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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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Allem ist zu bedenken, daß das, was man Jdee über-
haupt nennt, nicht Erwerbung jedes einzelnen Jndivi-
duums ist, sondern eine während langer Zeiträume und
durch mühsame geistige Kämpfe gemachte Eroberung des
ganzen menschlichen Geschlechts. Die Jdee entsteht,
indem der Mensch aus der ihn umgebenden objectiven
Welt das dem Einzelnen Gemeinsame herausliest, sich
daraus eine s. g. ideele Gestalt bildet und derselben
nun das Prädikat von Wahr, Schön oder Gut beilegt.
Dieser geistige Proceß aber vollendet sich schon in an-
dauernder Weise seit jener Zeit, in welcher das Men-
schengeschlecht in die historische Zeit eingetreten ist, die
Jdee erhalt dadurch nach und nach ein gewisses histori-
sches Recht und objective Gestaltung, und der Einzelne,
welcher in der Zeit erscheint, hat nicht mehr nöthig,
denselben geistigen Proceß von vorne in sich durchzu-
machen, sondern nur das bereits Vorhandene in sich
aufzunehmen. Ohne einen Rückblick auf die Entstehungs-
geschichte der Jdee mag es ihm nun scheinen, als müsse
dieselbe angeboren sein. Aber niemals wäre die Jdee im
Stande gewesen, sich in historischer Zeit zu entwickeln
ohne jene bestimmte Beziehung der objectiven Welt zu
dem Anschauungs-Vermögen des Jndividuums. "Die
Jdee," sagt Oersted, ist demnach die anschauende Ein-
heit von Gedanken; sie ist von der Vernunft aufgefaßt
worden, aber als Anschauung." Was überhaupt der

Allem iſt zu bedenken, daß das, was man Jdee über-
haupt nennt, nicht Erwerbung jedes einzelnen Jndivi-
duums iſt, ſondern eine während langer Zeiträume und
durch mühſame geiſtige Kämpfe gemachte Eroberung des
ganzen menſchlichen Geſchlechts. Die Jdee entſteht,
indem der Menſch aus der ihn umgebenden objectiven
Welt das dem Einzelnen Gemeinſame herauslieſt, ſich
daraus eine ſ. g. ideele Geſtalt bildet und derſelben
nun das Prädikat von Wahr, Schön oder Gut beilegt.
Dieſer geiſtige Proceß aber vollendet ſich ſchon in an-
dauernder Weiſe ſeit jener Zeit, in welcher das Men-
ſchengeſchlecht in die hiſtoriſche Zeit eingetreten iſt, die
Jdee erhalt dadurch nach und nach ein gewiſſes hiſtori-
ſches Recht und objective Geſtaltung, und der Einzelne,
welcher in der Zeit erſcheint, hat nicht mehr nöthig,
denſelben geiſtigen Proceß von vorne in ſich durchzu-
machen, ſondern nur das bereits Vorhandene in ſich
aufzunehmen. Ohne einen Rückblick auf die Entſtehungs-
geſchichte der Jdee mag es ihm nun ſcheinen, als müſſe
dieſelbe angeboren ſein. Aber niemals wäre die Jdee im
Stande geweſen, ſich in hiſtoriſcher Zeit zu entwickeln
ohne jene beſtimmte Beziehung der objectiven Welt zu
dem Anſchauungs-Vermögen des Jndividuums. „Die
Jdee,‟ ſagt Oerſted, iſt demnach die anſchauende Ein-
heit von Gedanken; ſie iſt von der Vernunft aufgefaßt
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[168/0188] Allem iſt zu bedenken, daß das, was man Jdee über- haupt nennt, nicht Erwerbung jedes einzelnen Jndivi- duums iſt, ſondern eine während langer Zeiträume und durch mühſame geiſtige Kämpfe gemachte Eroberung des ganzen menſchlichen Geſchlechts. Die Jdee entſteht, indem der Menſch aus der ihn umgebenden objectiven Welt das dem Einzelnen Gemeinſame herauslieſt, ſich daraus eine ſ. g. ideele Geſtalt bildet und derſelben nun das Prädikat von Wahr, Schön oder Gut beilegt. Dieſer geiſtige Proceß aber vollendet ſich ſchon in an- dauernder Weiſe ſeit jener Zeit, in welcher das Men- ſchengeſchlecht in die hiſtoriſche Zeit eingetreten iſt, die Jdee erhalt dadurch nach und nach ein gewiſſes hiſtori- ſches Recht und objective Geſtaltung, und der Einzelne, welcher in der Zeit erſcheint, hat nicht mehr nöthig, denſelben geiſtigen Proceß von vorne in ſich durchzu- machen, ſondern nur das bereits Vorhandene in ſich aufzunehmen. Ohne einen Rückblick auf die Entſtehungs- geſchichte der Jdee mag es ihm nun ſcheinen, als müſſe dieſelbe angeboren ſein. Aber niemals wäre die Jdee im Stande geweſen, ſich in hiſtoriſcher Zeit zu entwickeln ohne jene beſtimmte Beziehung der objectiven Welt zu dem Anſchauungs-Vermögen des Jndividuums. „Die Jdee,‟ ſagt Oerſted, iſt demnach die anſchauende Ein- heit von Gedanken; ſie iſt von der Vernunft aufgefaßt worden, aber als Anſchauung.‟ Was überhaupt der

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/188>, abgerufen am 21.11.2024.