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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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Juden aufzunehmen, daß die Mitbürger oder Hintersassen
des fremden Schuldners für die Forderung gepfändet werden
konnten, so überzeugen wir uns leicht, daß von einem Kre-
ditwesen im modernen Sinne in der mittelalterlichen Stadt-
wirtschaft nicht die Rede sein konnte 1).

Zwei Dinge müssen auf diesem Gebiete den an den
Kategorien der modernen Volkswirtschaft geschulten Kopf
besonders befremden: die Häufigkeit, mit der unkörperliche
Sachen ("Verhältnisse") zu wirtschaftlichen Gütern werden
und dem Verkehr unterliegen und ihre verkehrsrechtliche Be-
handlung als Immobilien. An ihnen ist so recht zu sehen,
wie die beginnende Tauschwirtschaft den Spielraum, den
ihr die damalige Produktionsordnung versagte, dadurch zu
erweitern suchte, daß sie in täppischem Zugreifen fast alles
zum Verkehrsgut machte und so die Sphäre des Privatrechts
ins Ungemessene ausdehnte. Was hat man im Mittelalter
nicht verliehen, verschenkt, verkauft und verpfändet! Die
herrschaftliche Gewalt über Länder und Städte, Grafschafts-
und Vogteirechte, Cent- und Gaugerichte, kirchliche Würden
und Patronate, Bannrechte, Fähren und Wegerechte, Münze
und Zoll, Jagd- und Fischereigerechtsame, Beholzungsrechte,

1) Eine frappante Aehnlichkeit mit dem mittelalterlichen hat das
griechische Kreditwesen und seine Rechtsformen. Auch bei diesem fließen
Kauf und Darlehen in einander über, und die Sprache ist nicht dazu
gelangt, die Begriffe kaufen, verpfänden, pachten, dingen scharf zu
scheiden. Das griechische Pfandrecht stimmt in allen wichtigeren Punkten
mit dem älteren deutschen überein. Vgl. K. F. Hermann, Lehrbuch
der griech. Privataltertümer mit Einschluß der Rechtsaltertümer § 67
und 68.

Juden aufzunehmen, daß die Mitbürger oder Hinterſaſſen
des fremden Schuldners für die Forderung gepfändet werden
konnten, ſo überzeugen wir uns leicht, daß von einem Kre-
ditweſen im modernen Sinne in der mittelalterlichen Stadt-
wirtſchaft nicht die Rede ſein konnte 1).

Zwei Dinge müſſen auf dieſem Gebiete den an den
Kategorien der modernen Volkswirtſchaft geſchulten Kopf
beſonders befremden: die Häufigkeit, mit der unkörperliche
Sachen („Verhältniſſe“) zu wirtſchaftlichen Gütern werden
und dem Verkehr unterliegen und ihre verkehrsrechtliche Be-
handlung als Immobilien. An ihnen iſt ſo recht zu ſehen,
wie die beginnende Tauſchwirtſchaft den Spielraum, den
ihr die damalige Produktionsordnung verſagte, dadurch zu
erweitern ſuchte, daß ſie in täppiſchem Zugreifen faſt alles
zum Verkehrsgut machte und ſo die Sphäre des Privatrechts
ins Ungemeſſene ausdehnte. Was hat man im Mittelalter
nicht verliehen, verſchenkt, verkauft und verpfändet! Die
herrſchaftliche Gewalt über Länder und Städte, Grafſchafts-
und Vogteirechte, Cent- und Gaugerichte, kirchliche Würden
und Patronate, Bannrechte, Fähren und Wegerechte, Münze
und Zoll, Jagd- und Fiſchereigerechtſame, Beholzungsrechte,

1) Eine frappante Aehnlichkeit mit dem mittelalterlichen hat das
griechiſche Kreditweſen und ſeine Rechtsformen. Auch bei dieſem fließen
Kauf und Darlehen in einander über, und die Sprache iſt nicht dazu
gelangt, die Begriffe kaufen, verpfänden, pachten, dingen ſcharf zu
ſcheiden. Das griechiſche Pfandrecht ſtimmt in allen wichtigeren Punkten
mit dem älteren deutſchen überein. Vgl. K. F. Hermann, Lehrbuch
der griech. Privataltertümer mit Einſchluß der Rechtsaltertümer § 67
und 68.
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[63/0077] Juden aufzunehmen, daß die Mitbürger oder Hinterſaſſen des fremden Schuldners für die Forderung gepfändet werden konnten, ſo überzeugen wir uns leicht, daß von einem Kre- ditweſen im modernen Sinne in der mittelalterlichen Stadt- wirtſchaft nicht die Rede ſein konnte 1). Zwei Dinge müſſen auf dieſem Gebiete den an den Kategorien der modernen Volkswirtſchaft geſchulten Kopf beſonders befremden: die Häufigkeit, mit der unkörperliche Sachen („Verhältniſſe“) zu wirtſchaftlichen Gütern werden und dem Verkehr unterliegen und ihre verkehrsrechtliche Be- handlung als Immobilien. An ihnen iſt ſo recht zu ſehen, wie die beginnende Tauſchwirtſchaft den Spielraum, den ihr die damalige Produktionsordnung verſagte, dadurch zu erweitern ſuchte, daß ſie in täppiſchem Zugreifen faſt alles zum Verkehrsgut machte und ſo die Sphäre des Privatrechts ins Ungemeſſene ausdehnte. Was hat man im Mittelalter nicht verliehen, verſchenkt, verkauft und verpfändet! Die herrſchaftliche Gewalt über Länder und Städte, Grafſchafts- und Vogteirechte, Cent- und Gaugerichte, kirchliche Würden und Patronate, Bannrechte, Fähren und Wegerechte, Münze und Zoll, Jagd- und Fiſchereigerechtſame, Beholzungsrechte, 1) Eine frappante Aehnlichkeit mit dem mittelalterlichen hat das griechiſche Kreditweſen und ſeine Rechtsformen. Auch bei dieſem fließen Kauf und Darlehen in einander über, und die Sprache iſt nicht dazu gelangt, die Begriffe kaufen, verpfänden, pachten, dingen ſcharf zu ſcheiden. Das griechiſche Pfandrecht ſtimmt in allen wichtigeren Punkten mit dem älteren deutſchen überein. Vgl. K. F. Hermann, Lehrbuch der griech. Privataltertümer mit Einſchluß der Rechtsaltertümer § 67 und 68.

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/77>, abgerufen am 24.11.2024.