Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

für seinen Erzeuger jemals ein Mittel des Gütererwerbs.
Art und Umfang der Produktion bestimmt noch immer der
Grundbesitzer, der den Rohstoff erzeugt; er leitet auch den
ganzen Produktionsprozeß. Der Bauer erzeugt den Roggen,
drischt und reinigt ihn und gibt dann das Korn dem Müller
gegen Naturallohn (Molter) zum Vermahlen; das Mehl
erhält der Bäcker und liefert gegen den Backlohn und Er-
satz des Heizmaterials eine Anzahl Brotlaibe daraus. Vom
Momente der Aussaat bis zum Augenblick des Brotgenusses
ist das Produkt niemals Kapital gewesen, sondern immer
nur Gebrauchsgut auf dem Weg zur Genußreife. An das
fertige Produkt heften sich keine Unternehmergewinne und
Zinsenzuschläge oder Austauschprofite, sondern nur Arbeits-
löhne.

Es ist dies unter gewissen Kulturzuständen und bei
sehr einfachen Bedürfnissen eine überaus wirtschaftliche Pro-
duktionsweise, die wie der Hausfleiß eine völlige Anpassung
der Gütererzeugung an den Bedarf sichert. Im Mittelalter
hat sie die Befreiung der Handwerker aus der Hörigkeit
und dem Hofrecht unendlich erleichtert, da sie für den Be-
ginn eines selbständigen Gewerbebetriebs kein nennenswertes
eigenes Vermögen voraussetzt. Mit großem Unrecht wird
noch immer der zünftige Handwerkerstand des Mittelalters
als ein Stand kleiner Kapitalisten angesehen. Er war viel-
mehr im wesentlichen ein gewerblicher Arbeiterstand, der
sich von den heutigen Arbeitern dadurch unterschied, daß
er für viele Konsumenten, nicht für einen einzelnen Unter-

für ſeinen Erzeuger jemals ein Mittel des Gütererwerbs.
Art und Umfang der Produktion beſtimmt noch immer der
Grundbeſitzer, der den Rohſtoff erzeugt; er leitet auch den
ganzen Produktionsprozeß. Der Bauer erzeugt den Roggen,
driſcht und reinigt ihn und gibt dann das Korn dem Müller
gegen Naturallohn (Molter) zum Vermahlen; das Mehl
erhält der Bäcker und liefert gegen den Backlohn und Er-
ſatz des Heizmaterials eine Anzahl Brotlaibe daraus. Vom
Momente der Ausſaat bis zum Augenblick des Brotgenuſſes
iſt das Produkt niemals Kapital geweſen, ſondern immer
nur Gebrauchsgut auf dem Weg zur Genußreife. An das
fertige Produkt heften ſich keine Unternehmergewinne und
Zinſenzuſchläge oder Austauſchprofite, ſondern nur Arbeits-
löhne.

Es iſt dies unter gewiſſen Kulturzuſtänden und bei
ſehr einfachen Bedürfniſſen eine überaus wirtſchaftliche Pro-
duktionsweiſe, die wie der Hausfleiß eine völlige Anpaſſung
der Gütererzeugung an den Bedarf ſichert. Im Mittelalter
hat ſie die Befreiung der Handwerker aus der Hörigkeit
und dem Hofrecht unendlich erleichtert, da ſie für den Be-
ginn eines ſelbſtändigen Gewerbebetriebs kein nennenswertes
eigenes Vermögen vorausſetzt. Mit großem Unrecht wird
noch immer der zünftige Handwerkerſtand des Mittelalters
als ein Stand kleiner Kapitaliſten angeſehen. Er war viel-
mehr im weſentlichen ein gewerblicher Arbeiterſtand, der
ſich von den heutigen Arbeitern dadurch unterſchied, daß
er für viele Konſumenten, nicht für einen einzelnen Unter-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="100"/>
für &#x017F;einen Erzeuger jemals ein Mittel des Gütererwerbs.<lb/>
Art und Umfang der Produktion be&#x017F;timmt noch immer der<lb/>
Grundbe&#x017F;itzer, der den Roh&#x017F;toff erzeugt; er leitet auch den<lb/>
ganzen Produktionsprozeß. Der Bauer erzeugt den Roggen,<lb/>
dri&#x017F;cht und reinigt ihn und gibt dann das Korn dem Müller<lb/>
gegen Naturallohn (Molter) zum Vermahlen; das Mehl<lb/>
erhält der Bäcker und liefert gegen den Backlohn und Er-<lb/>
&#x017F;atz des Heizmaterials eine Anzahl Brotlaibe daraus. Vom<lb/>
Momente der Aus&#x017F;aat bis zum Augenblick des Brotgenu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t das Produkt niemals Kapital gewe&#x017F;en, &#x017F;ondern immer<lb/>
nur Gebrauchsgut auf dem Weg zur Genußreife. An das<lb/>
fertige Produkt heften &#x017F;ich keine Unternehmergewinne und<lb/>
Zin&#x017F;enzu&#x017F;chläge oder Austau&#x017F;chprofite, &#x017F;ondern nur Arbeits-<lb/>
löhne.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t dies unter gewi&#x017F;&#x017F;en Kulturzu&#x017F;tänden und bei<lb/>
&#x017F;ehr einfachen Bedürfni&#x017F;&#x017F;en eine überaus wirt&#x017F;chaftliche Pro-<lb/>
duktionswei&#x017F;e, die wie der Hausfleiß eine völlige Anpa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
der Gütererzeugung an den Bedarf &#x017F;ichert. Im Mittelalter<lb/>
hat &#x017F;ie die Befreiung der Handwerker aus der Hörigkeit<lb/>
und dem Hofrecht unendlich erleichtert, da &#x017F;ie für den Be-<lb/>
ginn eines &#x017F;elb&#x017F;tändigen Gewerbebetriebs kein nennenswertes<lb/>
eigenes Vermögen voraus&#x017F;etzt. Mit großem Unrecht wird<lb/>
noch immer der zünftige Handwerker&#x017F;tand des Mittelalters<lb/>
als ein Stand kleiner Kapitali&#x017F;ten ange&#x017F;ehen. Er war viel-<lb/>
mehr im we&#x017F;entlichen ein gewerblicher Arbeiter&#x017F;tand, der<lb/>
&#x017F;ich von den heutigen Arbeitern dadurch unter&#x017F;chied, daß<lb/>
er für viele Kon&#x017F;umenten, nicht für einen einzelnen Unter-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0122] für ſeinen Erzeuger jemals ein Mittel des Gütererwerbs. Art und Umfang der Produktion beſtimmt noch immer der Grundbeſitzer, der den Rohſtoff erzeugt; er leitet auch den ganzen Produktionsprozeß. Der Bauer erzeugt den Roggen, driſcht und reinigt ihn und gibt dann das Korn dem Müller gegen Naturallohn (Molter) zum Vermahlen; das Mehl erhält der Bäcker und liefert gegen den Backlohn und Er- ſatz des Heizmaterials eine Anzahl Brotlaibe daraus. Vom Momente der Ausſaat bis zum Augenblick des Brotgenuſſes iſt das Produkt niemals Kapital geweſen, ſondern immer nur Gebrauchsgut auf dem Weg zur Genußreife. An das fertige Produkt heften ſich keine Unternehmergewinne und Zinſenzuſchläge oder Austauſchprofite, ſondern nur Arbeits- löhne. Es iſt dies unter gewiſſen Kulturzuſtänden und bei ſehr einfachen Bedürfniſſen eine überaus wirtſchaftliche Pro- duktionsweiſe, die wie der Hausfleiß eine völlige Anpaſſung der Gütererzeugung an den Bedarf ſichert. Im Mittelalter hat ſie die Befreiung der Handwerker aus der Hörigkeit und dem Hofrecht unendlich erleichtert, da ſie für den Be- ginn eines ſelbſtändigen Gewerbebetriebs kein nennenswertes eigenes Vermögen vorausſetzt. Mit großem Unrecht wird noch immer der zünftige Handwerkerſtand des Mittelalters als ein Stand kleiner Kapitaliſten angeſehen. Er war viel- mehr im weſentlichen ein gewerblicher Arbeiterſtand, der ſich von den heutigen Arbeitern dadurch unterſchied, daß er für viele Konſumenten, nicht für einen einzelnen Unter-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/122
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/122>, abgerufen am 21.11.2024.