Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt, die ihn erzeugt und empfangen hat, in einem noth-
wendigen, untrennbaren Zusammenhang steht, und ob er
sein eigenstes Wesen von dieser Welt selbst in einer
Weise empfangen hat, daß es nicht von ihr losgerissen
werden kann, ohne damit zugleich sich selbst aufzugeben --
ähnlich der Pflanze, welche ohne ihren mütterlichen Boden
nicht sein kann. Die Frage ist zugleich eine solche,
welche nicht in allgemeinen philosophischen, nicht zu zer-
streuenden Nebeln verschwimmt, sondern welche, wenn
wir uns so ausdrücken dürfen, Fleisch und Bein hat,
und auf Grund empirischer Thatsachen und ohne Wort-
geklingel erörtert und entschieden werden kann. Deß-
wegen sind es auch hauptsächlich die Engländer und
Franzosen gewesen, welche diese Frage aufwarfen und
discutirten, denn Geist und Sprache dieser Nationen
erlaubt nicht jene nichtssagende Spielerei mit Begriffen
und Worten, welche die Deutschen "Philosophie" nennen
und durch welche sie sich fälschlicher Weise berechtigt
glauben, andere Nationen über die Achsel anzusehen.
Was man die "Tiefe des deutschen Geistes" nennt, schien
uns stets mehr eine Unklarheit des geistigen Wassers, als
eine wirkliche Unergründlichkeit zu sein. Man hat oft, und
gewiß mit Recht, den Rath gegeben, die philosophischen
Werke der Deutschen in eine fremde Sprache zu über-
setzen, um sie vom unnöthigen und unverständlichen An-
hängsel zu befreien; ich glaube, es würde bei dieser

Welt, die ihn erzeugt und empfangen hat, in einem noth-
wendigen, untrennbaren Zuſammenhang ſteht, und ob er
ſein eigenſtes Weſen von dieſer Welt ſelbſt in einer
Weiſe empfangen hat, daß es nicht von ihr losgeriſſen
werden kann, ohne damit zugleich ſich ſelbſt aufzugeben —
ähnlich der Pflanze, welche ohne ihren mütterlichen Boden
nicht ſein kann. Die Frage iſt zugleich eine ſolche,
welche nicht in allgemeinen philoſophiſchen, nicht zu zer-
ſtreuenden Nebeln verſchwimmt, ſondern welche, wenn
wir uns ſo ausdrücken dürfen, Fleiſch und Bein hat,
und auf Grund empiriſcher Thatſachen und ohne Wort-
geklingel erörtert und entſchieden werden kann. Deß-
wegen ſind es auch hauptſächlich die Engländer und
Franzoſen geweſen, welche dieſe Frage aufwarfen und
discutirten, denn Geiſt und Sprache dieſer Nationen
erlaubt nicht jene nichtsſagende Spielerei mit Begriffen
und Worten, welche die Deutſchen „Philoſophie‟ nennen
und durch welche ſie ſich fälſchlicher Weiſe berechtigt
glauben, andere Nationen über die Achſel anzuſehen.
Was man die „Tiefe des deutſchen Geiſtes‟ nennt, ſchien
uns ſtets mehr eine Unklarheit des geiſtigen Waſſers, als
eine wirkliche Unergründlichkeit zu ſein. Man hat oft, und
gewiß mit Recht, den Rath gegeben, die philoſophiſchen
Werke der Deutſchen in eine fremde Sprache zu über-
ſetzen, um ſie vom unnöthigen und unverſtändlichen An-
hängſel zu befreien; ich glaube, es würde bei dieſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="156"/>
Welt, die ihn erzeugt und empfangen hat, in einem noth-<lb/>
wendigen, untrennbaren Zu&#x017F;ammenhang &#x017F;teht, und ob er<lb/>
&#x017F;ein eigen&#x017F;tes We&#x017F;en von die&#x017F;er Welt &#x017F;elb&#x017F;t in einer<lb/>
Wei&#x017F;e empfangen hat, daß es nicht von ihr losgeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden kann, ohne damit zugleich &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aufzugeben &#x2014;<lb/>
ähnlich der Pflanze, welche ohne ihren mütterlichen Boden<lb/>
nicht &#x017F;ein kann. Die Frage i&#x017F;t zugleich eine &#x017F;olche,<lb/>
welche nicht in allgemeinen philo&#x017F;ophi&#x017F;chen, nicht zu zer-<lb/>
&#x017F;treuenden Nebeln ver&#x017F;chwimmt, &#x017F;ondern welche, wenn<lb/>
wir uns &#x017F;o ausdrücken dürfen, Flei&#x017F;ch und Bein hat,<lb/>
und auf Grund empiri&#x017F;cher That&#x017F;achen und ohne Wort-<lb/>
geklingel erörtert und ent&#x017F;chieden werden kann. Deß-<lb/>
wegen &#x017F;ind es auch haupt&#x017F;ächlich die Engländer und<lb/>
Franzo&#x017F;en gewe&#x017F;en, welche die&#x017F;e Frage aufwarfen und<lb/>
discutirten, denn Gei&#x017F;t und Sprache die&#x017F;er Nationen<lb/>
erlaubt nicht jene nichts&#x017F;agende Spielerei mit Begriffen<lb/>
und Worten, welche die Deut&#x017F;chen &#x201E;Philo&#x017F;ophie&#x201F; nennen<lb/>
und durch welche &#x017F;ie &#x017F;ich fäl&#x017F;chlicher Wei&#x017F;e berechtigt<lb/>
glauben, andere Nationen über die Ach&#x017F;el anzu&#x017F;ehen.<lb/>
Was man die &#x201E;Tiefe des deut&#x017F;chen Gei&#x017F;tes&#x201F; nennt, &#x017F;chien<lb/>
uns &#x017F;tets mehr eine Unklarheit des gei&#x017F;tigen Wa&#x017F;&#x017F;ers, als<lb/>
eine wirkliche Unergründlichkeit zu &#x017F;ein. Man hat oft, und<lb/>
gewiß mit Recht, den Rath gegeben, die philo&#x017F;ophi&#x017F;chen<lb/>
Werke der Deut&#x017F;chen in eine fremde Sprache zu über-<lb/>
&#x017F;etzen, um &#x017F;ie vom unnöthigen und unver&#x017F;tändlichen An-<lb/>
häng&#x017F;el zu befreien; ich glaube, es würde bei die&#x017F;er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0176] Welt, die ihn erzeugt und empfangen hat, in einem noth- wendigen, untrennbaren Zuſammenhang ſteht, und ob er ſein eigenſtes Weſen von dieſer Welt ſelbſt in einer Weiſe empfangen hat, daß es nicht von ihr losgeriſſen werden kann, ohne damit zugleich ſich ſelbſt aufzugeben — ähnlich der Pflanze, welche ohne ihren mütterlichen Boden nicht ſein kann. Die Frage iſt zugleich eine ſolche, welche nicht in allgemeinen philoſophiſchen, nicht zu zer- ſtreuenden Nebeln verſchwimmt, ſondern welche, wenn wir uns ſo ausdrücken dürfen, Fleiſch und Bein hat, und auf Grund empiriſcher Thatſachen und ohne Wort- geklingel erörtert und entſchieden werden kann. Deß- wegen ſind es auch hauptſächlich die Engländer und Franzoſen geweſen, welche dieſe Frage aufwarfen und discutirten, denn Geiſt und Sprache dieſer Nationen erlaubt nicht jene nichtsſagende Spielerei mit Begriffen und Worten, welche die Deutſchen „Philoſophie‟ nennen und durch welche ſie ſich fälſchlicher Weiſe berechtigt glauben, andere Nationen über die Achſel anzuſehen. Was man die „Tiefe des deutſchen Geiſtes‟ nennt, ſchien uns ſtets mehr eine Unklarheit des geiſtigen Waſſers, als eine wirkliche Unergründlichkeit zu ſein. Man hat oft, und gewiß mit Recht, den Rath gegeben, die philoſophiſchen Werke der Deutſchen in eine fremde Sprache zu über- ſetzen, um ſie vom unnöthigen und unverſtändlichen An- hängſel zu befreien; ich glaube, es würde bei dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/176
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/176>, abgerufen am 24.11.2024.