Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

zustellen bemüht sind. Mit einem seltnen Aufwand von
Wissen und Scharfsinn ist Ludwig Feuerbach gegen die
alten Dogmen zu Felde gezogen, um dem Menschen sein
natürliches Recht, das im Wust dogmatischer Zänkereien
und pfäffischer Jgnoranz verloren gegangen schien, zu-
rückzuerobern. Von dem Menschen leitet Feuerbach alles
und jedes geistige Besitzthum her, und die Wissenschaft
vom Menschen, die Anthropologie, ist ihm deßwegen
Blüthe und Summe aller und jeder Wissenschaft und
vollkommner Ersatz für Religion und Philosophie. Mit
dieser Theorie stimmt die Praxis zusammen, welche uns
umgibt. Unsre Zeit mit ihrer großartigen rastlosen
Thätigkeit in allen menschlichen Wissenschaften, Künsten,
Gewerben, mit ihren herrlichen Erfindungen, mit ihrem
nimmerruhenden Streben, das Leben der Völker und
der Einzelnen zu bessern, zu kräftigen, angenehm zu
machen und die Erde zu einem bequemen und genuß-
bringenden Aufenthaltsort für den Menschen einzurichten,
ist sie nicht die beste Bestätigung der Feuerbach'schen
Ansichten und die unmittelbarste und kräftigste Widerle-
gung jenes schleichenden, hohlaugigen Pietismus, der die
Menschen vergeblich und immer vergeblich ermahnt, die
Erde über dem Himmel zu vergessen? Ja, und zeigt auf
der andern Seite nicht zugleich die mit jener Thätigkeit
vergesellschaftete maßlose Selbstsucht der Zeit, wie jener

8*

zuſtellen bemüht ſind. Mit einem ſeltnen Aufwand von
Wiſſen und Scharfſinn iſt Ludwig Feuerbach gegen die
alten Dogmen zu Felde gezogen, um dem Menſchen ſein
natürliches Recht, das im Wuſt dogmatiſcher Zänkereien
und pfäffiſcher Jgnoranz verloren gegangen ſchien, zu-
rückzuerobern. Von dem Menſchen leitet Feuerbach alles
und jedes geiſtige Beſitzthum her, und die Wiſſenſchaft
vom Menſchen, die Anthropologie, iſt ihm deßwegen
Blüthe und Summe aller und jeder Wiſſenſchaft und
vollkommner Erſatz für Religion und Philoſophie. Mit
dieſer Theorie ſtimmt die Praxis zuſammen, welche uns
umgibt. Unſre Zeit mit ihrer großartigen raſtloſen
Thätigkeit in allen menſchlichen Wiſſenſchaften, Künſten,
Gewerben, mit ihren herrlichen Erfindungen, mit ihrem
nimmerruhenden Streben, das Leben der Völker und
der Einzelnen zu beſſern, zu kräftigen, angenehm zu
machen und die Erde zu einem bequemen und genuß-
bringenden Aufenthaltsort für den Menſchen einzurichten,
iſt ſie nicht die beſte Beſtätigung der Feuerbach’ſchen
Anſichten und die unmittelbarſte und kräftigſte Widerle-
gung jenes ſchleichenden, hohlaugigen Pietismus, der die
Menſchen vergeblich und immer vergeblich ermahnt, die
Erde über dem Himmel zu vergeſſen? Ja, und zeigt auf
der andern Seite nicht zugleich die mit jener Thätigkeit
vergeſellſchaftete maßloſe Selbſtſucht der Zeit, wie jener

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="115"/>
zu&#x017F;tellen bemüht &#x017F;ind. Mit einem &#x017F;eltnen Aufwand von<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en und Scharf&#x017F;inn i&#x017F;t Ludwig Feuerbach gegen die<lb/>
alten Dogmen zu Felde gezogen, um dem Men&#x017F;chen &#x017F;ein<lb/>
natürliches Recht, das im Wu&#x017F;t dogmati&#x017F;cher Zänkereien<lb/>
und pfäffi&#x017F;cher Jgnoranz verloren gegangen &#x017F;chien, zu-<lb/>
rückzuerobern. Von dem Men&#x017F;chen leitet Feuerbach alles<lb/>
und jedes gei&#x017F;tige Be&#x017F;itzthum her, und die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
vom Men&#x017F;chen, die <hi rendition="#g">Anthropologie,</hi> i&#x017F;t ihm deßwegen<lb/>
Blüthe und Summe aller und jeder Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und<lb/>
vollkommner Er&#x017F;atz für Religion und Philo&#x017F;ophie. Mit<lb/>
die&#x017F;er Theorie &#x017F;timmt die Praxis zu&#x017F;ammen, welche uns<lb/>
umgibt. Un&#x017F;re Zeit mit ihrer großartigen ra&#x017F;tlo&#x017F;en<lb/>
Thätigkeit in allen men&#x017F;chlichen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, Kün&#x017F;ten,<lb/>
Gewerben, mit ihren herrlichen Erfindungen, mit ihrem<lb/>
nimmerruhenden Streben, das Leben der Völker und<lb/>
der Einzelnen zu be&#x017F;&#x017F;ern, zu kräftigen, angenehm zu<lb/>
machen und die Erde zu einem bequemen und genuß-<lb/>
bringenden Aufenthaltsort für den Men&#x017F;chen einzurichten,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie nicht die be&#x017F;te Be&#x017F;tätigung der Feuerbach&#x2019;&#x017F;chen<lb/>
An&#x017F;ichten und die unmittelbar&#x017F;te und kräftig&#x017F;te Widerle-<lb/>
gung jenes &#x017F;chleichenden, hohlaugigen Pietismus, der die<lb/>
Men&#x017F;chen vergeblich und immer vergeblich ermahnt, die<lb/>
Erde über dem Himmel zu verge&#x017F;&#x017F;en? Ja, und zeigt auf<lb/>
der andern Seite nicht zugleich die mit jener Thätigkeit<lb/>
verge&#x017F;ell&#x017F;chaftete maßlo&#x017F;e Selb&#x017F;t&#x017F;ucht der Zeit, wie jener<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0135] zuſtellen bemüht ſind. Mit einem ſeltnen Aufwand von Wiſſen und Scharfſinn iſt Ludwig Feuerbach gegen die alten Dogmen zu Felde gezogen, um dem Menſchen ſein natürliches Recht, das im Wuſt dogmatiſcher Zänkereien und pfäffiſcher Jgnoranz verloren gegangen ſchien, zu- rückzuerobern. Von dem Menſchen leitet Feuerbach alles und jedes geiſtige Beſitzthum her, und die Wiſſenſchaft vom Menſchen, die Anthropologie, iſt ihm deßwegen Blüthe und Summe aller und jeder Wiſſenſchaft und vollkommner Erſatz für Religion und Philoſophie. Mit dieſer Theorie ſtimmt die Praxis zuſammen, welche uns umgibt. Unſre Zeit mit ihrer großartigen raſtloſen Thätigkeit in allen menſchlichen Wiſſenſchaften, Künſten, Gewerben, mit ihren herrlichen Erfindungen, mit ihrem nimmerruhenden Streben, das Leben der Völker und der Einzelnen zu beſſern, zu kräftigen, angenehm zu machen und die Erde zu einem bequemen und genuß- bringenden Aufenthaltsort für den Menſchen einzurichten, iſt ſie nicht die beſte Beſtätigung der Feuerbach’ſchen Anſichten und die unmittelbarſte und kräftigſte Widerle- gung jenes ſchleichenden, hohlaugigen Pietismus, der die Menſchen vergeblich und immer vergeblich ermahnt, die Erde über dem Himmel zu vergeſſen? Ja, und zeigt auf der andern Seite nicht zugleich die mit jener Thätigkeit vergeſellſchaftete maßloſe Selbſtſucht der Zeit, wie jener 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/135
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/135>, abgerufen am 18.05.2024.