Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

eine chemische Verbindung, ein Drittes, zu bilden. --
Welche unendlichen geistigen Verschiedenheiten werden
unter den einzelnen Menschen selbst durch die verschieden-
artige Menge und Beschaffenheit der äußeren Eindrücke
bedingt! Wie hoch steht der Gelehrte, der geistig Gebil-
dete über dem Ungebildeten oder Unwissenden! Je zahl-
reicher unsere äußeren Anschauungen sind, um so reicher
ist auch die Welt unserer Gedanken, um so umfassender
unser geistiger Gesichtspunkt.

Man hat, um die sensualistische Lehre zu widerlegen,
auf die Existenz gewisser allgemeiner geistiger Jdeen auf-
merksam gemacht, welche sich im Leben der Einzelnen
wie der Völker mit solcher Gewalt, Bestimmtheit und
Allgemeinheit geltend machen sollen, daß an ein Ent-
stehen derselben auf empirischem Weg nicht zu denken,
dagegen anzunehmen sei, daß dieselben der menschlichen
Natur als solcher ursprünglich eingepflanzt seien. Dahin
seien vor Allem die metaphysischen, ästhetischen und
moralischen Begriffe, also die Jdeen des Wahren, des
Guten und des Schönen zu rechnen. Man beobachtet,
sagt man, daß schon das Gemüth des Knaben sich beim
Anblick eiens Unrechts mit einer Stärke empört, die
von der Kraft seiner inneren Gefühle zeigt, und sein
Gefallen am Schönen zeigt sich schon zu einer Zeit, wo
er noch nicht im Stande ist, selbstständige Vergleichungen
anzustellen. -- Dagegen läßt sich Folgendes sagen: Vor

eine chemiſche Verbindung, ein Drittes, zu bilden. —
Welche unendlichen geiſtigen Verſchiedenheiten werden
unter den einzelnen Menſchen ſelbſt durch die verſchieden-
artige Menge und Beſchaffenheit der äußeren Eindrücke
bedingt! Wie hoch ſteht der Gelehrte, der geiſtig Gebil-
dete über dem Ungebildeten oder Unwiſſenden! Je zahl-
reicher unſere äußeren Anſchauungen ſind, um ſo reicher
iſt auch die Welt unſerer Gedanken, um ſo umfaſſender
unſer geiſtiger Geſichtspunkt.

Man hat, um die ſenſualiſtiſche Lehre zu widerlegen,
auf die Exiſtenz gewiſſer allgemeiner geiſtiger Jdeen auf-
merkſam gemacht, welche ſich im Leben der Einzelnen
wie der Völker mit ſolcher Gewalt, Beſtimmtheit und
Allgemeinheit geltend machen ſollen, daß an ein Ent-
ſtehen derſelben auf empiriſchem Weg nicht zu denken,
dagegen anzunehmen ſei, daß dieſelben der menſchlichen
Natur als ſolcher urſprünglich eingepflanzt ſeien. Dahin
ſeien vor Allem die metaphyſiſchen, äſthetiſchen und
moraliſchen Begriffe, alſo die Jdeen des Wahren, des
Guten und des Schönen zu rechnen. Man beobachtet,
ſagt man, daß ſchon das Gemüth des Knaben ſich beim
Anblick eiens Unrechts mit einer Stärke empört, die
von der Kraft ſeiner inneren Gefühle zeigt, und ſein
Gefallen am Schönen zeigt ſich ſchon zu einer Zeit, wo
er noch nicht im Stande iſt, ſelbſtſtändige Vergleichungen
anzuſtellen. — Dagegen läßt ſich Folgendes ſagen: Vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0187" n="167"/>
eine chemi&#x017F;che Verbindung, ein Drittes, zu bilden. &#x2014;<lb/>
Welche unendlichen gei&#x017F;tigen Ver&#x017F;chiedenheiten werden<lb/>
unter den einzelnen Men&#x017F;chen &#x017F;elb&#x017F;t durch die ver&#x017F;chieden-<lb/>
artige Menge und Be&#x017F;chaffenheit der äußeren Eindrücke<lb/>
bedingt! Wie hoch &#x017F;teht der Gelehrte, der gei&#x017F;tig Gebil-<lb/>
dete über dem Ungebildeten oder Unwi&#x017F;&#x017F;enden! Je zahl-<lb/>
reicher un&#x017F;ere äußeren An&#x017F;chauungen &#x017F;ind, um &#x017F;o reicher<lb/>
i&#x017F;t auch die Welt un&#x017F;erer Gedanken, um &#x017F;o umfa&#x017F;&#x017F;ender<lb/>
un&#x017F;er gei&#x017F;tiger Ge&#x017F;ichtspunkt.</p><lb/>
        <p>Man hat, um die &#x017F;en&#x017F;uali&#x017F;ti&#x017F;che Lehre zu widerlegen,<lb/>
auf die Exi&#x017F;tenz gewi&#x017F;&#x017F;er allgemeiner gei&#x017F;tiger Jdeen auf-<lb/>
merk&#x017F;am gemacht, welche &#x017F;ich im Leben der Einzelnen<lb/>
wie der Völker mit &#x017F;olcher Gewalt, Be&#x017F;timmtheit und<lb/>
Allgemeinheit geltend machen &#x017F;ollen, daß an ein Ent-<lb/>
&#x017F;tehen der&#x017F;elben auf empiri&#x017F;chem Weg nicht zu denken,<lb/>
dagegen anzunehmen &#x017F;ei, daß die&#x017F;elben der men&#x017F;chlichen<lb/>
Natur als &#x017F;olcher ur&#x017F;prünglich eingepflanzt &#x017F;eien. Dahin<lb/>
&#x017F;eien vor Allem die metaphy&#x017F;i&#x017F;chen, ä&#x017F;theti&#x017F;chen und<lb/>
morali&#x017F;chen Begriffe, al&#x017F;o die Jdeen des <hi rendition="#g">Wahren</hi>, des<lb/><hi rendition="#g">Guten</hi> und des <hi rendition="#g">Schönen</hi> zu rechnen. Man beobachtet,<lb/>
&#x017F;agt man, daß &#x017F;chon das Gemüth des Knaben &#x017F;ich beim<lb/>
Anblick eiens Unrechts mit einer Stärke empört, die<lb/>
von der Kraft &#x017F;einer inneren Gefühle zeigt, und &#x017F;ein<lb/>
Gefallen am Schönen zeigt &#x017F;ich &#x017F;chon zu einer Zeit, wo<lb/>
er noch nicht im Stande i&#x017F;t, &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Vergleichungen<lb/>
anzu&#x017F;tellen. &#x2014; Dagegen läßt &#x017F;ich Folgendes &#x017F;agen: Vor<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0187] eine chemiſche Verbindung, ein Drittes, zu bilden. — Welche unendlichen geiſtigen Verſchiedenheiten werden unter den einzelnen Menſchen ſelbſt durch die verſchieden- artige Menge und Beſchaffenheit der äußeren Eindrücke bedingt! Wie hoch ſteht der Gelehrte, der geiſtig Gebil- dete über dem Ungebildeten oder Unwiſſenden! Je zahl- reicher unſere äußeren Anſchauungen ſind, um ſo reicher iſt auch die Welt unſerer Gedanken, um ſo umfaſſender unſer geiſtiger Geſichtspunkt. Man hat, um die ſenſualiſtiſche Lehre zu widerlegen, auf die Exiſtenz gewiſſer allgemeiner geiſtiger Jdeen auf- merkſam gemacht, welche ſich im Leben der Einzelnen wie der Völker mit ſolcher Gewalt, Beſtimmtheit und Allgemeinheit geltend machen ſollen, daß an ein Ent- ſtehen derſelben auf empiriſchem Weg nicht zu denken, dagegen anzunehmen ſei, daß dieſelben der menſchlichen Natur als ſolcher urſprünglich eingepflanzt ſeien. Dahin ſeien vor Allem die metaphyſiſchen, äſthetiſchen und moraliſchen Begriffe, alſo die Jdeen des Wahren, des Guten und des Schönen zu rechnen. Man beobachtet, ſagt man, daß ſchon das Gemüth des Knaben ſich beim Anblick eiens Unrechts mit einer Stärke empört, die von der Kraft ſeiner inneren Gefühle zeigt, und ſein Gefallen am Schönen zeigt ſich ſchon zu einer Zeit, wo er noch nicht im Stande iſt, ſelbſtſtändige Vergleichungen anzuſtellen. — Dagegen läßt ſich Folgendes ſagen: Vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/187
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/187>, abgerufen am 24.11.2024.