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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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Nur eins möchte ich noch besonders betonen. Haus-
wirtschaft--Stadtwirtschaft--Volkswirtschaft bezeichnen nicht
einen Stufengang, dessen Glieder einander völlig ausschließen.
Es hat immer eine Art des Wirtschaftens vorgeherrscht;
sie war in den Augen der Zeitgenossen das Normale. Auch
in die Gegenwart ragen noch manche Elemente der Stadt-
wirtschaft und selbst der geschlossenen Hauswirtschaft herein.
Noch heute tritt ein sehr beträchtlicher Teil der nationalen
Güterproduktion nicht in die volkswirtschaftliche Zirkulation
ein, sondern wird in denjenigen Sonderwirtschaften ver-
braucht, welche ihn erzeugt haben; ein anderer hat seinen
Lauf vollendet, wenn er aus einer Wirtschaft in die andere
übergegangen ist.

Es scheint darnach fast, als ob diejenigen Unrecht
hätten, welche die Aufgabe der Volkswirtschaftslehre darin
erblicken, das Wesen und den Zusammenhang der Verkehrs-
vorgänge klarzulegen, und als ob diejenigen im Rechte wären,
welche sich mit der Beschreibung der Wirtschaftsformen und
ihrer historischen Umbildungen begnügen.

Und doch wäre das ein verhängnisvoller Irrtum,
welcher gleichbedeutend wäre mit der Preisgabe der wissen-
schaftlichen Arbeit von mehr als einem Jahrhundert, gleich-
bedeutend auch mit einer völligen Verkennung unserer wirt-
schaftlichen Gegenwart. Es wird heute auch in dem ent-
legensten Bauernhofe kein Sack Waizen mehr produziert
ohne Zusammenhang mit dem Ganzen des volkswirtschaft-
lichen Verkehrs. Wird er auch im Hause des Produzenten

Nur eins möchte ich noch beſonders betonen. Haus-
wirtſchaft—Stadtwirtſchaft—Volkswirtſchaft bezeichnen nicht
einen Stufengang, deſſen Glieder einander völlig ausſchließen.
Es hat immer eine Art des Wirtſchaftens vorgeherrſcht;
ſie war in den Augen der Zeitgenoſſen das Normale. Auch
in die Gegenwart ragen noch manche Elemente der Stadt-
wirtſchaft und ſelbſt der geſchloſſenen Hauswirtſchaft herein.
Noch heute tritt ein ſehr beträchtlicher Teil der nationalen
Güterproduktion nicht in die volkswirtſchaftliche Zirkulation
ein, ſondern wird in denjenigen Sonderwirtſchaften ver-
braucht, welche ihn erzeugt haben; ein anderer hat ſeinen
Lauf vollendet, wenn er aus einer Wirtſchaft in die andere
übergegangen iſt.

Es ſcheint darnach faſt, als ob diejenigen Unrecht
hätten, welche die Aufgabe der Volkswirtſchaftslehre darin
erblicken, das Weſen und den Zuſammenhang der Verkehrs-
vorgänge klarzulegen, und als ob diejenigen im Rechte wären,
welche ſich mit der Beſchreibung der Wirtſchaftsformen und
ihrer hiſtoriſchen Umbildungen begnügen.

Und doch wäre das ein verhängnisvoller Irrtum,
welcher gleichbedeutend wäre mit der Preisgabe der wiſſen-
ſchaftlichen Arbeit von mehr als einem Jahrhundert, gleich-
bedeutend auch mit einer völligen Verkennung unſerer wirt-
ſchaftlichen Gegenwart. Es wird heute auch in dem ent-
legenſten Bauernhofe kein Sack Waizen mehr produziert
ohne Zuſammenhang mit dem Ganzen des volkswirtſchaft-
lichen Verkehrs. Wird er auch im Hauſe des Produzenten

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[76 *[76*]/0098] Nur eins möchte ich noch beſonders betonen. Haus- wirtſchaft—Stadtwirtſchaft—Volkswirtſchaft bezeichnen nicht einen Stufengang, deſſen Glieder einander völlig ausſchließen. Es hat immer eine Art des Wirtſchaftens vorgeherrſcht; ſie war in den Augen der Zeitgenoſſen das Normale. Auch in die Gegenwart ragen noch manche Elemente der Stadt- wirtſchaft und ſelbſt der geſchloſſenen Hauswirtſchaft herein. Noch heute tritt ein ſehr beträchtlicher Teil der nationalen Güterproduktion nicht in die volkswirtſchaftliche Zirkulation ein, ſondern wird in denjenigen Sonderwirtſchaften ver- braucht, welche ihn erzeugt haben; ein anderer hat ſeinen Lauf vollendet, wenn er aus einer Wirtſchaft in die andere übergegangen iſt. Es ſcheint darnach faſt, als ob diejenigen Unrecht hätten, welche die Aufgabe der Volkswirtſchaftslehre darin erblicken, das Weſen und den Zuſammenhang der Verkehrs- vorgänge klarzulegen, und als ob diejenigen im Rechte wären, welche ſich mit der Beſchreibung der Wirtſchaftsformen und ihrer hiſtoriſchen Umbildungen begnügen. Und doch wäre das ein verhängnisvoller Irrtum, welcher gleichbedeutend wäre mit der Preisgabe der wiſſen- ſchaftlichen Arbeit von mehr als einem Jahrhundert, gleich- bedeutend auch mit einer völligen Verkennung unſerer wirt- ſchaftlichen Gegenwart. Es wird heute auch in dem ent- legenſten Bauernhofe kein Sack Waizen mehr produziert ohne Zuſammenhang mit dem Ganzen des volkswirtſchaft- lichen Verkehrs. Wird er auch im Hauſe des Produzenten

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 76 *[76*]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/98>, abgerufen am 22.11.2024.