sich drei Acte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheirathet oder sich todt schießt -- ein Ideal! -- Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Leben wie- dergibt, wie eine Thonpfeife mit Wasser die Nachti- gall -- die Kunst! -- Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse -- die erbärmliche Wirklich- keit! -- Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Copisten. Von der Schöpfung, die glü- hend, brausend und leuchtend in ihnen sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen in's Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach, und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! -- Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei lebendig gewor- den, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton. Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern. (Danton wird herausgerufen.)
ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich zuletzt verheirathet oder ſich todt ſchießt — ein Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menſchlichen Leben wie- dergibt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachti- gall — die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklich- keit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glü- hend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts. Sie gehen in’s Theater, leſen Gedichte und Romane, ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach, und ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! — Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie erzählten, Pygmalions Statue ſei lebendig gewor- den, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton. Und die Künſtler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie ſie aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und ſagte: ich erhaſche die letzten Zuckungen des Lebens in dieſen Böſewichtern. (Danton wird herausgerufen.)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0072"n="68"/>ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich<lb/>
zuletzt verheirathet oder ſich todt ſchießt — ein<lb/>
Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das<lb/>
Schweben und Senken im menſchlichen Leben wie-<lb/>
dergibt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachti-<lb/>
gall — die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem<lb/>
Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklich-<lb/>
keit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen<lb/>ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glü-<lb/>
hend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden<lb/>
Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts.<lb/>
Sie gehen in’s Theater, leſen Gedichte und Romane,<lb/>ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach, und<lb/>ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! —<lb/>
Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie<lb/>
erzählten, Pygmalions Statue ſei lebendig gewor-<lb/>
den, habe aber keine Kinder bekommen.</p><lb/><spwho="#DAN"><speaker><hirendition="#g">Danton.</hi></speaker><lb/><p>Und die Künſtler gehn mit der Natur um wie<lb/>
David, der im September die Gemordeten, wie ſie<lb/>
aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden,<lb/>
kaltblütig zeichnete und ſagte: ich erhaſche die letzten<lb/>
Zuckungen des Lebens in dieſen Böſewichtern.</p><lb/><stage>(Danton wird herausgerufen.)</stage></sp><lb/></div></div></body></text></TEI>
[68/0072]
ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich
zuletzt verheirathet oder ſich todt ſchießt — ein
Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das
Schweben und Senken im menſchlichen Leben wie-
dergibt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachti-
gall — die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem
Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklich-
keit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen
ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glü-
hend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden
Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts.
Sie gehen in’s Theater, leſen Gedichte und Romane,
ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach, und
ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! —
Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie
erzählten, Pygmalions Statue ſei lebendig gewor-
den, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton.
Und die Künſtler gehn mit der Natur um wie
David, der im September die Gemordeten, wie ſie
aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden,
kaltblütig zeichnete und ſagte: ich erhaſche die letzten
Zuckungen des Lebens in dieſen Böſewichtern.
(Danton wird herausgerufen.)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Danton's Tod. Frankfurt (Main), 1835, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_danton_1835/72>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.