oder der unterwürfige Sinn in der Menschennatur von jeher so stark, daß sich der Mensch mehr darin gefiel, seine natürliche Würde abzulegen und sich eingebildeten Gewalten und Dämonen unterzuordnen, als sein angebornes Recht zu behaupten. Am weitesten gedieh diese unnatürliche Abgötterei durch die Verkehrtheit mittelalterlicher Reli- gionsschwärmerei, welche den Menschen als Gattung und als Jndividuum herabwürdigte, um dem gegenüber die Hoheit eines eingebildeten Himmels in desto lebhafterem Glanze erstrahlen zu lassen. Der natürliche und durch keine äußere Wucht ganz zu erstickende gesunde Sinn oder Jnstinkt der menschlichen Natur indessen bewahrte die Menschheit im Ganzen vor den furchtbaren Conse- quenzen einer Weltanschauung, welche als der bitterste Feind jeder geistigen und materiellen Cultur angesehen werden muß, und welche derselben dennoch unendlichen Schaden zugefügt hat. Würde jene Weltauschauung wirklich praktisch, so müßte jedes menschliche Streben nach irdischer Vervollkommnung ein Ende haben. Daß es dieses Ende nicht gefunden hat, sondern im Gegen- theil von Jahr zu Jahr erstarkt, beweist dafür, daß jener Glaube nur ein äußerlich angenommener war und ist. "Jn der Praxis", sagt Feuerbach sehr richtig, "sind alle Menschen Atheisten, sie widerlegen durch die That ihren Glauben." Und an einer andern Stelle: "Sind wir für den Himmel geboren, so sind wir für die Erde
Büchner, Kraft und Stoff. 8
oder der unterwürfige Sinn in der Menſchennatur von jeher ſo ſtark, daß ſich der Menſch mehr darin gefiel, ſeine natürliche Würde abzulegen und ſich eingebildeten Gewalten und Dämonen unterzuordnen, als ſein angebornes Recht zu behaupten. Am weiteſten gedieh dieſe unnatürliche Abgötterei durch die Verkehrtheit mittelalterlicher Reli- gionsſchwärmerei, welche den Menſchen als Gattung und als Jndividuum herabwürdigte, um dem gegenüber die Hoheit eines eingebildeten Himmels in deſto lebhafterem Glanze erſtrahlen zu laſſen. Der natürliche und durch keine äußere Wucht ganz zu erſtickende geſunde Sinn oder Jnſtinkt der menſchlichen Natur indeſſen bewahrte die Menſchheit im Ganzen vor den furchtbaren Conſe- quenzen einer Weltanſchauung, welche als der bitterſte Feind jeder geiſtigen und materiellen Cultur angeſehen werden muß, und welche derſelben dennoch unendlichen Schaden zugefügt hat. Würde jene Weltauſchauung wirklich praktiſch, ſo müßte jedes menſchliche Streben nach irdiſcher Vervollkommnung ein Ende haben. Daß es dieſes Ende nicht gefunden hat, ſondern im Gegen- theil von Jahr zu Jahr erſtarkt, beweiſt dafür, daß jener Glaube nur ein äußerlich angenommener war und iſt. „Jn der Praxis‟, ſagt Feuerbach ſehr richtig, „ſind alle Menſchen Atheiſten, ſie widerlegen durch die That ihren Glauben.‟ Und an einer andern Stelle: „Sind wir für den Himmel geboren, ſo ſind wir für die Erde
Büchner, Kraft und Stoff. 8
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oder der unterwürfige Sinn in der Menſchennatur von
jeher ſo ſtark, daß ſich der Menſch mehr darin gefiel, ſeine
natürliche Würde abzulegen und ſich eingebildeten Gewalten
und Dämonen unterzuordnen, als ſein angebornes Recht
zu behaupten. Am weiteſten gedieh dieſe unnatürliche
Abgötterei durch die Verkehrtheit mittelalterlicher Reli-
gionsſchwärmerei, welche den Menſchen als Gattung und
als Jndividuum herabwürdigte, um dem gegenüber die
Hoheit eines eingebildeten Himmels in deſto lebhafterem
Glanze erſtrahlen zu laſſen. Der natürliche und durch
keine äußere Wucht ganz zu erſtickende geſunde Sinn
oder Jnſtinkt der menſchlichen Natur indeſſen bewahrte
die Menſchheit im Ganzen vor den furchtbaren Conſe-
quenzen einer Weltanſchauung, welche als der bitterſte
Feind jeder geiſtigen und materiellen Cultur angeſehen
werden muß, und welche derſelben dennoch unendlichen
Schaden zugefügt hat. Würde jene Weltauſchauung
wirklich praktiſch, ſo müßte jedes menſchliche Streben
nach irdiſcher Vervollkommnung ein Ende haben. Daß
es dieſes Ende nicht gefunden hat, ſondern im Gegen-
theil von Jahr zu Jahr erſtarkt, beweiſt dafür, daß
jener Glaube nur ein äußerlich angenommener war und
iſt. „Jn der Praxis‟, ſagt Feuerbach ſehr richtig, „ſind
alle Menſchen Atheiſten, ſie widerlegen durch die That
ihren Glauben.‟ Und an einer andern Stelle: „Sind
wir für den Himmel geboren, ſo ſind wir für die Erde
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/133>, abgerufen am 24.11.2024.
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