Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Paris machte höchst interessante und wichtige Forschungen
in dieser Richtung, aus denen hervorgeht, daß je älter
und primitiver ein Menschentypus, desto entwickelter der
Schädel in der Hinterhauptsgegend und desto flacher in
der Stirngegend ist. Die Fortschritte der Civilisation
scheinen den Erfolg gehabt zu haben, die vordere Kopf-
gegend zu wölben, die hintere abzuflachen. Die reiche
Sammlung des Abbe Frere zeigt die verschiedenen Phasen
dieser Entwicklung. Jm Angesicht solcher Thatsachen
wird man es auch wohl nicht mehr für unmöglich halten
dürfen, das das Menschengeschlecht im Laufe eines achtzig-
tausendjährigen Alters sich aus rohen und selbst thier-
ähnlichen Anfängen nach und nach zu seiner jetzigen
Höhe entwickelt habe. Ein ganz ähnliches oder gleiches
Resultat wie das obige ergibt uns eigentlich schon eine
generelle Vergleichung der Schädelbildung bei den höheren
und niederen Ständen unserer heutigen Gesellschaft selbst.
Es ist eine tägliche Erfahrung der Hutmacher, daß die
gebildeten Klassen durchschnittlich ungleich größerer Hüte
bedürfen, als die ungebildeten. Ebenso ist es eine ganz
alltägliche Beobachtung und Erfahrung, daß man die
Stirne und ihre seitlichen Theile bei den unteren
Klassen weniger entwickelt sieht, als bei den höheren. --
Doch genug der Thatsachen; die ganze Anthropologie, die
ganze Wissenschaft vom Menschen ist ein fortlaufender Be-
weis für die Zusammengehörigkeit von Gehirn und Seele,

Paris machte höchſt intereſſante und wichtige Forſchungen
in dieſer Richtung, aus denen hervorgeht, daß je älter
und primitiver ein Menſchentypus, deſto entwickelter der
Schädel in der Hinterhauptsgegend und deſto flacher in
der Stirngegend iſt. Die Fortſchritte der Civiliſation
ſcheinen den Erfolg gehabt zu haben, die vordere Kopf-
gegend zu wölben, die hintere abzuflachen. Die reiche
Sammlung des Abbé Frère zeigt die verſchiedenen Phaſen
dieſer Entwicklung. Jm Angeſicht ſolcher Thatſachen
wird man es auch wohl nicht mehr für unmöglich halten
dürfen, das das Menſchengeſchlecht im Laufe eines achtzig-
tauſendjährigen Alters ſich aus rohen und ſelbſt thier-
ähnlichen Anfängen nach und nach zu ſeiner jetzigen
Höhe entwickelt habe. Ein ganz ähnliches oder gleiches
Reſultat wie das obige ergibt uns eigentlich ſchon eine
generelle Vergleichung der Schädelbildung bei den höheren
und niederen Ständen unſerer heutigen Geſellſchaft ſelbſt.
Es iſt eine tägliche Erfahrung der Hutmacher, daß die
gebildeten Klaſſen durchſchnittlich ungleich größerer Hüte
bedürfen, als die ungebildeten. Ebenſo iſt es eine ganz
alltägliche Beobachtung und Erfahrung, daß man die
Stirne und ihre ſeitlichen Theile bei den unteren
Klaſſen weniger entwickelt ſieht, als bei den höheren. —
Doch genug der Thatſachen; die ganze Anthropologie, die
ganze Wiſſenſchaft vom Menſchen iſt ein fortlaufender Be-
weis für die Zuſammengehörigkeit von Gehirn und Seele,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="136"/>
Paris machte höch&#x017F;t intere&#x017F;&#x017F;ante und wichtige For&#x017F;chungen<lb/>
in die&#x017F;er Richtung, aus denen hervorgeht, daß je älter<lb/>
und primitiver ein Men&#x017F;chentypus, de&#x017F;to entwickelter der<lb/>
Schädel in der Hinterhauptsgegend und de&#x017F;to flacher in<lb/>
der Stirngegend i&#x017F;t. Die Fort&#x017F;chritte der Civili&#x017F;ation<lb/>
&#x017F;cheinen den Erfolg gehabt zu haben, die vordere Kopf-<lb/>
gegend zu wölben, die hintere abzuflachen. Die reiche<lb/>
Sammlung des Abb<hi rendition="#aq">é</hi> Fr<hi rendition="#aq">è</hi>re zeigt die ver&#x017F;chiedenen Pha&#x017F;en<lb/>
die&#x017F;er Entwicklung. Jm Ange&#x017F;icht &#x017F;olcher That&#x017F;achen<lb/>
wird man es auch wohl nicht mehr für unmöglich halten<lb/>
dürfen, das das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht im Laufe eines achtzig-<lb/>
tau&#x017F;endjährigen Alters &#x017F;ich aus rohen und &#x017F;elb&#x017F;t thier-<lb/>
ähnlichen Anfängen nach und nach zu &#x017F;einer jetzigen<lb/>
Höhe entwickelt habe. Ein ganz ähnliches oder gleiches<lb/>
Re&#x017F;ultat wie das obige ergibt uns eigentlich &#x017F;chon eine<lb/>
generelle Vergleichung der Schädelbildung bei den höheren<lb/>
und niederen Ständen un&#x017F;erer heutigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Es i&#x017F;t eine tägliche Erfahrung der Hutmacher, daß die<lb/>
gebildeten Kla&#x017F;&#x017F;en durch&#x017F;chnittlich ungleich größerer Hüte<lb/>
bedürfen, als die ungebildeten. Eben&#x017F;o i&#x017F;t es eine ganz<lb/>
alltägliche Beobachtung und Erfahrung, daß man die<lb/>
Stirne und ihre &#x017F;eitlichen Theile bei den <hi rendition="#g">unteren</hi><lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en weniger entwickelt &#x017F;ieht, als bei den höheren. &#x2014;<lb/>
Doch genug der That&#x017F;achen; die ganze Anthropologie, die<lb/>
ganze Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft vom Men&#x017F;chen i&#x017F;t ein fortlaufender Be-<lb/>
weis für die Zu&#x017F;ammengehörigkeit von Gehirn und Seele,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0156] Paris machte höchſt intereſſante und wichtige Forſchungen in dieſer Richtung, aus denen hervorgeht, daß je älter und primitiver ein Menſchentypus, deſto entwickelter der Schädel in der Hinterhauptsgegend und deſto flacher in der Stirngegend iſt. Die Fortſchritte der Civiliſation ſcheinen den Erfolg gehabt zu haben, die vordere Kopf- gegend zu wölben, die hintere abzuflachen. Die reiche Sammlung des Abbé Frère zeigt die verſchiedenen Phaſen dieſer Entwicklung. Jm Angeſicht ſolcher Thatſachen wird man es auch wohl nicht mehr für unmöglich halten dürfen, das das Menſchengeſchlecht im Laufe eines achtzig- tauſendjährigen Alters ſich aus rohen und ſelbſt thier- ähnlichen Anfängen nach und nach zu ſeiner jetzigen Höhe entwickelt habe. Ein ganz ähnliches oder gleiches Reſultat wie das obige ergibt uns eigentlich ſchon eine generelle Vergleichung der Schädelbildung bei den höheren und niederen Ständen unſerer heutigen Geſellſchaft ſelbſt. Es iſt eine tägliche Erfahrung der Hutmacher, daß die gebildeten Klaſſen durchſchnittlich ungleich größerer Hüte bedürfen, als die ungebildeten. Ebenſo iſt es eine ganz alltägliche Beobachtung und Erfahrung, daß man die Stirne und ihre ſeitlichen Theile bei den unteren Klaſſen weniger entwickelt ſieht, als bei den höheren. — Doch genug der Thatſachen; die ganze Anthropologie, die ganze Wiſſenſchaft vom Menſchen iſt ein fortlaufender Be- weis für die Zuſammengehörigkeit von Gehirn und Seele,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/156
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/156>, abgerufen am 21.11.2024.