der Schöpfung zu sehen, und die Erde und Alles, was auf ihr lebt, so zu betrachten, als sei es von einem gütigen Schöpfer zu seinem Nutzen und Wohnsitz erschaffen worden. Ein Blick auf die Geschichte der Erde und auf die geographische Verbreitung des Menschengeschlechts könnte ihn Bescheidenheit lehren. Wie lange bestand die Erde ohne ihn! und wie gering ist seine eigene Aus- breitung über dieselbe selbst jetzt noch, nachdem viele Jahrtausende hindurch sein Geschlecht nur ein winziges Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde könnte nicht wohnlicher für den Menschen eingerichtet sein, würde sich gewiß einer Lächerlichkeit schuldig machen. Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Mensch kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu seinem Wohnsitz tauglich macht, und wie große Strecken Landes sind durch Boden oder Klima seiner Ansiedelung geradezu verschlossen! Kein Wesen kann dazu bestimmt sein, für den Nutzen des Menschen zu leben; Alles, was lebt, hat das gleiche Recht der Existenz, und es ist nur das Recht des Stärkeren, welches dem Menschen erlaubt, sich andere Wesen dienstbar zu machen oder zu tödten. Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gunsten eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur ist sich selbst Zweck, sich selbst erzeugend, sich selbst erfüllend!
der Schöpfung zu ſehen, und die Erde und Alles, was auf ihr lebt, ſo zu betrachten, als ſei es von einem gütigen Schöpfer zu ſeinem Nutzen und Wohnſitz erſchaffen worden. Ein Blick auf die Geſchichte der Erde und auf die geographiſche Verbreitung des Menſchengeſchlechts könnte ihn Beſcheidenheit lehren. Wie lange beſtand die Erde ohne ihn! und wie gering iſt ſeine eigene Aus- breitung über dieſelbe ſelbſt jetzt noch, nachdem viele Jahrtauſende hindurch ſein Geſchlecht nur ein winziges Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde könnte nicht wohnlicher für den Menſchen eingerichtet ſein, würde ſich gewiß einer Lächerlichkeit ſchuldig machen. Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Menſch kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu ſeinem Wohnſitz tauglich macht, und wie große Strecken Landes ſind durch Boden oder Klima ſeiner Anſiedelung geradezu verſchloſſen! Kein Weſen kann dazu beſtimmt ſein, für den Nutzen des Menſchen zu leben; Alles, was lebt, hat das gleiche Recht der Exiſtenz, und es iſt nur das Recht des Stärkeren, welches dem Menſchen erlaubt, ſich andere Weſen dienſtbar zu machen oder zu tödten. Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gunſten eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur iſt ſich ſelbſt Zweck, ſich ſelbſt erzeugend, ſich ſelbſt erfüllend!
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der Schöpfung zu ſehen, und die Erde und Alles, was
auf ihr lebt, ſo zu betrachten, als ſei es von einem
gütigen Schöpfer zu ſeinem Nutzen und Wohnſitz erſchaffen
worden. Ein Blick auf die Geſchichte der Erde und auf
die geographiſche Verbreitung des Menſchengeſchlechts
könnte ihn Beſcheidenheit lehren. Wie lange beſtand die
Erde ohne ihn! und wie gering iſt ſeine eigene Aus-
breitung über dieſelbe ſelbſt jetzt noch, nachdem viele
Jahrtauſende hindurch ſein Geſchlecht nur ein winziges
Häuflein bildete. Und wer behaupten wollte, die Erde
könnte nicht wohnlicher für den Menſchen eingerichtet
ſein, würde ſich gewiß einer Lächerlichkeit ſchuldig machen.
Mit welchen unendlichen Schwierigkeiten muß der Menſch
kämpfen, bis er ein Fleckchen Erde zu ſeinem Wohnſitz
tauglich macht, und wie große Strecken Landes ſind
durch Boden oder Klima ſeiner Anſiedelung geradezu
verſchloſſen! Kein Weſen kann dazu beſtimmt ſein, für
den Nutzen des Menſchen zu leben; Alles, was lebt,
hat das gleiche Recht der Exiſtenz, und es iſt nur das
Recht des Stärkeren, welches dem Menſchen erlaubt,
ſich andere Weſen dienſtbar zu machen oder zu tödten.
Es gibt keine Zwecke, welche die Natur zu Gunſten
eines Bevorzugten zu erreichen bemüht wäre; die Natur
iſt ſich ſelbſt Zweck, ſich ſelbſt erzeugend, ſich ſelbſt
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/130>, abgerufen am 21.11.2024.
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