Feuerprobe das Meiste auf dem Sieb liegen bleiben. Nichts ist widerlicher, als jene anscheinend tiefgelehrte philosophische Renommisterei, welche sich mit Hohlheit brüstet, und welche glücklicherweise in unsern Tagen einen mächtigen Damm in dem festen und von tausend Erfolgen gekrönten Auftreten der empirischen Wissen- schaften gefunden hat. Nach dem Vorbeizug jener kur- zen Glanzperiode Hegel'scher Offenbarung und Mode- philosophie schleichen unsre deutschen Philosophen heute ziemlich betrübt einher und müssen es sich gefallen lassen, daß man sie entweder gar nicht oder nur mit halben Ohren hört. -- Der französische Philosoph Descartes nahm an, die Seele komme mit allen möglichen Kenntnissen ausgerüstet in den Körper und vergesse sie nur wieder, indem sie aus dem mütterlichen Körper trete, um sich später nach und nach an dieselben zurückzuerinnern. Der Engländer Locke erhob sich gegen diese Ansicht und vernichtete mit siegreichen Waffen die Lehre von den angebornen Jdeen. Auf Grund deutlich redender That- sachen nehmen wir keinen Anstand, uns gegen die angebornen Jdeen zu erklären. Moleschott nennt den Menschen ein Produkt seiner Sinne, und in der That lehrt eine unbefangene Beobachtung, daß Alles, was wir wissen, denken, empfinden, nur eine geistige Reproduktion dessen ist, was wir oder andere Menschen vor uns auf dem Wege der Sinne von Außen empfangen haben.
Feuerprobe das Meiſte auf dem Sieb liegen bleiben. Nichts iſt widerlicher, als jene anſcheinend tiefgelehrte philoſophiſche Renommiſterei, welche ſich mit Hohlheit brüſtet, und welche glücklicherweiſe in unſern Tagen einen mächtigen Damm in dem feſten und von tauſend Erfolgen gekrönten Auftreten der empiriſchen Wiſſen- ſchaften gefunden hat. Nach dem Vorbeizug jener kur- zen Glanzperiode Hegel’ſcher Offenbarung und Mode- philoſophie ſchleichen unſre deutſchen Philoſophen heute ziemlich betrübt einher und müſſen es ſich gefallen laſſen, daß man ſie entweder gar nicht oder nur mit halben Ohren hört. — Der franzöſiſche Philoſoph Descartes nahm an, die Seele komme mit allen möglichen Kenntniſſen ausgerüſtet in den Körper und vergeſſe ſie nur wieder, indem ſie aus dem mütterlichen Körper trete, um ſich ſpäter nach und nach an dieſelben zurückzuerinnern. Der Engländer Locke erhob ſich gegen dieſe Anſicht und vernichtete mit ſiegreichen Waffen die Lehre von den angebornen Jdeen. Auf Grund deutlich redender That- ſachen nehmen wir keinen Anſtand, uns gegen die angebornen Jdeen zu erklären. Moleſchott nennt den Menſchen ein Produkt ſeiner Sinne, und in der That lehrt eine unbefangene Beobachtung, daß Alles, was wir wiſſen, denken, empfinden, nur eine geiſtige Reproduktion deſſen iſt, was wir oder andere Menſchen vor uns auf dem Wege der Sinne von Außen empfangen haben.
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Feuerprobe das Meiſte auf dem Sieb liegen bleiben.
Nichts iſt widerlicher, als jene anſcheinend tiefgelehrte
philoſophiſche Renommiſterei, welche ſich mit Hohlheit
brüſtet, und welche glücklicherweiſe in unſern Tagen
einen mächtigen Damm in dem feſten und von tauſend
Erfolgen gekrönten Auftreten der empiriſchen Wiſſen-
ſchaften gefunden hat. Nach dem Vorbeizug jener kur-
zen Glanzperiode Hegel’ſcher Offenbarung und Mode-
philoſophie ſchleichen unſre deutſchen Philoſophen heute
ziemlich betrübt einher und müſſen es ſich gefallen laſſen,
daß man ſie entweder gar nicht oder nur mit halben Ohren
hört. — Der franzöſiſche Philoſoph Descartes nahm
an, die Seele komme mit allen möglichen Kenntniſſen
ausgerüſtet in den Körper und vergeſſe ſie nur wieder,
indem ſie aus dem mütterlichen Körper trete, um ſich
ſpäter nach und nach an dieſelben zurückzuerinnern. Der
Engländer Locke erhob ſich gegen dieſe Anſicht und
vernichtete mit ſiegreichen Waffen die Lehre von den
angebornen Jdeen. Auf Grund deutlich redender That-
ſachen nehmen wir keinen Anſtand, uns gegen die
angebornen Jdeen zu erklären. Moleſchott nennt den
Menſchen ein Produkt ſeiner Sinne, und in der That
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wiſſen, denken, empfinden, nur eine geiſtige Reproduktion
deſſen iſt, was wir oder andere Menſchen vor uns auf
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/177>, abgerufen am 21.11.2024.
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