Das Wort Hausfleiß ist erst in den letzten fünf- zehn Jahren in Deutschland üblich geworden. Es ist zu uns aus Norwegen und Dänemark verpflanzt worden, wo es für gewisse häusliche Beschäftigungen der Familien- glieder, wie Spinnen, Weben, Nähen, die Anfertigung von Holzgerätschaften u. dgl. gebraucht wird. Es ist die in jenen Gegenden seit alter Zeit heimische, durch Klima und Besiedelungsweise begünstigte Uebung gewerblicher Technik, durch welche das Bauernhaus die Verarbeitung der in Feld und Wald erzeugten Rohstoffe für den eigenen Bedarf selbst vollzieht. Da diese Technik unter dem Einflusse der mo- dernen Verkehrswirtschaft in Verfall zu geraten drohte, so hat man in Dänemark und Norwegen geglaubt, sie durch schulmäßige Unterweisung neu beleben zu sollen, und diese Einrichtung hat dann bei uns als Handfertigkeitsunterricht -- freilich mit etwas verändertem Charakter -- Aufnahme gefunden.
Wohl wenige der Beförderer dieses neuen Unterrichts- zweiges, dem seine pädagogische Bedeutung nicht abgesprochen werden soll, haben sich eine klare Vorstellung von dem ge- bildet, was eigentlich der Hausfleiß für die nordischen Völker ursprünglich bedeutete und noch jetzt teilweise be- deutet. Hie und da hat man, namentlich im Anfang, den Handfertigkeitsunterricht für ein Mittel gehalten, neue Hausin- dustrien anzupflanzen. Hausfleiß und Hausindustrie aber sind entwickelungsgeschichtlich zwei (wenigstens bei uns) um Jahr- hunderte auseinanderliegende gewerbliche Betriebssysteme.
Das Wort Hausfleiß iſt erſt in den letzten fünf- zehn Jahren in Deutſchland üblich geworden. Es iſt zu uns aus Norwegen und Dänemark verpflanzt worden, wo es für gewiſſe häusliche Beſchäftigungen der Familien- glieder, wie Spinnen, Weben, Nähen, die Anfertigung von Holzgerätſchaften u. dgl. gebraucht wird. Es iſt die in jenen Gegenden ſeit alter Zeit heimiſche, durch Klima und Beſiedelungsweiſe begünſtigte Uebung gewerblicher Technik, durch welche das Bauernhaus die Verarbeitung der in Feld und Wald erzeugten Rohſtoffe für den eigenen Bedarf ſelbſt vollzieht. Da dieſe Technik unter dem Einfluſſe der mo- dernen Verkehrswirtſchaft in Verfall zu geraten drohte, ſo hat man in Dänemark und Norwegen geglaubt, ſie durch ſchulmäßige Unterweiſung neu beleben zu ſollen, und dieſe Einrichtung hat dann bei uns als Handfertigkeitsunterricht — freilich mit etwas verändertem Charakter — Aufnahme gefunden.
Wohl wenige der Beförderer dieſes neuen Unterrichts- zweiges, dem ſeine pädagogiſche Bedeutung nicht abgeſprochen werden ſoll, haben ſich eine klare Vorſtellung von dem ge- bildet, was eigentlich der Hausfleiß für die nordiſchen Völker urſprünglich bedeutete und noch jetzt teilweiſe be- deutet. Hie und da hat man, namentlich im Anfang, den Handfertigkeitsunterricht für ein Mittel gehalten, neue Hausin- duſtrien anzupflanzen. Hausfleiß und Hausinduſtrie aber ſind entwickelungsgeſchichtlich zwei (wenigſtens bei uns) um Jahr- hunderte auseinanderliegende gewerbliche Betriebsſyſteme.
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Das Wort Hausfleiß iſt erſt in den letzten fünf-
zehn Jahren in Deutſchland üblich geworden. Es iſt zu
uns aus Norwegen und Dänemark verpflanzt worden, wo
es für gewiſſe häusliche Beſchäftigungen der Familien-
glieder, wie Spinnen, Weben, Nähen, die Anfertigung von
Holzgerätſchaften u. dgl. gebraucht wird. Es iſt die in
jenen Gegenden ſeit alter Zeit heimiſche, durch Klima und
Beſiedelungsweiſe begünſtigte Uebung gewerblicher Technik,
durch welche das Bauernhaus die Verarbeitung der in Feld
und Wald erzeugten Rohſtoffe für den eigenen Bedarf ſelbſt
vollzieht. Da dieſe Technik unter dem Einfluſſe der mo-
dernen Verkehrswirtſchaft in Verfall zu geraten drohte, ſo
hat man in Dänemark und Norwegen geglaubt, ſie durch
ſchulmäßige Unterweiſung neu beleben zu ſollen, und dieſe
Einrichtung hat dann bei uns als Handfertigkeitsunterricht
— freilich mit etwas verändertem Charakter — Aufnahme
gefunden.
Wohl wenige der Beförderer dieſes neuen Unterrichts-
zweiges, dem ſeine pädagogiſche Bedeutung nicht abgeſprochen
werden ſoll, haben ſich eine klare Vorſtellung von dem ge-
bildet, was eigentlich der Hausfleiß für die nordiſchen
Völker urſprünglich bedeutete und noch jetzt teilweiſe be-
deutet. Hie und da hat man, namentlich im Anfang, den
Handfertigkeitsunterricht für ein Mittel gehalten, neue Hausin-
duſtrien anzupflanzen. Hausfleiß und Hausinduſtrie aber ſind
entwickelungsgeſchichtlich zwei (wenigſtens bei uns) um Jahr-
hunderte auseinanderliegende gewerbliche Betriebsſyſteme.
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/110>, abgerufen am 21.11.2024.
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