Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

logik ist nicht neu. Es gab eine Zeit, in der man jeden
Bauernschuster, der seine Kartoffeln und seinen Kohl selber
baute, als eine Art Feind des höchstmöglichen National-
reichtums ansah und ihn am liebsten von Polizei wegen
gezwungen hätte, bei seinem Leisten zu bleiben, selbst auf
die Gefahr hin, daß er dabei verhungerte. Es ist ja immer viel
leichter gewesen, die Dinge zu meistern als sie zu verstehen.

Wenn man an die Stelle derartigen Absprechens eine
unbefangene Untersuchung der Existenzbedingungen jener an-
geblich überlebten älteren Produktionssysteme hätte treten
lassen wollen, so würde man sich bald überzeugt haben, daß
dieselben in den meisten Fällen da, wo sie heute noch fort-
dauern, wirtschaftlich und sozial berechtigt sind, und man
würde die Mittel zur Beseitigung der vorhandenen Uebel-
stände auf dem Boden suchen, in welchem jene Industrie-
formen wurzeln, anstatt an ihnen die Kurmethode des Doktor
Eisenbart zu erproben. Man würde so die Vorzüge, die
jedes dieser Betriebssysteme unzweifelhaft besitzt, erhalten
und nur ihre Nachteile zu beseitigen streben.

Denn das ist ja schließlich das tröstliche Resultat aller
ernsteren Geschichtsbetrachtung, daß kein einmal in das Leben
der Menschen eingeführtes Kulturelement verloren geht, son-
dern daß jedes, auch wenn die Uhr seiner Vorherrschaft
abgelaufen ist, an bescheidenerer Stelle mitzuwirken fortfährt
an dem großen Ziele, an das wir alle glauben, dem Ziele,
die Menschheit immer vollkommneren Daseinsformen ent-
gegenzuführen.


logik iſt nicht neu. Es gab eine Zeit, in der man jeden
Bauernſchuſter, der ſeine Kartoffeln und ſeinen Kohl ſelber
baute, als eine Art Feind des höchſtmöglichen National-
reichtums anſah und ihn am liebſten von Polizei wegen
gezwungen hätte, bei ſeinem Leiſten zu bleiben, ſelbſt auf
die Gefahr hin, daß er dabei verhungerte. Es iſt ja immer viel
leichter geweſen, die Dinge zu meiſtern als ſie zu verſtehen.

Wenn man an die Stelle derartigen Abſprechens eine
unbefangene Unterſuchung der Exiſtenzbedingungen jener an-
geblich überlebten älteren Produktionsſyſteme hätte treten
laſſen wollen, ſo würde man ſich bald überzeugt haben, daß
dieſelben in den meiſten Fällen da, wo ſie heute noch fort-
dauern, wirtſchaftlich und ſozial berechtigt ſind, und man
würde die Mittel zur Beſeitigung der vorhandenen Uebel-
ſtände auf dem Boden ſuchen, in welchem jene Induſtrie-
formen wurzeln, anſtatt an ihnen die Kurmethode des Doktor
Eiſenbart zu erproben. Man würde ſo die Vorzüge, die
jedes dieſer Betriebsſyſteme unzweifelhaft beſitzt, erhalten
und nur ihre Nachteile zu beſeitigen ſtreben.

Denn das iſt ja ſchließlich das tröſtliche Reſultat aller
ernſteren Geſchichtsbetrachtung, daß kein einmal in das Leben
der Menſchen eingeführtes Kulturelement verloren geht, ſon-
dern daß jedes, auch wenn die Uhr ſeiner Vorherrſchaft
abgelaufen iſt, an beſcheidenerer Stelle mitzuwirken fortfährt
an dem großen Ziele, an das wir alle glauben, dem Ziele,
die Menſchheit immer vollkommneren Daſeinsformen ent-
gegenzuführen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0140" n="118"/>
logik i&#x017F;t nicht neu. Es gab eine Zeit, in der man jeden<lb/>
Bauern&#x017F;chu&#x017F;ter, der &#x017F;eine Kartoffeln und &#x017F;einen Kohl &#x017F;elber<lb/>
baute, als eine Art Feind des höch&#x017F;tmöglichen National-<lb/>
reichtums an&#x017F;ah und ihn am lieb&#x017F;ten von Polizei wegen<lb/>
gezwungen hätte, bei &#x017F;einem Lei&#x017F;ten zu bleiben, &#x017F;elb&#x017F;t auf<lb/>
die Gefahr hin, daß er dabei verhungerte. Es i&#x017F;t ja immer viel<lb/>
leichter gewe&#x017F;en, die Dinge zu mei&#x017F;tern als &#x017F;ie zu ver&#x017F;tehen.</p><lb/>
          <p>Wenn man an die Stelle derartigen Ab&#x017F;prechens eine<lb/>
unbefangene Unter&#x017F;uchung der Exi&#x017F;tenzbedingungen jener an-<lb/>
geblich überlebten älteren Produktions&#x017F;y&#x017F;teme hätte treten<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wollen, &#x017F;o würde man &#x017F;ich bald überzeugt haben, daß<lb/>
die&#x017F;elben in den mei&#x017F;ten Fällen da, wo &#x017F;ie heute noch fort-<lb/>
dauern, wirt&#x017F;chaftlich und &#x017F;ozial berechtigt &#x017F;ind, und man<lb/>
würde die Mittel zur Be&#x017F;eitigung der vorhandenen Uebel-<lb/>
&#x017F;tände auf dem Boden &#x017F;uchen, in welchem jene Indu&#x017F;trie-<lb/>
formen wurzeln, an&#x017F;tatt an ihnen die Kurmethode des Doktor<lb/>
Ei&#x017F;enbart zu erproben. Man würde &#x017F;o die Vorzüge, die<lb/>
jedes die&#x017F;er Betriebs&#x017F;y&#x017F;teme unzweifelhaft be&#x017F;itzt, erhalten<lb/>
und nur ihre Nachteile zu be&#x017F;eitigen &#x017F;treben.</p><lb/>
          <p>Denn das i&#x017F;t ja &#x017F;chließlich das trö&#x017F;tliche Re&#x017F;ultat aller<lb/>
ern&#x017F;teren Ge&#x017F;chichtsbetrachtung, daß kein einmal in das Leben<lb/>
der Men&#x017F;chen eingeführtes Kulturelement verloren geht, &#x017F;on-<lb/>
dern daß jedes, auch wenn die Uhr &#x017F;einer Vorherr&#x017F;chaft<lb/>
abgelaufen i&#x017F;t, an be&#x017F;cheidenerer Stelle mitzuwirken fortfährt<lb/>
an dem großen Ziele, an das wir alle glauben, dem Ziele,<lb/>
die Men&#x017F;chheit immer vollkommneren Da&#x017F;einsformen ent-<lb/>
gegenzuführen.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0140] logik iſt nicht neu. Es gab eine Zeit, in der man jeden Bauernſchuſter, der ſeine Kartoffeln und ſeinen Kohl ſelber baute, als eine Art Feind des höchſtmöglichen National- reichtums anſah und ihn am liebſten von Polizei wegen gezwungen hätte, bei ſeinem Leiſten zu bleiben, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß er dabei verhungerte. Es iſt ja immer viel leichter geweſen, die Dinge zu meiſtern als ſie zu verſtehen. Wenn man an die Stelle derartigen Abſprechens eine unbefangene Unterſuchung der Exiſtenzbedingungen jener an- geblich überlebten älteren Produktionsſyſteme hätte treten laſſen wollen, ſo würde man ſich bald überzeugt haben, daß dieſelben in den meiſten Fällen da, wo ſie heute noch fort- dauern, wirtſchaftlich und ſozial berechtigt ſind, und man würde die Mittel zur Beſeitigung der vorhandenen Uebel- ſtände auf dem Boden ſuchen, in welchem jene Induſtrie- formen wurzeln, anſtatt an ihnen die Kurmethode des Doktor Eiſenbart zu erproben. Man würde ſo die Vorzüge, die jedes dieſer Betriebsſyſteme unzweifelhaft beſitzt, erhalten und nur ihre Nachteile zu beſeitigen ſtreben. Denn das iſt ja ſchließlich das tröſtliche Reſultat aller ernſteren Geſchichtsbetrachtung, daß kein einmal in das Leben der Menſchen eingeführtes Kulturelement verloren geht, ſon- dern daß jedes, auch wenn die Uhr ſeiner Vorherrſchaft abgelaufen iſt, an beſcheidenerer Stelle mitzuwirken fortfährt an dem großen Ziele, an das wir alle glauben, dem Ziele, die Menſchheit immer vollkommneren Daſeinsformen ent- gegenzuführen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/140
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/140>, abgerufen am 21.11.2024.