unwiderstehlicher Naturtrieb nicht gibt, sondern daß die Thiere ebenso wie die Menschen denken, lernen, erkennen und überlegen, nur in quantitativ weit geringerem Grade. Die Thiere lernen und bilden sich ebensowohl durch den Einfluß der Umgebung, der Eltern u. s. w., wie der Mensch, wenn ihnen auch dabei die angeborene körperliche Anlage zur Entwicklung gewisser geistiger Qualitäten noch mehr als diesem zu Statten kommen mag. Jagdhunde, die im Hause erzogen werden, zeigen keine Spur jener starken Neigung zum Jagen, die ihnen sonst in so hohem Grade eigen ist. Reißende Thiere werden erst dann begierig nach Fleisch, wenn sie es einmal gekostet haben, wie man dieses an Hauskatzen beobachten kann. Zahme Thier ändern ihren Charakter gänzlich in der Wildniß, und umgekehrt werden wilde Thiere in der Gefangen- schaft zahm und zuthunlich. Die Nachtigall singt nicht, wenn man sie einsam auferzieht; sie lernt das Singen erst von andern Vögeln. Man hat beobachtet, daß die- selben Vögel, z. B. Finken, ganz verschiedene Sing- weisen in verschiedenen Ländern besitzen. Von der Biene pflegt man anzunehmen, die Jdee der sechsseitigen Zelle sei ihr derart angeboren, daß sie gezwungen sei, dieselbe zu bauen. Aber die Biene baut auch mitunter Zellen, welche eine andere Form haben, und wenn man ihr einen Bienenkorb mit künstlichem Zellensystem hinstellt, so hat sie soviel Verstand und sowenig Jnstinnkt, daß sie
unwiderſtehlicher Naturtrieb nicht gibt, ſondern daß die Thiere ebenſo wie die Menſchen denken, lernen, erkennen und überlegen, nur in quantitativ weit geringerem Grade. Die Thiere lernen und bilden ſich ebenſowohl durch den Einfluß der Umgebung, der Eltern u. ſ. w., wie der Menſch, wenn ihnen auch dabei die angeborene körperliche Anlage zur Entwicklung gewiſſer geiſtiger Qualitäten noch mehr als dieſem zu Statten kommen mag. Jagdhunde, die im Hauſe erzogen werden, zeigen keine Spur jener ſtarken Neigung zum Jagen, die ihnen ſonſt in ſo hohem Grade eigen iſt. Reißende Thiere werden erſt dann begierig nach Fleiſch, wenn ſie es einmal gekoſtet haben, wie man dieſes an Hauskatzen beobachten kann. Zahme Thier ändern ihren Charakter gänzlich in der Wildniß, und umgekehrt werden wilde Thiere in der Gefangen- ſchaft zahm und zuthunlich. Die Nachtigall ſingt nicht, wenn man ſie einſam auferzieht; ſie lernt das Singen erſt von andern Vögeln. Man hat beobachtet, daß die- ſelben Vögel, z. B. Finken, ganz verſchiedene Sing- weiſen in verſchiedenen Ländern beſitzen. Von der Biene pflegt man anzunehmen, die Jdee der ſechsſeitigen Zelle ſei ihr derart angeboren, daß ſie gezwungen ſei, dieſelbe zu bauen. Aber die Biene baut auch mitunter Zellen, welche eine andere Form haben, und wenn man ihr einen Bienenkorb mit künſtlichem Zellenſyſtem hinſtellt, ſo hat ſie ſoviel Verſtand und ſowenig Jnſtinnkt, daß ſie
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unwiderſtehlicher Naturtrieb nicht gibt, ſondern daß die
Thiere ebenſo wie die Menſchen denken, lernen, erkennen
und überlegen, nur in quantitativ weit geringerem Grade.
Die Thiere lernen und bilden ſich ebenſowohl durch den
Einfluß der Umgebung, der Eltern u. ſ. w., wie der
Menſch, wenn ihnen auch dabei die angeborene körperliche
Anlage zur Entwicklung gewiſſer geiſtiger Qualitäten noch
mehr als dieſem zu Statten kommen mag. Jagdhunde,
die im Hauſe erzogen werden, zeigen keine Spur jener
ſtarken Neigung zum Jagen, die ihnen ſonſt in ſo hohem
Grade eigen iſt. Reißende Thiere werden erſt dann
begierig nach Fleiſch, wenn ſie es einmal gekoſtet haben,
wie man dieſes an Hauskatzen beobachten kann. Zahme
Thier ändern ihren Charakter gänzlich in der Wildniß,
und umgekehrt werden wilde Thiere in der Gefangen-
ſchaft zahm und zuthunlich. Die Nachtigall ſingt nicht,
wenn man ſie einſam auferzieht; ſie lernt das Singen
erſt von andern Vögeln. Man hat beobachtet, daß die-
ſelben Vögel, z. B. Finken, ganz verſchiedene Sing-
weiſen in verſchiedenen Ländern beſitzen. Von der Biene
pflegt man anzunehmen, die Jdee der ſechsſeitigen Zelle
ſei ihr derart angeboren, daß ſie gezwungen ſei, dieſelbe
zu bauen. Aber die Biene baut auch mitunter Zellen,
welche eine andere Form haben, und wenn man ihr einen
Bienenkorb mit künſtlichem Zellenſyſtem hinſtellt, ſo
hat ſie ſoviel Verſtand und ſowenig Jnſtinnkt, daß ſie
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/185>, abgerufen am 21.11.2024.
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