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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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Glaube an das Menschliche bereits seine natürliche Grenze
überschritten hat und auch die Moral beherrscht?

Es kann Feuerbach's Verdienste nicht schmälern,
sondern nur seine Ansicht über die Geschichte seines Ge-
dankens modificiren, wenn man in früheren religions-
philosophischen Systemen nach Anschauungsweisen sucht,
welche der seinigen analog sind. Von dem chinesischen
Religionsstifter Laotse, einem Zeitgenossen des Konfu-
cius, der also weit in der vorchristlichen Zeitrechnung
lebte, weiß man, daß er das höchste Wesen Tao nannte,
welches zu Deutsch Vernunft heißt, und daß er die
Vernunft des Menschen mit der Vernunft des All's und
dem höchsten Wesen identificirte. So hat Laotse damals
schon einen Gott sich vorgestellt, wie ihn Feuerbach erst
den auf höheren Standpunkten angekommenen Völkern
zuschreibt, wo sie ihren Gott nicht mehr aus sinnlichen,
sondern aus gedachten Eigenschaften construiren, einen
Gott, von dem Feuerbach weiter sagt: "Der vom eigent-
lichen menschlichen Wesen unterschiedene, anthropomor-
phismenlose Gott ist nichts anderes, als das Wesen der
Vernunft." -- An ähnlichen und deutlichen Aussprüchen
und Andeutungen hat es in der Geschichte der Denker
niemals gefehlt, und Feuerbach's Verdienst beruht viel-
leicht hauptsächlich nur in der neuen Form und in der
neuen Zeit, sowie in der systematischen und rückhaltlosen
Vollendung seines Gedankens. Dieselbe Jdee leitete

Glaube an das Menſchliche bereits ſeine natürliche Grenze
überſchritten hat und auch die Moral beherrſcht?

Es kann Feuerbach’s Verdienſte nicht ſchmälern,
ſondern nur ſeine Anſicht über die Geſchichte ſeines Ge-
dankens modificiren, wenn man in früheren religions-
philoſophiſchen Syſtemen nach Anſchauungsweiſen ſucht,
welche der ſeinigen analog ſind. Von dem chineſiſchen
Religionsſtifter Laotſe, einem Zeitgenoſſen des Konfu-
cius, der alſo weit in der vorchriſtlichen Zeitrechnung
lebte, weiß man, daß er das höchſte Weſen Tao nannte,
welches zu Deutſch Vernunft heißt, und daß er die
Vernunft des Menſchen mit der Vernunft des All’s und
dem höchſten Weſen identificirte. So hat Laotſe damals
ſchon einen Gott ſich vorgeſtellt, wie ihn Feuerbach erſt
den auf höheren Standpunkten angekommenen Völkern
zuſchreibt, wo ſie ihren Gott nicht mehr aus ſinnlichen,
ſondern aus gedachten Eigenſchaften conſtruiren, einen
Gott, von dem Feuerbach weiter ſagt: „Der vom eigent-
lichen menſchlichen Weſen unterſchiedene, anthropomor-
phismenloſe Gott iſt nichts anderes, als das Weſen der
Vernunft.‟ — An ähnlichen und deutlichen Ausſprüchen
und Andeutungen hat es in der Geſchichte der Denker
niemals gefehlt, und Feuerbach’s Verdienſt beruht viel-
leicht hauptſächlich nur in der neuen Form und in der
neuen Zeit, ſowie in der ſyſtematiſchen und rückhaltloſen
Vollendung ſeines Gedankens. Dieſelbe Jdee leitete

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[116/0136] Glaube an das Menſchliche bereits ſeine natürliche Grenze überſchritten hat und auch die Moral beherrſcht? Es kann Feuerbach’s Verdienſte nicht ſchmälern, ſondern nur ſeine Anſicht über die Geſchichte ſeines Ge- dankens modificiren, wenn man in früheren religions- philoſophiſchen Syſtemen nach Anſchauungsweiſen ſucht, welche der ſeinigen analog ſind. Von dem chineſiſchen Religionsſtifter Laotſe, einem Zeitgenoſſen des Konfu- cius, der alſo weit in der vorchriſtlichen Zeitrechnung lebte, weiß man, daß er das höchſte Weſen Tao nannte, welches zu Deutſch Vernunft heißt, und daß er die Vernunft des Menſchen mit der Vernunft des All’s und dem höchſten Weſen identificirte. So hat Laotſe damals ſchon einen Gott ſich vorgeſtellt, wie ihn Feuerbach erſt den auf höheren Standpunkten angekommenen Völkern zuſchreibt, wo ſie ihren Gott nicht mehr aus ſinnlichen, ſondern aus gedachten Eigenſchaften conſtruiren, einen Gott, von dem Feuerbach weiter ſagt: „Der vom eigent- lichen menſchlichen Weſen unterſchiedene, anthropomor- phismenloſe Gott iſt nichts anderes, als das Weſen der Vernunft.‟ — An ähnlichen und deutlichen Ausſprüchen und Andeutungen hat es in der Geſchichte der Denker niemals gefehlt, und Feuerbach’s Verdienſt beruht viel- leicht hauptſächlich nur in der neuen Form und in der neuen Zeit, ſowie in der ſyſtematiſchen und rückhaltloſen Vollendung ſeines Gedankens. Dieſelbe Jdee leitete

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/136>, abgerufen am 21.11.2024.