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Buchner, Wilhelm: Das ärztliche Studium der Frauen. In: Die Grenzboten 3 (1892). S. 205-212, 251-258.

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Das ärztliche Studium der Frauen
der äußersten Rechten für Zulassung der Frauen zum ärztlichen Studium aus-
sprach, während ein Teil der Rechten, nach der Versicherung des Abgeordneten
Hartmann die Mehrheit der konservativen Partei, grundsätzlich Einspruch er-
hob; vom Zentrum trat kein Redner auf, aber es spendete den Worten des
Abgeordneten Stöcker Beifall. Daß auch vom Regierungstische kein Einspruch
erfolgte, sondern Billigung, war umso überraschender, weil man dies nach
den frühern Verhandlungen kaum erwarten durfte.

Es mag das seinen Grund darin haben, daß nach den Umwandlungen
auf dem Gebiete des höhern Knabenunterrichts die bisherige Ausschließlichkeit
der Vorbereitung für die Universitäten sich wohl nicht mehr aufrecht erhalten
läßt. Das Studium der historischen Wissenschaften, der Theologie und Philo-
sophie, der Sprachforschung und Geschichte, wird auch weiterhin auf der Grund-
lage der Kenntnis der alten Sprachen aufgebaut werden müssen. Die Heil-
kunde gehört aber zu den Naturwissenschaften, die jener Grundlage nicht be-
dürfen. Daß das Gymnasium noch allein berechtigt ist, auf das Studium der
Medizin vorzubereiten, scheint nur eine Folge davon zu sein, daß unsre Uni-
versitätslehrer alle diesen Weg durchmessen haben. Es ist ein erfreuliches Er-
gebnis dieser Verhandlungen, daß, im Gegensatze zu den Anschauungen des
badischen Abgeordnetenhauses, vom Tische der preußischen Regierung aus die
Ansicht laut wurde, der Lehrgang des Gymnasiums sei zur Heranbildung
eines tüchtigen Arztes nicht der alleinseligmachende. Es ist nicht bloß zu-
gestanden worden, daß eine gemeinsame Vorbereitung auf dem Gymnasium für
Schüler und Schülerinnen nicht angehe, und daß die Einrichtung eigner
Mädchengymnasien unmöglich sei, es ist auch anerkannt worden - und das
ist ungleich wichtiger -, daß für Mädchen ein neuer und eigner Weg zum
medizinischen Studium ausgesucht werden müsse, ohne daß sie dadurch zu Stu-
dentinnen zweiter Stufe herabsteigen.

Dieser neue und eigne Weg ergiebt sich von selbst. Ärztinnen, das ist
fast allseitig anerkannt worden, müssen wir haben. Der Weg des Gymnasiums
über Sophokles und Plato, Horaz und Tacitus und die höhere Mathematik
ist für das weibliche Geschlecht nicht gangbar; so mögen die Frauen wie bis-
her den Weg der modernen Bildung einschlagen, der im wesentlichen über die
neuen Sprachen und die Naturwissenschaften führt. Wenn unsre Ärzte Hippo-
krates und Galen halb im Schlafe lesen könnten, es würde ihnen doch nichts
helfen. Die Naturwissenschaft ist heutzutage die internationale Wissenschaft;
die hochentwickelte naturwissenschaftliche und medizinische Litteratur von Frank-
reich, England, Jtalien ist für den Arzt der Gegenwart unendlich wertvoller
als die Kenntnis der alten Sprachen. Die Unterrichtsverwaltungen werden
sich freimachen müssen von veralteten Anschauungen, sie werden dem weib-
lichen Geschlechte das medizinische Studium auf der Grundlage einer gediegnen
modernen Bildung ermöglichen müssen.

Das ärztliche Studium der Frauen
der äußersten Rechten für Zulassung der Frauen zum ärztlichen Studium aus-
sprach, während ein Teil der Rechten, nach der Versicherung des Abgeordneten
Hartmann die Mehrheit der konservativen Partei, grundsätzlich Einspruch er-
hob; vom Zentrum trat kein Redner auf, aber es spendete den Worten des
Abgeordneten Stöcker Beifall. Daß auch vom Regierungstische kein Einspruch
erfolgte, sondern Billigung, war umso überraschender, weil man dies nach
den frühern Verhandlungen kaum erwarten durfte.

Es mag das seinen Grund darin haben, daß nach den Umwandlungen
auf dem Gebiete des höhern Knabenunterrichts die bisherige Ausschließlichkeit
der Vorbereitung für die Universitäten sich wohl nicht mehr aufrecht erhalten
läßt. Das Studium der historischen Wissenschaften, der Theologie und Philo-
sophie, der Sprachforschung und Geschichte, wird auch weiterhin auf der Grund-
lage der Kenntnis der alten Sprachen aufgebaut werden müssen. Die Heil-
kunde gehört aber zu den Naturwissenschaften, die jener Grundlage nicht be-
dürfen. Daß das Gymnasium noch allein berechtigt ist, auf das Studium der
Medizin vorzubereiten, scheint nur eine Folge davon zu sein, daß unsre Uni-
versitätslehrer alle diesen Weg durchmessen haben. Es ist ein erfreuliches Er-
gebnis dieser Verhandlungen, daß, im Gegensatze zu den Anschauungen des
badischen Abgeordnetenhauses, vom Tische der preußischen Regierung aus die
Ansicht laut wurde, der Lehrgang des Gymnasiums sei zur Heranbildung
eines tüchtigen Arztes nicht der alleinseligmachende. Es ist nicht bloß zu-
gestanden worden, daß eine gemeinsame Vorbereitung auf dem Gymnasium für
Schüler und Schülerinnen nicht angehe, und daß die Einrichtung eigner
Mädchengymnasien unmöglich sei, es ist auch anerkannt worden – und das
ist ungleich wichtiger –, daß für Mädchen ein neuer und eigner Weg zum
medizinischen Studium ausgesucht werden müsse, ohne daß sie dadurch zu Stu-
dentinnen zweiter Stufe herabsteigen.

Dieser neue und eigne Weg ergiebt sich von selbst. Ärztinnen, das ist
fast allseitig anerkannt worden, müssen wir haben. Der Weg des Gymnasiums
über Sophokles und Plato, Horaz und Tacitus und die höhere Mathematik
ist für das weibliche Geschlecht nicht gangbar; so mögen die Frauen wie bis-
her den Weg der modernen Bildung einschlagen, der im wesentlichen über die
neuen Sprachen und die Naturwissenschaften führt. Wenn unsre Ärzte Hippo-
krates und Galen halb im Schlafe lesen könnten, es würde ihnen doch nichts
helfen. Die Naturwissenschaft ist heutzutage die internationale Wissenschaft;
die hochentwickelte naturwissenschaftliche und medizinische Litteratur von Frank-
reich, England, Jtalien ist für den Arzt der Gegenwart unendlich wertvoller
als die Kenntnis der alten Sprachen. Die Unterrichtsverwaltungen werden
sich freimachen müssen von veralteten Anschauungen, sie werden dem weib-
lichen Geschlechte das medizinische Studium auf der Grundlage einer gediegnen
modernen Bildung ermöglichen müssen.

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[254/0012] Das ärztliche Studium der Frauen der äußersten Rechten für Zulassung der Frauen zum ärztlichen Studium aus- sprach, während ein Teil der Rechten, nach der Versicherung des Abgeordneten Hartmann die Mehrheit der konservativen Partei, grundsätzlich Einspruch er- hob; vom Zentrum trat kein Redner auf, aber es spendete den Worten des Abgeordneten Stöcker Beifall. Daß auch vom Regierungstische kein Einspruch erfolgte, sondern Billigung, war umso überraschender, weil man dies nach den frühern Verhandlungen kaum erwarten durfte. Es mag das seinen Grund darin haben, daß nach den Umwandlungen auf dem Gebiete des höhern Knabenunterrichts die bisherige Ausschließlichkeit der Vorbereitung für die Universitäten sich wohl nicht mehr aufrecht erhalten läßt. Das Studium der historischen Wissenschaften, der Theologie und Philo- sophie, der Sprachforschung und Geschichte, wird auch weiterhin auf der Grund- lage der Kenntnis der alten Sprachen aufgebaut werden müssen. Die Heil- kunde gehört aber zu den Naturwissenschaften, die jener Grundlage nicht be- dürfen. Daß das Gymnasium noch allein berechtigt ist, auf das Studium der Medizin vorzubereiten, scheint nur eine Folge davon zu sein, daß unsre Uni- versitätslehrer alle diesen Weg durchmessen haben. Es ist ein erfreuliches Er- gebnis dieser Verhandlungen, daß, im Gegensatze zu den Anschauungen des badischen Abgeordnetenhauses, vom Tische der preußischen Regierung aus die Ansicht laut wurde, der Lehrgang des Gymnasiums sei zur Heranbildung eines tüchtigen Arztes nicht der alleinseligmachende. Es ist nicht bloß zu- gestanden worden, daß eine gemeinsame Vorbereitung auf dem Gymnasium für Schüler und Schülerinnen nicht angehe, und daß die Einrichtung eigner Mädchengymnasien unmöglich sei, es ist auch anerkannt worden – und das ist ungleich wichtiger –, daß für Mädchen ein neuer und eigner Weg zum medizinischen Studium ausgesucht werden müsse, ohne daß sie dadurch zu Stu- dentinnen zweiter Stufe herabsteigen. Dieser neue und eigne Weg ergiebt sich von selbst. Ärztinnen, das ist fast allseitig anerkannt worden, müssen wir haben. Der Weg des Gymnasiums über Sophokles und Plato, Horaz und Tacitus und die höhere Mathematik ist für das weibliche Geschlecht nicht gangbar; so mögen die Frauen wie bis- her den Weg der modernen Bildung einschlagen, der im wesentlichen über die neuen Sprachen und die Naturwissenschaften führt. Wenn unsre Ärzte Hippo- krates und Galen halb im Schlafe lesen könnten, es würde ihnen doch nichts helfen. Die Naturwissenschaft ist heutzutage die internationale Wissenschaft; die hochentwickelte naturwissenschaftliche und medizinische Litteratur von Frank- reich, England, Jtalien ist für den Arzt der Gegenwart unendlich wertvoller als die Kenntnis der alten Sprachen. Die Unterrichtsverwaltungen werden sich freimachen müssen von veralteten Anschauungen, sie werden dem weib- lichen Geschlechte das medizinische Studium auf der Grundlage einer gediegnen modernen Bildung ermöglichen müssen.

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Zitationshilfe: Buchner, Wilhelm: Das ärztliche Studium der Frauen. In: Die Grenzboten 3 (1892). S. 205-212, 251-258, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buchner_studium_1892/12>, abgerufen am 21.11.2024.