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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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eine Menge, welche in krankhaften Zuständen bekanntlich
sehr bedeutend werden kann. Aber diese Secretion hat
mit den psychischen Thätigkeiten direct nicht das Min-
deste zu schaffen, und Niemanden wird es heute einfallen,
darin die Ursache oder auch nur ein Analogon des Ge-
dankens zu erblicken. Jm Gegentheil erweist sich dieses
Secret, in abnormer Menge erzeugt, der psychischen Thätig-
keit gradezu feindlich. So ist das Gehirn wohl Träger
und Erzeuger des Geistes, des Gedankens, aber doch nicht
Secretionsorgan desselben. Die Secretion der Leber,
der Nieren geht unbewußt, ungekannt, unbeaufsichtigt von
der höheren Nerventhätigkeit vor sich; sie erzeugt einen
greifbaren Stoff; die Thätigkeit des Gehirns ist ohne
Bewußtsein, ohne volles Bewußtsein unmöglich, sie secer-
nirt nicht Stoffe, sondern Kräfte. Alle vegetativen
Funktionen, der Athem, der Herzschlag, das Verdauen, die
Secretion der absondernden Organe, gehen im Schlafe
ebensowohl vor sich, als im Wachen; die Aeußerungen
der Seele dagegen erlöschen augenblicklich, sie stirbt mit
dem Momente, wo das Gehirn unter dem Einfluß einer
langsameren Blutbewegung in den Zustand des Schlafes
versinkt. -- Nach den neuesten Untersuchungen spielt
eine Kraft, deren Aeußerungen man bisher nur in der
anorganischen Welt eklatant wahrnahm, die Elektricität,
auch bei den physiologischen Vorgängen des Nervensystems
eine sehr wesentliche Rolle. Den ruhenden Nerven

eine Menge, welche in krankhaften Zuſtänden bekanntlich
ſehr bedeutend werden kann. Aber dieſe Secretion hat
mit den pſychiſchen Thätigkeiten direct nicht das Min-
deſte zu ſchaffen, und Niemanden wird es heute einfallen,
darin die Urſache oder auch nur ein Analogon des Ge-
dankens zu erblicken. Jm Gegentheil erweiſt ſich dieſes
Secret, in abnormer Menge erzeugt, der pſychiſchen Thätig-
keit gradezu feindlich. So iſt das Gehirn wohl Träger
und Erzeuger des Geiſtes, des Gedankens, aber doch nicht
Secretionsorgan deſſelben. Die Secretion der Leber,
der Nieren geht unbewußt, ungekannt, unbeaufſichtigt von
der höheren Nerventhätigkeit vor ſich; ſie erzeugt einen
greifbaren Stoff; die Thätigkeit des Gehirns iſt ohne
Bewußtſein, ohne volles Bewußtſein unmöglich, ſie ſecer-
nirt nicht Stoffe, ſondern Kräfte. Alle vegetativen
Funktionen, der Athem, der Herzſchlag, das Verdauen, die
Secretion der abſondernden Organe, gehen im Schlafe
ebenſowohl vor ſich, als im Wachen; die Aeußerungen
der Seele dagegen erlöſchen augenblicklich, ſie ſtirbt mit
dem Momente, wo das Gehirn unter dem Einfluß einer
langſameren Blutbewegung in den Zuſtand des Schlafes
verſinkt. — Nach den neueſten Unterſuchungen ſpielt
eine Kraft, deren Aeußerungen man bisher nur in der
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[152/0172] eine Menge, welche in krankhaften Zuſtänden bekanntlich ſehr bedeutend werden kann. Aber dieſe Secretion hat mit den pſychiſchen Thätigkeiten direct nicht das Min- deſte zu ſchaffen, und Niemanden wird es heute einfallen, darin die Urſache oder auch nur ein Analogon des Ge- dankens zu erblicken. Jm Gegentheil erweiſt ſich dieſes Secret, in abnormer Menge erzeugt, der pſychiſchen Thätig- keit gradezu feindlich. So iſt das Gehirn wohl Träger und Erzeuger des Geiſtes, des Gedankens, aber doch nicht Secretionsorgan deſſelben. Die Secretion der Leber, der Nieren geht unbewußt, ungekannt, unbeaufſichtigt von der höheren Nerventhätigkeit vor ſich; ſie erzeugt einen greifbaren Stoff; die Thätigkeit des Gehirns iſt ohne Bewußtſein, ohne volles Bewußtſein unmöglich, ſie ſecer- nirt nicht Stoffe, ſondern Kräfte. Alle vegetativen Funktionen, der Athem, der Herzſchlag, das Verdauen, die Secretion der abſondernden Organe, gehen im Schlafe ebenſowohl vor ſich, als im Wachen; die Aeußerungen der Seele dagegen erlöſchen augenblicklich, ſie ſtirbt mit dem Momente, wo das Gehirn unter dem Einfluß einer langſameren Blutbewegung in den Zuſtand des Schlafes verſinkt. — Nach den neueſten Unterſuchungen ſpielt eine Kraft, deren Aeußerungen man bisher nur in der anorganiſchen Welt eklatant wahrnahm, die Elektricität, auch bei den phyſiologiſchen Vorgängen des Nervenſyſtems eine ſehr weſentliche Rolle. Den ruhenden Nerven

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/172>, abgerufen am 24.11.2024.