Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

durch besondere chemische Zusammensetzung auszeichnet.
Wie wäre es darnach möglich, fuhr man fort, daß diese
gleichmäßige, einfache Materie alleiniger Grund und Ur-
sache einer so unendlich feinen und complicirten geistigen
Maschinerie sein solle, wie sie uns die thierische und
menschliche Seele darstellt. Offenbar, sagte man, ist
der Zusammenhang beider nur ein sehr loser, fast zu-
fälliger; unendlich complicirte Kräfte können auch nur
unendlich complicirten Stoffen ihre Entstehung verdanken.
Daher existirt die Seele für sich, unabhängig von irdi-
schen Stoffen, und ist nur zufällig und auf kurze Zeit
mit dem stofflichen Complex verbunden, welchen wir Ge-
hirn nennen. -- Dieser ganze auf den ersten Anblick sehr
gegründete Einwand beruht vor Allem auf unrichtigen
Prämissen. Allerdings muß die Theorie, welche die
Seele als Produkt stofflicher Complexe ansieht, zugeben,
daß Ursache und Wirkung im Verhältnisse stehen müssen,
und daß complicirte Effekte bis zu einem gewissen Grade
auch complicirte Stoff-Verbindungen voraussetzen. Jn
der That ist uns nun aber auch in der ganzen organischen
Welt kein Gebilde bekannt, welches zärtere und wunder-
barere Formen, feinere und eigenthümlichere Struktur
und endlich wahrscheinlich auch eine merkwürdigere che-
mische Zusammensetzung besäße, als gerade das Gehirn.
Nur eine oberflächliche und kenntnißlose Betrachtung des-
selben konnte diesen Umstand verkennen. Leider sind

durch beſondere chemiſche Zuſammenſetzung auszeichnet.
Wie wäre es darnach möglich, fuhr man fort, daß dieſe
gleichmäßige, einfache Materie alleiniger Grund und Ur-
ſache einer ſo unendlich feinen und complicirten geiſtigen
Maſchinerie ſein ſolle, wie ſie uns die thieriſche und
menſchliche Seele darſtellt. Offenbar, ſagte man, iſt
der Zuſammenhang beider nur ein ſehr loſer, faſt zu-
fälliger; unendlich complicirte Kräfte können auch nur
unendlich complicirten Stoffen ihre Entſtehung verdanken.
Daher exiſtirt die Seele für ſich, unabhängig von irdi-
ſchen Stoffen, und iſt nur zufällig und auf kurze Zeit
mit dem ſtofflichen Complex verbunden, welchen wir Ge-
hirn nennen. — Dieſer ganze auf den erſten Anblick ſehr
gegründete Einwand beruht vor Allem auf unrichtigen
Prämiſſen. Allerdings muß die Theorie, welche die
Seele als Produkt ſtofflicher Complexe anſieht, zugeben,
daß Urſache und Wirkung im Verhältniſſe ſtehen müſſen,
und daß complicirte Effekte bis zu einem gewiſſen Grade
auch complicirte Stoff-Verbindungen vorausſetzen. Jn
der That iſt uns nun aber auch in der ganzen organiſchen
Welt kein Gebilde bekannt, welches zärtere und wunder-
barere Formen, feinere und eigenthümlichere Struktur
und endlich wahrſcheinlich auch eine merkwürdigere che-
miſche Zuſammenſetzung beſäße, als gerade das Gehirn.
Nur eine oberflächliche und kenntnißloſe Betrachtung des-
ſelben konnte dieſen Umſtand verkennen. Leider ſind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0158" n="138"/>
durch be&#x017F;ondere chemi&#x017F;che Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung auszeichnet.<lb/>
Wie wäre es darnach möglich, fuhr man fort, daß die&#x017F;e<lb/>
gleichmäßige, einfache Materie alleiniger Grund und Ur-<lb/>
&#x017F;ache einer &#x017F;o unendlich feinen und complicirten gei&#x017F;tigen<lb/>
Ma&#x017F;chinerie &#x017F;ein &#x017F;olle, wie &#x017F;ie uns die thieri&#x017F;che und<lb/>
men&#x017F;chliche Seele dar&#x017F;tellt. Offenbar, &#x017F;agte man, i&#x017F;t<lb/>
der Zu&#x017F;ammenhang beider nur ein &#x017F;ehr lo&#x017F;er, fa&#x017F;t zu-<lb/>
fälliger; unendlich complicirte Kräfte können auch nur<lb/>
unendlich complicirten Stoffen ihre Ent&#x017F;tehung verdanken.<lb/>
Daher exi&#x017F;tirt die Seele für &#x017F;ich, unabhängig von irdi-<lb/>
&#x017F;chen Stoffen, und i&#x017F;t nur zufällig und auf kurze Zeit<lb/>
mit dem &#x017F;tofflichen Complex verbunden, welchen wir Ge-<lb/>
hirn nennen. &#x2014; Die&#x017F;er ganze auf den er&#x017F;ten Anblick &#x017F;ehr<lb/>
gegründete Einwand beruht vor Allem auf unrichtigen<lb/>
Prämi&#x017F;&#x017F;en. Allerdings muß die Theorie, welche die<lb/>
Seele als Produkt &#x017F;tofflicher Complexe an&#x017F;ieht, zugeben,<lb/>
daß Ur&#x017F;ache und Wirkung im Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und daß complicirte Effekte bis zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grade<lb/>
auch complicirte Stoff-Verbindungen voraus&#x017F;etzen. Jn<lb/>
der That i&#x017F;t uns nun aber auch in der ganzen organi&#x017F;chen<lb/>
Welt kein Gebilde bekannt, welches zärtere und wunder-<lb/>
barere Formen, feinere und eigenthümlichere Struktur<lb/>
und endlich wahr&#x017F;cheinlich auch eine merkwürdigere che-<lb/>
mi&#x017F;che Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung be&#x017F;äße, als gerade das Gehirn.<lb/>
Nur eine oberflächliche und kenntnißlo&#x017F;e Betrachtung des-<lb/>
&#x017F;elben konnte die&#x017F;en Um&#x017F;tand verkennen. Leider &#x017F;ind<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0158] durch beſondere chemiſche Zuſammenſetzung auszeichnet. Wie wäre es darnach möglich, fuhr man fort, daß dieſe gleichmäßige, einfache Materie alleiniger Grund und Ur- ſache einer ſo unendlich feinen und complicirten geiſtigen Maſchinerie ſein ſolle, wie ſie uns die thieriſche und menſchliche Seele darſtellt. Offenbar, ſagte man, iſt der Zuſammenhang beider nur ein ſehr loſer, faſt zu- fälliger; unendlich complicirte Kräfte können auch nur unendlich complicirten Stoffen ihre Entſtehung verdanken. Daher exiſtirt die Seele für ſich, unabhängig von irdi- ſchen Stoffen, und iſt nur zufällig und auf kurze Zeit mit dem ſtofflichen Complex verbunden, welchen wir Ge- hirn nennen. — Dieſer ganze auf den erſten Anblick ſehr gegründete Einwand beruht vor Allem auf unrichtigen Prämiſſen. Allerdings muß die Theorie, welche die Seele als Produkt ſtofflicher Complexe anſieht, zugeben, daß Urſache und Wirkung im Verhältniſſe ſtehen müſſen, und daß complicirte Effekte bis zu einem gewiſſen Grade auch complicirte Stoff-Verbindungen vorausſetzen. Jn der That iſt uns nun aber auch in der ganzen organiſchen Welt kein Gebilde bekannt, welches zärtere und wunder- barere Formen, feinere und eigenthümlichere Struktur und endlich wahrſcheinlich auch eine merkwürdigere che- miſche Zuſammenſetzung beſäße, als gerade das Gehirn. Nur eine oberflächliche und kenntnißloſe Betrachtung des- ſelben konnte dieſen Umſtand verkennen. Leider ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/158
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/158>, abgerufen am 21.11.2024.