So ist das Handwerk wirtschaftlich und sozial in die zweite Stelle gerückt; aber es ist damit noch lange nicht vernichtet, und es wird auch gewiß ebensowenig verschwinden, wie Lohnwerk und Hausfleiß verschwunden sind. Was es der Gesellschaft in einer Zeit allgemeiner Feudalisierung gewon- nen hat, eine widerstandsfähige Klasse vom Boden unabhäng- iger Leute, deren Existenz auf persönlicher Tüchtigkeit und einem kleinen beweglichen Besitztum beruhte, eine Heimstätte bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er- halten bleiben, wenn auch wahrscheinlich die künftigen Träger dieser Tugenden ihr Dasein auf anderer Basis fristen werden.
Es ist in letzter Zeit mit seltsamer Dringlichkeit der Ruf nach Beseitigung der älteren industriellen Betriebs- systeme erhoben worden 1). Das Handwerk, die Hausin- dustrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, sagt man, lähmten die nationale Produktivkraft; sie seien "rückständige, über- wundene, rohe, um nicht zu sagen sozial hemmende Pro- duktionsmethoden", die im eigensten Interesse derjenigen, welche sie ausüben, durch eine "vernünftige und zweck- mäßige Gliederung und Regelung der menschlichen Thätig- keiten im Großen" ersetzt werden müßten, wenn nicht auch ferner die thatsächliche Nationalproduktion hinter der tech- nisch möglichen weit zurückbleiben solle.
Diese kurzsichtige wirtschaftspolitische Studierstuben-
1) So von H. Losch, Nationale Produktion und nationale Be- rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausindustrie von W. Sombart in Braun's Archiv f. soz. Gesetzg. und Statistik IV, S. 144 ff. und im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" IV, S. 435.
So iſt das Handwerk wirtſchaftlich und ſozial in die zweite Stelle gerückt; aber es iſt damit noch lange nicht vernichtet, und es wird auch gewiß ebenſowenig verſchwinden, wie Lohnwerk und Hausfleiß verſchwunden ſind. Was es der Geſellſchaft in einer Zeit allgemeiner Feudaliſierung gewon- nen hat, eine widerſtandsfähige Klaſſe vom Boden unabhäng- iger Leute, deren Exiſtenz auf perſönlicher Tüchtigkeit und einem kleinen beweglichen Beſitztum beruhte, eine Heimſtätte bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er- halten bleiben, wenn auch wahrſcheinlich die künftigen Träger dieſer Tugenden ihr Daſein auf anderer Baſis friſten werden.
Es iſt in letzter Zeit mit ſeltſamer Dringlichkeit der Ruf nach Beſeitigung der älteren induſtriellen Betriebs- ſyſteme erhoben worden 1). Das Handwerk, die Hausin- duſtrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, ſagt man, lähmten die nationale Produktivkraft; ſie ſeien „rückſtändige, über- wundene, rohe, um nicht zu ſagen ſozial hemmende Pro- duktionsmethoden“, die im eigenſten Intereſſe derjenigen, welche ſie ausüben, durch eine „vernünftige und zweck- mäßige Gliederung und Regelung der menſchlichen Thätig- keiten im Großen“ erſetzt werden müßten, wenn nicht auch ferner die thatſächliche Nationalproduktion hinter der tech- niſch möglichen weit zurückbleiben ſolle.
1) So von H. Loſch, Nationale Produktion und nationale Be- rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausinduſtrie von W. Sombart in Braun’s Archiv f. ſoz. Geſetzg. und Statiſtik IV, S. 144 ff. und im „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“ IV, S. 435.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0139"n="117"/><p>So iſt das Handwerk wirtſchaftlich und ſozial in die<lb/>
zweite Stelle gerückt; aber es iſt damit noch lange nicht<lb/>
vernichtet, und es wird auch gewiß ebenſowenig verſchwinden,<lb/>
wie Lohnwerk und Hausfleiß verſchwunden ſind. Was es der<lb/>
Geſellſchaft in einer Zeit allgemeiner Feudaliſierung gewon-<lb/>
nen hat, eine widerſtandsfähige Klaſſe vom Boden unabhäng-<lb/>
iger Leute, deren Exiſtenz auf perſönlicher Tüchtigkeit und<lb/>
einem kleinen beweglichen Beſitztum beruhte, eine Heimſtätte<lb/>
bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er-<lb/>
halten bleiben, wenn auch wahrſcheinlich die künftigen Träger<lb/>
dieſer Tugenden ihr Daſein auf anderer Baſis friſten werden.</p><lb/><p>Es iſt in letzter Zeit mit ſeltſamer Dringlichkeit der<lb/>
Ruf nach Beſeitigung der älteren induſtriellen Betriebs-<lb/>ſyſteme erhoben worden <noteplace="foot"n="1)">So von H. <hirendition="#g">Loſch</hi>, Nationale Produktion und nationale Be-<lb/>
rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausinduſtrie von<lb/>
W. <hirendition="#g">Sombart</hi> in Braun’s Archiv f. ſoz. Geſetzg. und Statiſtik <hirendition="#aq">IV,</hi><lb/>
S. 144 ff. und im „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“<hirendition="#aq">IV,</hi> S. 435.</note>. Das Handwerk, die Hausin-<lb/>
duſtrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, ſagt man, lähmten<lb/>
die nationale Produktivkraft; ſie ſeien „rückſtändige, über-<lb/>
wundene, rohe, um nicht zu ſagen ſozial hemmende Pro-<lb/>
duktionsmethoden“, die im eigenſten Intereſſe derjenigen,<lb/>
welche ſie ausüben, durch eine „vernünftige und zweck-<lb/>
mäßige Gliederung und Regelung der menſchlichen Thätig-<lb/>
keiten im Großen“ erſetzt werden müßten, wenn nicht auch<lb/>
ferner die thatſächliche Nationalproduktion hinter der tech-<lb/>
niſch möglichen weit zurückbleiben ſolle.</p><lb/><p>Dieſe kurzſichtige wirtſchaftspolitiſche Studierſtuben-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0139]
So iſt das Handwerk wirtſchaftlich und ſozial in die
zweite Stelle gerückt; aber es iſt damit noch lange nicht
vernichtet, und es wird auch gewiß ebenſowenig verſchwinden,
wie Lohnwerk und Hausfleiß verſchwunden ſind. Was es der
Geſellſchaft in einer Zeit allgemeiner Feudaliſierung gewon-
nen hat, eine widerſtandsfähige Klaſſe vom Boden unabhäng-
iger Leute, deren Exiſtenz auf perſönlicher Tüchtigkeit und
einem kleinen beweglichen Beſitztum beruhte, eine Heimſtätte
bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er-
halten bleiben, wenn auch wahrſcheinlich die künftigen Träger
dieſer Tugenden ihr Daſein auf anderer Baſis friſten werden.
Es iſt in letzter Zeit mit ſeltſamer Dringlichkeit der
Ruf nach Beſeitigung der älteren induſtriellen Betriebs-
ſyſteme erhoben worden 1). Das Handwerk, die Hausin-
duſtrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, ſagt man, lähmten
die nationale Produktivkraft; ſie ſeien „rückſtändige, über-
wundene, rohe, um nicht zu ſagen ſozial hemmende Pro-
duktionsmethoden“, die im eigenſten Intereſſe derjenigen,
welche ſie ausüben, durch eine „vernünftige und zweck-
mäßige Gliederung und Regelung der menſchlichen Thätig-
keiten im Großen“ erſetzt werden müßten, wenn nicht auch
ferner die thatſächliche Nationalproduktion hinter der tech-
niſch möglichen weit zurückbleiben ſolle.
Dieſe kurzſichtige wirtſchaftspolitiſche Studierſtuben-
1) So von H. Loſch, Nationale Produktion und nationale Be-
rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausinduſtrie von
W. Sombart in Braun’s Archiv f. ſoz. Geſetzg. und Statiſtik IV,
S. 144 ff. und im „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“ IV, S. 435.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/139>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.