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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 145. Zauberei, Meineid und Walraub.
die Vergiftung 3. Weil sie aus Kräutern Gifttränke bereitet, heisst die
Hexe (stria, striga) in den Volksrechten mitunter schlechtweg herbaria,
wie denn auch das Wort veneficium für schädliche Zauberei gebraucht
wird. Tötung durch Gift, in den fränkischen und oberdeutschen
Volksrechten als Unterart der Zauberei behandelt, wird nach diesen
und nach langobardischem Rechte mit dem Wergelde des Getöteten
gesühnt 4. Doch steht im Hintergrunde der compositio der Feuertod
als Privatstrafe oder als Racheakt 5. Jener war wohl auch regelmässig
das Los des Unfreien, den der Herr den Verwandten des Vergifteten
ausgeliefert hatte, nach langobardischem Rechte ohne das Recht der
Lösung zur Tötung ausliefern musste. Andere Rechte behandeln bei
Freien das Verbrechen schlechtweg als ein todeswürdiges; so die
Lex Wisigothorum, die wegen Giftmordes 'mortem turpissimam' an-
droht 6, so das angelsächsische und das schwedische Recht 7.

Gleiche Strafen verwirkt, wer durch sonstige Zauberkünste einen
Menschen um das Leben bringt. So setzt eine Stelle der Lex Salica
das Wergeld des Getöteten als Busse, wenn eine Hexe überführt wird,
einen Menschen verzehrt zu haben 8. Dass der Aberglaube, eine Hexe
könne einen Menschen verzehren, auch bei Langobarden und Sachsen
noch im Schwange war und dass man Weiber um solcher Mahlzeit
willen zu verbrennen pflegte, lässt eine Satzung Rotharis ersehen, die
auf das Verbrennen von Hexen hohe Busse setzt, und ein Kapitular
Karls des Grossen für Sachsen, worin es bei Todesstrafe ver-
boten wird 9.

Giftgeben und Zauberei, die nicht den Tod des Opfers zur Folge
haben, ahndet das salische Recht mit der Busse der Lebensgefährdung,

3 Ags. lyblac aus lyb, fascinum, venenum. Vgl. hochd. lüppe coagulum und
lupperei Giftmischerei, Zauberei.
4 Lex Sal. 19, 1 im Titel de maleficiis. Septem Causae VI 2. Lex Rib. 83:
si quis ... per maleficium (in jüngeren Texten per venenum seu per aliquod male-
ficium) aliquem perdiderit, weregildum componat. Pactus Alam. II 35, wo sicher-
lich auch die Vergiftung inbegriffen ist. Meichelbeck Nr. 683 oben S. 277, Anm. 11.
Rothari 141.
5 Lex Sal. 19, 1, Cod. 2 (siehe oben S. 471, Anm. 19). Pactus Alam. II 35
(siehe oben S. 676, Anm. 30). Greg. Tur. Hist. Franc. VI 35.
6 Lex Wisig. VI 2, 2.
7 Aethelstan II 6. Doch können die Magen des Schuldigen ihn, wenn er im
Ordal überführt worden ist, nach einer Kerkerhaft von 120 Nächten auslösen, in-
dem sie die Were des Getöteten und ausserdem an den König 120 Schillinge zahlen
und für sein zukünftiges Verhalten Bürgschaft leisten. Wilda, Strafrecht S. 966 f.
8 Lex Sal. 64, 3, Cod. 5. 6. 10. Emendata.
9 Roth. 376. Cap. de part. Sax. c. 6, I 68. Grimm, Mythologie S. 1034.

§ 145. Zauberei, Meineid und Walraub.
die Vergiftung 3. Weil sie aus Kräutern Gifttränke bereitet, heiſst die
Hexe (stria, striga) in den Volksrechten mitunter schlechtweg herbaria,
wie denn auch das Wort veneficium für schädliche Zauberei gebraucht
wird. Tötung durch Gift, in den fränkischen und oberdeutschen
Volksrechten als Unterart der Zauberei behandelt, wird nach diesen
und nach langobardischem Rechte mit dem Wergelde des Getöteten
gesühnt 4. Doch steht im Hintergrunde der compositio der Feuertod
als Privatstrafe oder als Racheakt 5. Jener war wohl auch regelmäſsig
das Los des Unfreien, den der Herr den Verwandten des Vergifteten
ausgeliefert hatte, nach langobardischem Rechte ohne das Recht der
Lösung zur Tötung ausliefern muſste. Andere Rechte behandeln bei
Freien das Verbrechen schlechtweg als ein todeswürdiges; so die
Lex Wisigothorum, die wegen Giftmordes ‘mortem turpissimam’ an-
droht 6, so das angelsächsische und das schwedische Recht 7.

Gleiche Strafen verwirkt, wer durch sonstige Zauberkünste einen
Menschen um das Leben bringt. So setzt eine Stelle der Lex Salica
das Wergeld des Getöteten als Buſse, wenn eine Hexe überführt wird,
einen Menschen verzehrt zu haben 8. Daſs der Aberglaube, eine Hexe
könne einen Menschen verzehren, auch bei Langobarden und Sachsen
noch im Schwange war und daſs man Weiber um solcher Mahlzeit
willen zu verbrennen pflegte, läſst eine Satzung Rotharis ersehen, die
auf das Verbrennen von Hexen hohe Buſse setzt, und ein Kapitular
Karls des Groſsen für Sachsen, worin es bei Todesstrafe ver-
boten wird 9.

Giftgeben und Zauberei, die nicht den Tod des Opfers zur Folge
haben, ahndet das salische Recht mit der Buſse der Lebensgefährdung,

3 Ags. lyblác aus lyb, fascinum, venenum. Vgl. hochd. lüppe coagulum und
lupperei Giftmischerei, Zauberei.
4 Lex Sal. 19, 1 im Titel de maleficiis. Septem Causae VI 2. Lex Rib. 83:
si quis … per maleficium (in jüngeren Texten per venenum seu per aliquod male-
ficium) aliquem perdiderit, weregildum componat. Pactus Alam. II 35, wo sicher-
lich auch die Vergiftung inbegriffen ist. Meichelbeck Nr. 683 oben S. 277, Anm. 11.
Rothari 141.
5 Lex Sal. 19, 1, Cod. 2 (siehe oben S. 471, Anm. 19). Pactus Alam. II 35
(siehe oben S. 676, Anm. 30). Greg. Tur. Hist. Franc. VI 35.
6 Lex Wisig. VI 2, 2.
7 Aethelstan II 6. Doch können die Magen des Schuldigen ihn, wenn er im
Ordal überführt worden ist, nach einer Kerkerhaft von 120 Nächten auslösen, in-
dem sie die Were des Getöteten und auſserdem an den König 120 Schillinge zahlen
und für sein zukünftiges Verhalten Bürgschaft leisten. Wilda, Strafrecht S. 966 f.
8 Lex Sal. 64, 3, Cod. 5. 6. 10. Emendata.
9 Roth. 376. Cap. de part. Sax. c. 6, I 68. Grimm, Mythologie S. 1034.
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[679/0697] § 145. Zauberei, Meineid und Walraub. die Vergiftung 3. Weil sie aus Kräutern Gifttränke bereitet, heiſst die Hexe (stria, striga) in den Volksrechten mitunter schlechtweg herbaria, wie denn auch das Wort veneficium für schädliche Zauberei gebraucht wird. Tötung durch Gift, in den fränkischen und oberdeutschen Volksrechten als Unterart der Zauberei behandelt, wird nach diesen und nach langobardischem Rechte mit dem Wergelde des Getöteten gesühnt 4. Doch steht im Hintergrunde der compositio der Feuertod als Privatstrafe oder als Racheakt 5. Jener war wohl auch regelmäſsig das Los des Unfreien, den der Herr den Verwandten des Vergifteten ausgeliefert hatte, nach langobardischem Rechte ohne das Recht der Lösung zur Tötung ausliefern muſste. Andere Rechte behandeln bei Freien das Verbrechen schlechtweg als ein todeswürdiges; so die Lex Wisigothorum, die wegen Giftmordes ‘mortem turpissimam’ an- droht 6, so das angelsächsische und das schwedische Recht 7. Gleiche Strafen verwirkt, wer durch sonstige Zauberkünste einen Menschen um das Leben bringt. So setzt eine Stelle der Lex Salica das Wergeld des Getöteten als Buſse, wenn eine Hexe überführt wird, einen Menschen verzehrt zu haben 8. Daſs der Aberglaube, eine Hexe könne einen Menschen verzehren, auch bei Langobarden und Sachsen noch im Schwange war und daſs man Weiber um solcher Mahlzeit willen zu verbrennen pflegte, läſst eine Satzung Rotharis ersehen, die auf das Verbrennen von Hexen hohe Buſse setzt, und ein Kapitular Karls des Groſsen für Sachsen, worin es bei Todesstrafe ver- boten wird 9. Giftgeben und Zauberei, die nicht den Tod des Opfers zur Folge haben, ahndet das salische Recht mit der Buſse der Lebensgefährdung, 3 Ags. lyblác aus lyb, fascinum, venenum. Vgl. hochd. lüppe coagulum und lupperei Giftmischerei, Zauberei. 4 Lex Sal. 19, 1 im Titel de maleficiis. Septem Causae VI 2. Lex Rib. 83: si quis … per maleficium (in jüngeren Texten per venenum seu per aliquod male- ficium) aliquem perdiderit, weregildum componat. Pactus Alam. II 35, wo sicher- lich auch die Vergiftung inbegriffen ist. Meichelbeck Nr. 683 oben S. 277, Anm. 11. Rothari 141. 5 Lex Sal. 19, 1, Cod. 2 (siehe oben S. 471, Anm. 19). Pactus Alam. II 35 (siehe oben S. 676, Anm. 30). Greg. Tur. Hist. Franc. VI 35. 6 Lex Wisig. VI 2, 2. 7 Aethelstan II 6. Doch können die Magen des Schuldigen ihn, wenn er im Ordal überführt worden ist, nach einer Kerkerhaft von 120 Nächten auslösen, in- dem sie die Were des Getöteten und auſserdem an den König 120 Schillinge zahlen und für sein zukünftiges Verhalten Bürgschaft leisten. Wilda, Strafrecht S. 966 f. 8 Lex Sal. 64, 3, Cod. 5. 6. 10. Emendata. 9 Roth. 376. Cap. de part. Sax. c. 6, I 68. Grimm, Mythologie S. 1034.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/697>, abgerufen am 22.11.2024.