet und demnach das Urteil darauf erkennt, wird in Fällen der redemptio vitae (capitis) Verwirkung des Lebens angedroht und dem- gemäſs im Urteile ausgesprochen, dem Schuldigen aber die Befugnis gewährt, die Acht oder Lebensstrafe um sein Wergeld zu ledigen 17. Ähnlich liegt die Sache, wo auf die Missethat nach dem Schema: manum perdat aut redimat, eine ablösbare Leibesstrafe gesetzt ist. So- fern die peinliche Strafe den reinen Charakter der öffentlichen Strafe besaſs, fiel die Lösungstaxe ungeteilt an die öffentliche Gewalt 18. Wenn sie gesetzlich normierte Privatstrafe war, erhielt wohl der Verletzte die Lösungssumme oder mindestens einen Anteil. Obzwar von den Buſsen grundsätzlich verschieden, haben sich doch im laufe der Zeit ursprüngliche Redemptionstaxen in wahre Buſsen, compositiones, um- gewandelt 19, ein Vorgang, den wir vereinzelt noch im neunten Jahr- hundert wahrnehmen können 20.
Die den Volksrechten eigentümlichen Buſsen im engeren Sinne sind von einer geradezu verwirrenden Mannigfaltigkeit. Nichtdesto- weniger ergiebt eine nähere Untersuchung, daſs sie ihre Entstehung nicht willkürlichen Ansätzen verdanken, daſs vielmehr die scheinbar systemlose und fast unübersehbare Menge von Buſszahlen auf ver- hältnismäſsig einfachen Grundlagen beruht. Die einzelnen Buſszahlen stellen sich nämlich als Bruchteile des Wergeldes dar, oder sie führen auf eine bestimmte Grundbuſse zurück, durch deren Teilung oder Ver- vielfältigung abgeleitete Buſsansätze entstanden sind.
Wohl bei allen Stämmen haben die ursprünglichen Buſsbeträge
17 Lex Sal. 50, 4: de vita culpabilis esse debet aut, quantum valet, se redemat; 51, 2: aut se redimat aut de vita conponet. Pactus pro tenore pacis c. 2: et si latro redimendi se habeat facultatem ..; et si non redimitur, vita carebit.
18 Lex Chamav. c. 32: si quis in sanctis reliquiis se periuraverit, manum suam perdat aut eam redimat quarta parte de sua leode in dominico. Nach Knut II 36 beziehen Herr (hlaford) und Bischof das halbe Wergeld, um das der Meineidige die verwirkte Hand erkauft.
19 Eine Wergeldbuſse erscheint in Lex Rib. 85 an Stelle der in Lex Sal. 55 angedrohten Friedlosigkeit. In Lex Rib. a. O. heiſst es: 200 solidos … cul- pabilis iudicetur vel wargus sit. In der Lex Sal. steht das wargus sit voran.
20 Cap. legg. add. v. J. 818/9, c. 10, I 283 sagt von falschen Zeugen: manus suas redimant, cuius conpositionis duae partes ei, contra quem testati sunt, dentur, tertia pro fredo solvatur. Die Redemptionstaxe ist hier in eine compositio umgewandelt und als Buſse angedroht.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0634"n="616"/><fwplace="top"type="header">§ 136. Die Buſsen.</fw><lb/><p>Dagegen fügen sich nicht mehr unter den Begriff der compositio<lb/>
die Wergelder und die sonstigen Lösungstaxen, um die der Misse-<lb/>
thäter eine zuerkannte Lebens- oder Leibesstrafe ablösen darf. Während<lb/>
bei den Wergeldbuſsen die Strafsatzung in erster Linie auf compositio<lb/>
lautet und demnach das Urteil darauf erkennt, wird in Fällen der<lb/>
redemptio vitae (capitis) Verwirkung des Lebens angedroht und dem-<lb/>
gemäſs im Urteile ausgesprochen, dem Schuldigen aber die Befugnis<lb/>
gewährt, die Acht oder Lebensstrafe um sein Wergeld zu ledigen <noteplace="foot"n="17">Lex Sal. 50, 4: de vita culpabilis esse debet aut, quantum valet, se redemat;<lb/>
51, 2: aut se redimat aut de vita conponet. Pactus pro tenore pacis c. 2: et si<lb/>
latro redimendi se habeat facultatem ..; et si non redimitur, vita carebit.</note>.<lb/>
Ähnlich liegt die Sache, wo auf die Missethat nach dem Schema:<lb/>
manum perdat aut redimat, eine ablösbare Leibesstrafe gesetzt ist. So-<lb/>
fern die peinliche Strafe den reinen Charakter der öffentlichen Strafe<lb/>
besaſs, fiel die Lösungstaxe ungeteilt an die öffentliche Gewalt <noteplace="foot"n="18">Lex Chamav. c. 32: si quis in sanctis reliquiis se periuraverit, manum suam<lb/>
perdat aut eam redimat quarta parte de sua leode in dominico. Nach Knut II 36<lb/>
beziehen Herr (hlaford) und Bischof das halbe Wergeld, um das der Meineidige<lb/>
die verwirkte Hand erkauft.</note>. Wenn<lb/>
sie gesetzlich normierte Privatstrafe war, erhielt wohl der Verletzte<lb/>
die Lösungssumme oder mindestens einen Anteil. Obzwar von den<lb/>
Buſsen grundsätzlich verschieden, haben sich doch im laufe der Zeit<lb/>
ursprüngliche Redemptionstaxen in wahre Buſsen, compositiones, um-<lb/>
gewandelt <noteplace="foot"n="19">Eine Wergeldbuſse erscheint in Lex Rib. 85 an Stelle der in Lex Sal.<lb/>
55 angedrohten Friedlosigkeit. In Lex Rib. a. O. heiſst es: 200 solidos … cul-<lb/>
pabilis iudicetur vel wargus sit. In der Lex Sal. steht das wargus sit voran.</note>, ein Vorgang, den wir vereinzelt noch im neunten Jahr-<lb/>
hundert wahrnehmen können <noteplace="foot"n="20">Cap. legg. add. v. J. 818/9, c. 10, I 283 sagt von falschen Zeugen: manus<lb/>
suas redimant, cuius <hirendition="#g">conpositionis</hi> duae partes ei, contra quem testati sunt,<lb/>
dentur, tertia pro fredo solvatur. Die Redemptionstaxe ist hier in eine compositio<lb/>
umgewandelt und als Buſse angedroht.</note>.</p><lb/><p>Die den Volksrechten eigentümlichen Buſsen im engeren Sinne<lb/>
sind von einer geradezu verwirrenden Mannigfaltigkeit. Nichtdesto-<lb/>
weniger ergiebt eine nähere Untersuchung, daſs sie ihre Entstehung<lb/>
nicht willkürlichen Ansätzen verdanken, daſs vielmehr die scheinbar<lb/>
systemlose und fast unübersehbare Menge von Buſszahlen auf ver-<lb/>
hältnismäſsig einfachen Grundlagen beruht. Die einzelnen Buſszahlen<lb/>
stellen sich nämlich als Bruchteile des Wergeldes dar, oder sie führen<lb/>
auf eine bestimmte Grundbuſse zurück, durch deren Teilung oder Ver-<lb/>
vielfältigung abgeleitete Buſsansätze entstanden sind.</p><lb/><p>Wohl bei allen Stämmen haben die ursprünglichen Buſsbeträge<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[616/0634]
§ 136. Die Buſsen.
Dagegen fügen sich nicht mehr unter den Begriff der compositio
die Wergelder und die sonstigen Lösungstaxen, um die der Misse-
thäter eine zuerkannte Lebens- oder Leibesstrafe ablösen darf. Während
bei den Wergeldbuſsen die Strafsatzung in erster Linie auf compositio
lautet und demnach das Urteil darauf erkennt, wird in Fällen der
redemptio vitae (capitis) Verwirkung des Lebens angedroht und dem-
gemäſs im Urteile ausgesprochen, dem Schuldigen aber die Befugnis
gewährt, die Acht oder Lebensstrafe um sein Wergeld zu ledigen 17.
Ähnlich liegt die Sache, wo auf die Missethat nach dem Schema:
manum perdat aut redimat, eine ablösbare Leibesstrafe gesetzt ist. So-
fern die peinliche Strafe den reinen Charakter der öffentlichen Strafe
besaſs, fiel die Lösungstaxe ungeteilt an die öffentliche Gewalt 18. Wenn
sie gesetzlich normierte Privatstrafe war, erhielt wohl der Verletzte
die Lösungssumme oder mindestens einen Anteil. Obzwar von den
Buſsen grundsätzlich verschieden, haben sich doch im laufe der Zeit
ursprüngliche Redemptionstaxen in wahre Buſsen, compositiones, um-
gewandelt 19, ein Vorgang, den wir vereinzelt noch im neunten Jahr-
hundert wahrnehmen können 20.
Die den Volksrechten eigentümlichen Buſsen im engeren Sinne
sind von einer geradezu verwirrenden Mannigfaltigkeit. Nichtdesto-
weniger ergiebt eine nähere Untersuchung, daſs sie ihre Entstehung
nicht willkürlichen Ansätzen verdanken, daſs vielmehr die scheinbar
systemlose und fast unübersehbare Menge von Buſszahlen auf ver-
hältnismäſsig einfachen Grundlagen beruht. Die einzelnen Buſszahlen
stellen sich nämlich als Bruchteile des Wergeldes dar, oder sie führen
auf eine bestimmte Grundbuſse zurück, durch deren Teilung oder Ver-
vielfältigung abgeleitete Buſsansätze entstanden sind.
Wohl bei allen Stämmen haben die ursprünglichen Buſsbeträge
17 Lex Sal. 50, 4: de vita culpabilis esse debet aut, quantum valet, se redemat;
51, 2: aut se redimat aut de vita conponet. Pactus pro tenore pacis c. 2: et si
latro redimendi se habeat facultatem ..; et si non redimitur, vita carebit.
18 Lex Chamav. c. 32: si quis in sanctis reliquiis se periuraverit, manum suam
perdat aut eam redimat quarta parte de sua leode in dominico. Nach Knut II 36
beziehen Herr (hlaford) und Bischof das halbe Wergeld, um das der Meineidige
die verwirkte Hand erkauft.
19 Eine Wergeldbuſse erscheint in Lex Rib. 85 an Stelle der in Lex Sal.
55 angedrohten Friedlosigkeit. In Lex Rib. a. O. heiſst es: 200 solidos … cul-
pabilis iudicetur vel wargus sit. In der Lex Sal. steht das wargus sit voran.
20 Cap. legg. add. v. J. 818/9, c. 10, I 283 sagt von falschen Zeugen: manus
suas redimant, cuius conpositionis duae partes ei, contra quem testati sunt,
dentur, tertia pro fredo solvatur. Die Redemptionstaxe ist hier in eine compositio
umgewandelt und als Buſse angedroht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/634>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.