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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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Wenden wir uns nunmehr der sozialen Gliede-
rung
der Bevölkerung im engeren Sinne zu, so fallen
für eine oberflächliche Betrachtung allerdings die politischen
Geburtsstände und Standesunterschiede am meisten ins Auge.
Allein dieselben sind im XIV. und XV. Jahrhundert, wie
wir gleich sehen werden, von sehr geringer Bedeutung.

Für unsere Zwecke scheiden wir am besten die ganze
Bevölkerung in zwei Teile: die dauernd ansäßige
und die fluktuierende Bevölkerung. Von der
ersteren heben sich wieder zwei abgeschlossene Gruppen
ab, die wir zunächst bei Seite lassen: die Geistlichkeit
und die Juden. Der Rest der dauernd Ansässigen zer-
fällt politisch in Bürger und Nichtbürger oder Bei-
sassen
. Die Zahl der letzteren ist sehr klein, da der
Rat den Grundsatz befolgte, wissentlich niemanden in der
Stadt zu dulden, der nicht Bürger wäre. Wir schenken
deshalb auch diesem Unterschiede keine weitere Beachtung.
Die Bürgerschaft zerfällt bis zum Ende des XIV. Jahr-
hunderts in zwei fast gleich starke Gruppen: die Gemeinde
und die Zünfte oder die organisierten Handwerke. An
der Spitze der Gemeinde stehen die Geschlechter, in
späteren Jahrhunderten auch wohl Patrizier genannt. Sie
hatten vermutlich auch in Frankfurt früher allein das Stadt-
regiment mit den königlichen Beamten geführt, hatten aber
schon in einer uns unbekannten Zeit den Zünften ein Drittel
der Ratsstellen eingeräumt. Ihre Zahl ist gering; gewöhn-
lich umfaßt sie nicht mehr als 20--30 Familien mit 60

Wenden wir uns nunmehr der ſozialen Gliede-
rung
der Bevölkerung im engeren Sinne zu, ſo fallen
für eine oberflächliche Betrachtung allerdings die politiſchen
Geburtsſtände und Standesunterſchiede am meiſten ins Auge.
Allein dieſelben ſind im XIV. und XV. Jahrhundert, wie
wir gleich ſehen werden, von ſehr geringer Bedeutung.

Für unſere Zwecke ſcheiden wir am beſten die ganze
Bevölkerung in zwei Teile: die dauernd anſäßige
und die fluktuierende Bevölkerung. Von der
erſteren heben ſich wieder zwei abgeſchloſſene Gruppen
ab, die wir zunächſt bei Seite laſſen: die Geiſtlichkeit
und die Juden. Der Reſt der dauernd Anſäſſigen zer-
fällt politiſch in Bürger und Nichtbürger oder Bei-
ſaſſen
. Die Zahl der letzteren iſt ſehr klein, da der
Rat den Grundſatz befolgte, wiſſentlich niemanden in der
Stadt zu dulden, der nicht Bürger wäre. Wir ſchenken
deshalb auch dieſem Unterſchiede keine weitere Beachtung.
Die Bürgerſchaft zerfällt bis zum Ende des XIV. Jahr-
hunderts in zwei faſt gleich ſtarke Gruppen: die Gemeinde
und die Zünfte oder die organiſierten Handwerke. An
der Spitze der Gemeinde ſtehen die Geſchlechter, in
ſpäteren Jahrhunderten auch wohl Patrizier genannt. Sie
hatten vermutlich auch in Frankfurt früher allein das Stadt-
regiment mit den königlichen Beamten geführt, hatten aber
ſchon in einer uns unbekannten Zeit den Zünften ein Drittel
der Ratsſtellen eingeräumt. Ihre Zahl iſt gering; gewöhn-
lich umfaßt ſie nicht mehr als 20—30 Familien mit 60

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[229/0251] Wenden wir uns nunmehr der ſozialen Gliede- rung der Bevölkerung im engeren Sinne zu, ſo fallen für eine oberflächliche Betrachtung allerdings die politiſchen Geburtsſtände und Standesunterſchiede am meiſten ins Auge. Allein dieſelben ſind im XIV. und XV. Jahrhundert, wie wir gleich ſehen werden, von ſehr geringer Bedeutung. Für unſere Zwecke ſcheiden wir am beſten die ganze Bevölkerung in zwei Teile: die dauernd anſäßige und die fluktuierende Bevölkerung. Von der erſteren heben ſich wieder zwei abgeſchloſſene Gruppen ab, die wir zunächſt bei Seite laſſen: die Geiſtlichkeit und die Juden. Der Reſt der dauernd Anſäſſigen zer- fällt politiſch in Bürger und Nichtbürger oder Bei- ſaſſen. Die Zahl der letzteren iſt ſehr klein, da der Rat den Grundſatz befolgte, wiſſentlich niemanden in der Stadt zu dulden, der nicht Bürger wäre. Wir ſchenken deshalb auch dieſem Unterſchiede keine weitere Beachtung. Die Bürgerſchaft zerfällt bis zum Ende des XIV. Jahr- hunderts in zwei faſt gleich ſtarke Gruppen: die Gemeinde und die Zünfte oder die organiſierten Handwerke. An der Spitze der Gemeinde ſtehen die Geſchlechter, in ſpäteren Jahrhunderten auch wohl Patrizier genannt. Sie hatten vermutlich auch in Frankfurt früher allein das Stadt- regiment mit den königlichen Beamten geführt, hatten aber ſchon in einer uns unbekannten Zeit den Zünften ein Drittel der Ratsſtellen eingeräumt. Ihre Zahl iſt gering; gewöhn- lich umfaßt ſie nicht mehr als 20—30 Familien mit 60

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/251>, abgerufen am 22.11.2024.