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Buchner, Wilhelm: Das ärztliche Studium der Frauen. In: Die Grenzboten 3 (1892). S. 205-212, 251-258.

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Das ärztliche Studium der Frauen

Jch denke mir eine derartige Vorbereitungsanstalt als eine vollausgebaute
zehnklassige höhere Mädchenschule, die ihre Schülerinnen mindestens bis zum
vollendeten sechzehnten Lebensjahre beschäftigt. Sie hat zunächst die Aufgabe,
den Mädchen eine allgemeine Bildung, wie sie die Gegenwart fordert, mit-
zugeben durch das allmähliche Aufsteigen vom elementaren Lernen zu mehr
wissenschaftlicher Durcharbeitung des Lehrstoffs. Hauptfächer sind: Religion,
Deutsch, Französisch. Englisch, Welt- und vaterländische Geschichte, dazu die
andern Schulfächer. Der Grundstock der Schülerinnen tritt vor oder mit
Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs aus. Für die zukünftigen Studentinnen
der Medizin werden noch drei weitere Klassen aufgesetzt. Jn diesen werden
die wissenschaftlichen Hauptfächer weitergeführt und vertieft bis zu tüchtiger
Kenntnis, wobei die schriftliche und mündliche Beherrschung den beiden fremden
Sprachen erstrebt wird. Dazu kommt ausgiebig Naturwissenschaft, also Pflanzen-
kunde, Chemie, Physik, Gesundheitslehre, ebenso zur Schärfung der Denk-
thätigkeit Mathematik, jedoch nicht in der Ausdehnung wie in den Oberklassen
der Knabenschulen. Ob für das Rezeptiren und das Verständnis der Pharma-
kopöe ein Jahreskurs des Lateinischen, für die allgemeine Ausbildung ein
Jahrgang der Psychologie empfehlenswert sei, mag hier wenigstens frageweise
angedeutet werden. Jn diese dreiklassige Oberstufe können auch auswärts
vorgebildete Schülerinnen eintreten, doch nur nach dem Nachweis einer durch-
aus genügenden Vorbereitung. Ebenso können diese drei Klassen ohne den
Unterbau einer zehnjährigen höhern Mädchenschule eingerichtet werden; aber
auch da ist eine scharfe Aufnahmeprüfung erstes Erfordernis. Auch in den
Versetzungen muss Strenge herrschen, es muß stramme Arbeit gefordert werden;
nicht auf viele Stunden, sondern auf Anleitung zu eigner Thätigkeit kommt
es an. Natürlich würde dieser dreijährige Fortbildungs- oder Vorbereitungs-
kursus auch gediegne Lehrkräfte und wirklich wissenschaftliche Vertiefung des
Unterrichtsstoffes fordern, denn es ist durchaus festzuhalten: die künftige
Ärztin bedarf zum Wettbewerb mit dem an den alten Sprachen geschulten
Jüngling eines wohl ausgestatteten Schulsackes, einer tüchtigen, gründlich
wissenschaftlichen Vorbildung. Es giebt keinen Königsweg zur Mathematik,
und es giebt keinen bequemen Frauenweg zu einem so hochverantwortlichen
Berufe, wie es der ärztliche ist.

Jst dann die Arbeitsaufgabe der oben aufgesetzten drei Jahrgänge durch-
gearbeitet, hat die Schülerin mindestens das neunzehnte Lebensjahr vollendet,
so folgt die Reifeprüfung vor einer besonders dazu niedergesetzten Kommission.
Festzustellen, was in dieser Prüfung zu fordern sei, wird Sache der staatlichen Be-
hörden sein; treten an die Stelle der alten die neuen Sprachen, an die Stelle der
Mathematik die Naturwissenschaften, so wird die Gleichheit der Anforderungen
zwischen gymnasialer und moderner Bildung wohl hergestellt sein, besonders
wenn wir bedenken, daß die Abiturienten der Gymnasien teilweise Mittelkräfte

Das ärztliche Studium der Frauen

Jch denke mir eine derartige Vorbereitungsanstalt als eine vollausgebaute
zehnklassige höhere Mädchenschule, die ihre Schülerinnen mindestens bis zum
vollendeten sechzehnten Lebensjahre beschäftigt. Sie hat zunächst die Aufgabe,
den Mädchen eine allgemeine Bildung, wie sie die Gegenwart fordert, mit-
zugeben durch das allmähliche Aufsteigen vom elementaren Lernen zu mehr
wissenschaftlicher Durcharbeitung des Lehrstoffs. Hauptfächer sind: Religion,
Deutsch, Französisch. Englisch, Welt- und vaterländische Geschichte, dazu die
andern Schulfächer. Der Grundstock der Schülerinnen tritt vor oder mit
Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs aus. Für die zukünftigen Studentinnen
der Medizin werden noch drei weitere Klassen aufgesetzt. Jn diesen werden
die wissenschaftlichen Hauptfächer weitergeführt und vertieft bis zu tüchtiger
Kenntnis, wobei die schriftliche und mündliche Beherrschung den beiden fremden
Sprachen erstrebt wird. Dazu kommt ausgiebig Naturwissenschaft, also Pflanzen-
kunde, Chemie, Physik, Gesundheitslehre, ebenso zur Schärfung der Denk-
thätigkeit Mathematik, jedoch nicht in der Ausdehnung wie in den Oberklassen
der Knabenschulen. Ob für das Rezeptiren und das Verständnis der Pharma-
kopöe ein Jahreskurs des Lateinischen, für die allgemeine Ausbildung ein
Jahrgang der Psychologie empfehlenswert sei, mag hier wenigstens frageweise
angedeutet werden. Jn diese dreiklassige Oberstufe können auch auswärts
vorgebildete Schülerinnen eintreten, doch nur nach dem Nachweis einer durch-
aus genügenden Vorbereitung. Ebenso können diese drei Klassen ohne den
Unterbau einer zehnjährigen höhern Mädchenschule eingerichtet werden; aber
auch da ist eine scharfe Aufnahmeprüfung erstes Erfordernis. Auch in den
Versetzungen muss Strenge herrschen, es muß stramme Arbeit gefordert werden;
nicht auf viele Stunden, sondern auf Anleitung zu eigner Thätigkeit kommt
es an. Natürlich würde dieser dreijährige Fortbildungs- oder Vorbereitungs-
kursus auch gediegne Lehrkräfte und wirklich wissenschaftliche Vertiefung des
Unterrichtsstoffes fordern, denn es ist durchaus festzuhalten: die künftige
Ärztin bedarf zum Wettbewerb mit dem an den alten Sprachen geschulten
Jüngling eines wohl ausgestatteten Schulsackes, einer tüchtigen, gründlich
wissenschaftlichen Vorbildung. Es giebt keinen Königsweg zur Mathematik,
und es giebt keinen bequemen Frauenweg zu einem so hochverantwortlichen
Berufe, wie es der ärztliche ist.

Jst dann die Arbeitsaufgabe der oben aufgesetzten drei Jahrgänge durch-
gearbeitet, hat die Schülerin mindestens das neunzehnte Lebensjahr vollendet,
so folgt die Reifeprüfung vor einer besonders dazu niedergesetzten Kommission.
Festzustellen, was in dieser Prüfung zu fordern sei, wird Sache der staatlichen Be-
hörden sein; treten an die Stelle der alten die neuen Sprachen, an die Stelle der
Mathematik die Naturwissenschaften, so wird die Gleichheit der Anforderungen
zwischen gymnasialer und moderner Bildung wohl hergestellt sein, besonders
wenn wir bedenken, daß die Abiturienten der Gymnasien teilweise Mittelkräfte

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[255/0013] Das ärztliche Studium der Frauen Jch denke mir eine derartige Vorbereitungsanstalt als eine vollausgebaute zehnklassige höhere Mädchenschule, die ihre Schülerinnen mindestens bis zum vollendeten sechzehnten Lebensjahre beschäftigt. Sie hat zunächst die Aufgabe, den Mädchen eine allgemeine Bildung, wie sie die Gegenwart fordert, mit- zugeben durch das allmähliche Aufsteigen vom elementaren Lernen zu mehr wissenschaftlicher Durcharbeitung des Lehrstoffs. Hauptfächer sind: Religion, Deutsch, Französisch. Englisch, Welt- und vaterländische Geschichte, dazu die andern Schulfächer. Der Grundstock der Schülerinnen tritt vor oder mit Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs aus. Für die zukünftigen Studentinnen der Medizin werden noch drei weitere Klassen aufgesetzt. Jn diesen werden die wissenschaftlichen Hauptfächer weitergeführt und vertieft bis zu tüchtiger Kenntnis, wobei die schriftliche und mündliche Beherrschung den beiden fremden Sprachen erstrebt wird. Dazu kommt ausgiebig Naturwissenschaft, also Pflanzen- kunde, Chemie, Physik, Gesundheitslehre, ebenso zur Schärfung der Denk- thätigkeit Mathematik, jedoch nicht in der Ausdehnung wie in den Oberklassen der Knabenschulen. Ob für das Rezeptiren und das Verständnis der Pharma- kopöe ein Jahreskurs des Lateinischen, für die allgemeine Ausbildung ein Jahrgang der Psychologie empfehlenswert sei, mag hier wenigstens frageweise angedeutet werden. Jn diese dreiklassige Oberstufe können auch auswärts vorgebildete Schülerinnen eintreten, doch nur nach dem Nachweis einer durch- aus genügenden Vorbereitung. Ebenso können diese drei Klassen ohne den Unterbau einer zehnjährigen höhern Mädchenschule eingerichtet werden; aber auch da ist eine scharfe Aufnahmeprüfung erstes Erfordernis. Auch in den Versetzungen muss Strenge herrschen, es muß stramme Arbeit gefordert werden; nicht auf viele Stunden, sondern auf Anleitung zu eigner Thätigkeit kommt es an. Natürlich würde dieser dreijährige Fortbildungs- oder Vorbereitungs- kursus auch gediegne Lehrkräfte und wirklich wissenschaftliche Vertiefung des Unterrichtsstoffes fordern, denn es ist durchaus festzuhalten: die künftige Ärztin bedarf zum Wettbewerb mit dem an den alten Sprachen geschulten Jüngling eines wohl ausgestatteten Schulsackes, einer tüchtigen, gründlich wissenschaftlichen Vorbildung. Es giebt keinen Königsweg zur Mathematik, und es giebt keinen bequemen Frauenweg zu einem so hochverantwortlichen Berufe, wie es der ärztliche ist. Jst dann die Arbeitsaufgabe der oben aufgesetzten drei Jahrgänge durch- gearbeitet, hat die Schülerin mindestens das neunzehnte Lebensjahr vollendet, so folgt die Reifeprüfung vor einer besonders dazu niedergesetzten Kommission. Festzustellen, was in dieser Prüfung zu fordern sei, wird Sache der staatlichen Be- hörden sein; treten an die Stelle der alten die neuen Sprachen, an die Stelle der Mathematik die Naturwissenschaften, so wird die Gleichheit der Anforderungen zwischen gymnasialer und moderner Bildung wohl hergestellt sein, besonders wenn wir bedenken, daß die Abiturienten der Gymnasien teilweise Mittelkräfte

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Zitationshilfe: Buchner, Wilhelm: Das ärztliche Studium der Frauen. In: Die Grenzboten 3 (1892). S. 205-212, 251-258, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buchner_studium_1892/13>, abgerufen am 26.04.2024.