Aber die Entwickelung kann auch anders verlaufen, und dann entsteht ein selbständiger gewerbetreibender Be- rufsarbeiterstand und damit unser zweites gewerbliches Be- triebssystem: das Lohnwerk. Während seither alle ge- werbliche Technik in enger Verbindung mit dem Grund- besitz und der Urproduktion ausgeübt wurde, löst sich nunmehr der geschickte Hausfleißarbeiter von dieser Ver- bindung ab und begründet gerade auf diese seine technische Geschicklichkeit eine eigene, vom Grundbesitz unabhängige Existenz. Aber er hat bloß sein einfaches Werkzeug, kein Betriebskapital. Er bethätigt deshalb seine Kunst immer an fremdem Rohstoff, den ihm der Erzeuger dieses Roh- stoffes, der zugleich der Konsument der fertigen Produkte ist, liefert.
Dabei sind wieder zwei verschiedene Formen dieses Verhältnisses möglich. Entweder wird der Lohnwerker zeitweise in das Haus genommen, erhält Kost und wenn er nicht am Orte ansäßig ist, auch Wohnung, sowie einen Taglohn und bleibt nur so lange, bis die Bedürfnisse seines Kunden befriedigt sind. Wir nennen das in Süddeutsch- land auf die Stör gehen und können darnach die ganze Betriebsform Stör, den so arbeitenden Gewerbe- treibenden einen Störer nennen. Die Schneiderinnen und Näherinnen, welche vielerorts die Frauen in's Haus zu nehmen pflegen, können die Sache veranschaulichen.
Oder der Lohnwerker hat eine eigene Betriebsstätte, und es wird ihm der Rohstoff hinausgegeben. Für die
Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft. 7
Aber die Entwickelung kann auch anders verlaufen, und dann entſteht ein ſelbſtändiger gewerbetreibender Be- rufsarbeiterſtand und damit unſer zweites gewerbliches Be- triebsſyſtem: das Lohnwerk. Während ſeither alle ge- werbliche Technik in enger Verbindung mit dem Grund- beſitz und der Urproduktion ausgeübt wurde, löst ſich nunmehr der geſchickte Hausfleißarbeiter von dieſer Ver- bindung ab und begründet gerade auf dieſe ſeine techniſche Geſchicklichkeit eine eigene, vom Grundbeſitz unabhängige Exiſtenz. Aber er hat bloß ſein einfaches Werkzeug, kein Betriebskapital. Er bethätigt deshalb ſeine Kunſt immer an fremdem Rohſtoff, den ihm der Erzeuger dieſes Roh- ſtoffes, der zugleich der Konſument der fertigen Produkte iſt, liefert.
Dabei ſind wieder zwei verſchiedene Formen dieſes Verhältniſſes möglich. Entweder wird der Lohnwerker zeitweiſe in das Haus genommen, erhält Koſt und wenn er nicht am Orte anſäßig iſt, auch Wohnung, ſowie einen Taglohn und bleibt nur ſo lange, bis die Bedürfniſſe ſeines Kunden befriedigt ſind. Wir nennen das in Süddeutſch- land auf die Stör gehen und können darnach die ganze Betriebsform Stör, den ſo arbeitenden Gewerbe- treibenden einen Störer nennen. Die Schneiderinnen und Näherinnen, welche vielerorts die Frauen in’s Haus zu nehmen pflegen, können die Sache veranſchaulichen.
Oder der Lohnwerker hat eine eigene Betriebsſtätte, und es wird ihm der Rohſtoff hinausgegeben. Für die
Bücher, Die Entſtehung der Volkswirtſchaft. 7
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Aber die Entwickelung kann auch anders verlaufen,
und dann entſteht ein ſelbſtändiger gewerbetreibender Be-
rufsarbeiterſtand und damit unſer zweites gewerbliches Be-
triebsſyſtem: das Lohnwerk. Während ſeither alle ge-
werbliche Technik in enger Verbindung mit dem Grund-
beſitz und der Urproduktion ausgeübt wurde, löst ſich
nunmehr der geſchickte Hausfleißarbeiter von dieſer Ver-
bindung ab und begründet gerade auf dieſe ſeine techniſche
Geſchicklichkeit eine eigene, vom Grundbeſitz unabhängige
Exiſtenz. Aber er hat bloß ſein einfaches Werkzeug, kein
Betriebskapital. Er bethätigt deshalb ſeine Kunſt immer
an fremdem Rohſtoff, den ihm der Erzeuger dieſes Roh-
ſtoffes, der zugleich der Konſument der fertigen Produkte
iſt, liefert.
Dabei ſind wieder zwei verſchiedene Formen dieſes
Verhältniſſes möglich. Entweder wird der Lohnwerker
zeitweiſe in das Haus genommen, erhält Koſt und wenn
er nicht am Orte anſäßig iſt, auch Wohnung, ſowie einen
Taglohn und bleibt nur ſo lange, bis die Bedürfniſſe ſeines
Kunden befriedigt ſind. Wir nennen das in Süddeutſch-
land auf die Stör gehen und können darnach die
ganze Betriebsform Stör, den ſo arbeitenden Gewerbe-
treibenden einen Störer nennen. Die Schneiderinnen
und Näherinnen, welche vielerorts die Frauen in’s Haus
zu nehmen pflegen, können die Sache veranſchaulichen.
Oder der Lohnwerker hat eine eigene Betriebsſtätte,
und es wird ihm der Rohſtoff hinausgegeben. Für die
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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