Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Weltanschauung als ein schlagendes Beispiel nennen.
Heilmittel in dem Sinne aber, daß sie bestimmte Krank-
heiten mit Sicherheit und unter allen Umständen ver-
treiben und so als für diese Krankheiten zum Voraus
bestimmt angesehen werden könnten, giebt es gar nicht.
Alle vernünftigen Aerzte leugnen heute die Existenz s. g.
specifischer Mittel in dem angeführten Sinne und
bekennen sich zu der Ansicht, daß die Wirkung der Arz-
neien nicht auf einer specifischen Neutralisation der Krank-
heiten beruhe, sondern in ganz anderen, meist zufälligen
oder doch durch einen weitläufigen Causalnexus verbun-
denen Umständen ihre Erklärung finde. Daher muß
auch die Ansicht verlassen werden, als habe die Natur
gegen gewisse Krankheiten gewisse Kräuter wachsen lassen,
eine Ansicht, welche dem Schöpfer eine baare Lächerlich-
keit imputirt, indem sie es für möglich hält, daß derselbe
ein Uebel zugleich mit seinem Gegenübel geschaffen habe,
anstatt die Erschaffung Beider zu unterlassen. Solcher
nutzlosen Spielereien würde sich eine absichtlich wirkende
Schöpferkraft nicht schuldig gemacht haben. -- Um noch
einmal auf die Mißgeburten zurückzukommen, so wäre
noch anzuführen, daß man künstliche Mißgeburten
erzeugen kann, indem man dem Ey oder dem Fötus
Verletzungen beibringt. Die Natur hat kein Mittel, die-
sem Eingriffe zu begegnen, den Schaden auszugleichen;
im Gegentheil folgt sie dem zufällig erhaltenen Anstoß,

Weltanſchauung als ein ſchlagendes Beiſpiel nennen.
Heilmittel in dem Sinne aber, daß ſie beſtimmte Krank-
heiten mit Sicherheit und unter allen Umſtänden ver-
treiben und ſo als für dieſe Krankheiten zum Voraus
beſtimmt angeſehen werden könnten, giebt es gar nicht.
Alle vernünftigen Aerzte leugnen heute die Exiſtenz ſ. g.
ſpecifiſcher Mittel in dem angeführten Sinne und
bekennen ſich zu der Anſicht, daß die Wirkung der Arz-
neien nicht auf einer ſpecifiſchen Neutraliſation der Krank-
heiten beruhe, ſondern in ganz anderen, meiſt zufälligen
oder doch durch einen weitläufigen Cauſalnexus verbun-
denen Umſtänden ihre Erklärung finde. Daher muß
auch die Anſicht verlaſſen werden, als habe die Natur
gegen gewiſſe Krankheiten gewiſſe Kräuter wachſen laſſen,
eine Anſicht, welche dem Schöpfer eine baare Lächerlich-
keit imputirt, indem ſie es für möglich hält, daß derſelbe
ein Uebel zugleich mit ſeinem Gegenübel geſchaffen habe,
anſtatt die Erſchaffung Beider zu unterlaſſen. Solcher
nutzloſen Spielereien würde ſich eine abſichtlich wirkende
Schöpferkraft nicht ſchuldig gemacht haben. — Um noch
einmal auf die Mißgeburten zurückzukommen, ſo wäre
noch anzuführen, daß man künſtliche Mißgeburten
erzeugen kann, indem man dem Ey oder dem Fötus
Verletzungen beibringt. Die Natur hat kein Mittel, die-
ſem Eingriffe zu begegnen, den Schaden auszugleichen;
im Gegentheil folgt ſie dem zufällig erhaltenen Anſtoß,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="107"/>
Weltan&#x017F;chauung als ein &#x017F;chlagendes Bei&#x017F;piel nennen.<lb/>
Heilmittel in <hi rendition="#g">dem</hi> Sinne aber, daß &#x017F;ie be&#x017F;timmte Krank-<lb/>
heiten mit Sicherheit und unter allen Um&#x017F;tänden ver-<lb/>
treiben und &#x017F;o als für die&#x017F;e Krankheiten zum Voraus<lb/>
be&#x017F;timmt ange&#x017F;ehen werden könnten, giebt es gar nicht.<lb/>
Alle vernünftigen Aerzte leugnen heute die Exi&#x017F;tenz &#x017F;. g.<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;pecifi&#x017F;cher</hi> Mittel in dem angeführten Sinne und<lb/>
bekennen &#x017F;ich zu der An&#x017F;icht, daß die Wirkung der Arz-<lb/>
neien nicht auf einer &#x017F;pecifi&#x017F;chen Neutrali&#x017F;ation der Krank-<lb/>
heiten beruhe, &#x017F;ondern in ganz anderen, mei&#x017F;t zufälligen<lb/>
oder doch durch einen weitläufigen Cau&#x017F;alnexus verbun-<lb/>
denen Um&#x017F;tänden ihre Erklärung finde. Daher muß<lb/>
auch die An&#x017F;icht verla&#x017F;&#x017F;en werden, als habe die Natur<lb/>
gegen gewi&#x017F;&#x017F;e Krankheiten gewi&#x017F;&#x017F;e Kräuter wach&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
eine An&#x017F;icht, welche dem Schöpfer eine baare Lächerlich-<lb/>
keit imputirt, indem &#x017F;ie es für möglich hält, daß der&#x017F;elbe<lb/>
ein Uebel zugleich mit &#x017F;einem Gegenübel ge&#x017F;chaffen habe,<lb/>
an&#x017F;tatt die Er&#x017F;chaffung Beider zu unterla&#x017F;&#x017F;en. Solcher<lb/>
nutzlo&#x017F;en Spielereien würde &#x017F;ich eine ab&#x017F;ichtlich wirkende<lb/>
Schöpferkraft nicht &#x017F;chuldig gemacht haben. &#x2014; Um noch<lb/>
einmal auf die Mißgeburten zurückzukommen, &#x017F;o wäre<lb/>
noch anzuführen, daß man <hi rendition="#g">kün&#x017F;tliche Mißgeburten</hi><lb/>
erzeugen kann, indem man dem Ey oder dem Fötus<lb/>
Verletzungen beibringt. Die Natur hat kein Mittel, die-<lb/>
&#x017F;em Eingriffe zu begegnen, den Schaden auszugleichen;<lb/>
im Gegentheil folgt &#x017F;ie dem zufällig erhaltenen An&#x017F;toß,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0127] Weltanſchauung als ein ſchlagendes Beiſpiel nennen. Heilmittel in dem Sinne aber, daß ſie beſtimmte Krank- heiten mit Sicherheit und unter allen Umſtänden ver- treiben und ſo als für dieſe Krankheiten zum Voraus beſtimmt angeſehen werden könnten, giebt es gar nicht. Alle vernünftigen Aerzte leugnen heute die Exiſtenz ſ. g. ſpecifiſcher Mittel in dem angeführten Sinne und bekennen ſich zu der Anſicht, daß die Wirkung der Arz- neien nicht auf einer ſpecifiſchen Neutraliſation der Krank- heiten beruhe, ſondern in ganz anderen, meiſt zufälligen oder doch durch einen weitläufigen Cauſalnexus verbun- denen Umſtänden ihre Erklärung finde. Daher muß auch die Anſicht verlaſſen werden, als habe die Natur gegen gewiſſe Krankheiten gewiſſe Kräuter wachſen laſſen, eine Anſicht, welche dem Schöpfer eine baare Lächerlich- keit imputirt, indem ſie es für möglich hält, daß derſelbe ein Uebel zugleich mit ſeinem Gegenübel geſchaffen habe, anſtatt die Erſchaffung Beider zu unterlaſſen. Solcher nutzloſen Spielereien würde ſich eine abſichtlich wirkende Schöpferkraft nicht ſchuldig gemacht haben. — Um noch einmal auf die Mißgeburten zurückzukommen, ſo wäre noch anzuführen, daß man künſtliche Mißgeburten erzeugen kann, indem man dem Ey oder dem Fötus Verletzungen beibringt. Die Natur hat kein Mittel, die- ſem Eingriffe zu begegnen, den Schaden auszugleichen; im Gegentheil folgt ſie dem zufällig erhaltenen Anſtoß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/127
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/127>, abgerufen am 24.11.2024.