der Wüste, allein menschlichen Aufenthalt möglich macht, gab es keine Kameele; in Jtalien gab es keinen Oelbaum und am Rhein keine Reben! Jst es zweck- mäßig, um auch ein Beispiel aus der größeren Welt anzuführen, daß das Licht trotz seiner maßlosen Ge- schwindigkeit so langsam den Weltraum durcheilt, daß es viele tausend Jahre braucht, um von einem Sterne zum andern zu gelangen? Wozu diese unweise Be- schränkung in den Aeußerungen des schöpferischen Willens! -- Eine Menge angeblicher Zwecke erreicht die Natur auf einem großen, mühsamen Umweg, wäh- rend sich nicht leugnen läßt, daß diese Zwecke, wenn es bloß auf deren Erreichung ankam, unendlich leichter und einfacher zu erlangen gewesen wären. Die größten Pyramiden Aegyptens und andere Riesenbauten daselbst sind aus Gesteinen errichtet, die den Kalkschaalen kleiner Thiere ihre Entstehung verdanken. Der Quaderstein, aus dem fast ganz Paris erbaut wurde, besteht aus Schaalen von Jnfusorien, deren man zweihundert Millio- nen in einem Kubikfuß zählt. Die Zeit, welche diese Gesteine zu ihrer Entstehung bedurften, muß nach Aeo- nen gerechnet werden; sie sind dem Menschen heute nützlich und erscheinen ihm als Beweis zweckmäßiger natürlicher Vorsorge. Die Größe von Zweck und Mittel steht aber hier offenbar im schreiendsten Mißverhältniß. -- Der Mensch ist gewohnt, in sich den Gipfelpunkt
der Wüſte, allein menſchlichen Aufenthalt möglich macht, gab es keine Kameele; in Jtalien gab es keinen Oelbaum und am Rhein keine Reben! Jſt es zweck- mäßig, um auch ein Beiſpiel aus der größeren Welt anzuführen, daß das Licht trotz ſeiner maßloſen Ge- ſchwindigkeit ſo langſam den Weltraum durcheilt, daß es viele tauſend Jahre braucht, um von einem Sterne zum andern zu gelangen? Wozu dieſe unweiſe Be- ſchränkung in den Aeußerungen des ſchöpferiſchen Willens! — Eine Menge angeblicher Zwecke erreicht die Natur auf einem großen, mühſamen Umweg, wäh- rend ſich nicht leugnen läßt, daß dieſe Zwecke, wenn es bloß auf deren Erreichung ankam, unendlich leichter und einfacher zu erlangen geweſen wären. Die größten Pyramiden Aegyptens und andere Rieſenbauten daſelbſt ſind aus Geſteinen errichtet, die den Kalkſchaalen kleiner Thiere ihre Entſtehung verdanken. Der Quaderſtein, aus dem faſt ganz Paris erbaut wurde, beſteht aus Schaalen von Jnfuſorien, deren man zweihundert Millio- nen in einem Kubikfuß zählt. Die Zeit, welche dieſe Geſteine zu ihrer Entſtehung bedurften, muß nach Aeo- nen gerechnet werden; ſie ſind dem Menſchen heute nützlich und erſcheinen ihm als Beweis zweckmäßiger natürlicher Vorſorge. Die Größe von Zweck und Mittel ſteht aber hier offenbar im ſchreiendſten Mißverhältniß. — Der Menſch iſt gewohnt, in ſich den Gipfelpunkt
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der Wüſte, allein menſchlichen Aufenthalt möglich macht,
gab es keine Kameele; in Jtalien gab es keinen
Oelbaum und am Rhein keine Reben! Jſt es zweck-
mäßig, um auch ein Beiſpiel aus der größeren Welt
anzuführen, daß das Licht trotz ſeiner maßloſen Ge-
ſchwindigkeit ſo langſam den Weltraum durcheilt, daß
es viele tauſend Jahre braucht, um von einem Sterne
zum andern zu gelangen? Wozu dieſe unweiſe Be-
ſchränkung in den Aeußerungen des ſchöpferiſchen
Willens! — Eine Menge angeblicher Zwecke erreicht
die Natur auf einem großen, mühſamen Umweg, wäh-
rend ſich nicht leugnen läßt, daß dieſe Zwecke, wenn es
bloß auf deren Erreichung ankam, unendlich leichter und
einfacher zu erlangen geweſen wären. Die größten
Pyramiden Aegyptens und andere Rieſenbauten daſelbſt
ſind aus Geſteinen errichtet, die den Kalkſchaalen kleiner
Thiere ihre Entſtehung verdanken. Der Quaderſtein,
aus dem faſt ganz Paris erbaut wurde, beſteht aus
Schaalen von Jnfuſorien, deren man zweihundert Millio-
nen in einem Kubikfuß zählt. Die Zeit, welche dieſe
Geſteine zu ihrer Entſtehung bedurften, muß nach Aeo-
nen gerechnet werden; ſie ſind dem Menſchen heute
nützlich und erſcheinen ihm als Beweis zweckmäßiger
natürlicher Vorſorge. Die Größe von Zweck und Mittel
ſteht aber hier offenbar im ſchreiendſten Mißverhältniß.
— Der Menſch iſt gewohnt, in ſich den Gipfelpunkt
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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