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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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genossen erstreckt, findet die geschlossene Hauswirtschaft eine
viel straffere Zusammenfassung und größere Leistungsfähig-
keit, als in der matriarchalen oder selbst in der älteren pa-
triarchalen Sippe, die lediglich aus Blutsverwandten bestand,
möglich war. Alles individuelle Dasein ist verschwunden;
der Staat, das Recht kennen nur Familiengemeinschaften,
Menschengruppen; sie regeln die Verhältnisse von Haus zu
Haus, nicht von Mensch zu Mensch. Um das, was inner-
halb des Hauses geschieht, kümmern sie sich nicht.

Aus der wirtschaftlichen Autonomie des sklavenbe-
sitzenden Hauses erklärt sich die ganze soziale und ein guter
Teil der politischen Geschichte des alten Rom. Es gibt
keine produktiven Berufsstände, keine Bauern, keine Hand-
werker. Es gibt nur große und kleine Besitzer, Reiche
und Arme. Der Reiche drängt den Armen aus dem Be-
sitze des Grund und Bodens und macht ihn dadurch zum
Proletarier. Der besitzlose Freie ist absolut erwerbsunfähig.
Denn es gibt kein Unternehmungskapital, das Arbeit um
Lohn kaufte; es gibt keine Industrie außerhalb des ge-
schlossenen Hauses. Die artifices der Quellenschriften sind
keine freien Gewerbetreibenden, sondern Handwerkssklaven,
welche aus den Händen der Acker- und Hirtensklaven das
Korn, die Wolle, das Holz empfangen, um sie zu Brot, zu
Kleidung, zu Geräten zu verarbeiten. Omnia domi nascun-
tur,
sagt der reiche Emporkömmling bei Petron zu seinen
Gästen: "Alles wird bei mir gemacht, es wird nichts ge-
kauft." Daher jene kolossale Latifundienbildung, jene un-

genoſſen erſtreckt, findet die geſchloſſene Hauswirtſchaft eine
viel ſtraffere Zuſammenfaſſung und größere Leiſtungsfähig-
keit, als in der matriarchalen oder ſelbſt in der älteren pa-
triarchalen Sippe, die lediglich aus Blutsverwandten beſtand,
möglich war. Alles individuelle Daſein iſt verſchwunden;
der Staat, das Recht kennen nur Familiengemeinſchaften,
Menſchengruppen; ſie regeln die Verhältniſſe von Haus zu
Haus, nicht von Menſch zu Menſch. Um das, was inner-
halb des Hauſes geſchieht, kümmern ſie ſich nicht.

Aus der wirtſchaftlichen Autonomie des ſklavenbe-
ſitzenden Hauſes erklärt ſich die ganze ſoziale und ein guter
Teil der politiſchen Geſchichte des alten Rom. Es gibt
keine produktiven Berufsſtände, keine Bauern, keine Hand-
werker. Es gibt nur große und kleine Beſitzer, Reiche
und Arme. Der Reiche drängt den Armen aus dem Be-
ſitze des Grund und Bodens und macht ihn dadurch zum
Proletarier. Der beſitzloſe Freie iſt abſolut erwerbsunfähig.
Denn es gibt kein Unternehmungskapital, das Arbeit um
Lohn kaufte; es gibt keine Induſtrie außerhalb des ge-
ſchloſſenen Hauſes. Die artifices der Quellenſchriften ſind
keine freien Gewerbetreibenden, ſondern Handwerksſklaven,
welche aus den Händen der Acker- und Hirtenſklaven das
Korn, die Wolle, das Holz empfangen, um ſie zu Brot, zu
Kleidung, zu Geräten zu verarbeiten. Omnia domi nascun-
tur,
ſagt der reiche Emporkömmling bei Petron zu ſeinen
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[24/0038] genoſſen erſtreckt, findet die geſchloſſene Hauswirtſchaft eine viel ſtraffere Zuſammenfaſſung und größere Leiſtungsfähig- keit, als in der matriarchalen oder ſelbſt in der älteren pa- triarchalen Sippe, die lediglich aus Blutsverwandten beſtand, möglich war. Alles individuelle Daſein iſt verſchwunden; der Staat, das Recht kennen nur Familiengemeinſchaften, Menſchengruppen; ſie regeln die Verhältniſſe von Haus zu Haus, nicht von Menſch zu Menſch. Um das, was inner- halb des Hauſes geſchieht, kümmern ſie ſich nicht. Aus der wirtſchaftlichen Autonomie des ſklavenbe- ſitzenden Hauſes erklärt ſich die ganze ſoziale und ein guter Teil der politiſchen Geſchichte des alten Rom. Es gibt keine produktiven Berufsſtände, keine Bauern, keine Hand- werker. Es gibt nur große und kleine Beſitzer, Reiche und Arme. Der Reiche drängt den Armen aus dem Be- ſitze des Grund und Bodens und macht ihn dadurch zum Proletarier. Der beſitzloſe Freie iſt abſolut erwerbsunfähig. Denn es gibt kein Unternehmungskapital, das Arbeit um Lohn kaufte; es gibt keine Induſtrie außerhalb des ge- ſchloſſenen Hauſes. Die artifices der Quellenſchriften ſind keine freien Gewerbetreibenden, ſondern Handwerksſklaven, welche aus den Händen der Acker- und Hirtenſklaven das Korn, die Wolle, das Holz empfangen, um ſie zu Brot, zu Kleidung, zu Geräten zu verarbeiten. Omnia domi nascun- tur, ſagt der reiche Emporkömmling bei Petron zu ſeinen Gäſten: „Alles wird bei mir gemacht, es wird nichts ge- kauft.“ Daher jene koloſſale Latifundienbildung, jene un-

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/38>, abgerufen am 21.11.2024.