inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt der Kenner über Schönheit, als der Laie! -- Wie eine Pflanze im Boden, so wurzeln wir mit unserm Wissen, Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus- gerissen aus diesem Boden müssen wir gleich der Pflanze verwelken und sterben.
Aus allem Diesem geht hervor und steht damit im innigsten Zusammenhang, daß wir keine Wissenschaft, keine Vorstellung vom Absoluten, d. h. von dem haben können, was über die uns umgebende sinnliche Welt hinausgeht. So sehr die Herrn Metaphysiker vergeblich sich bemühen mögen, das Absolute zu defi- niren, so sehr die Religion streben mag, durch Annahme unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Absolute zu erwecken, nichts kann diesen innern Mangel verdecken. All unser Wissen und Vorstellen ist relativ und geht nur aus einer gegenseitigen Vergleichung der uns umgebenden sinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne Niedrig, von Warm ohne Kalt u. s. w.; absolute Jdeen besitzen wir nicht. Wir sind nicht im Stande, uns einen auch nur entfernten Begriff von "Ewig" oder "Unend- lich" zu machen, weil unser Verstand in seiner sinnlichen Begrenzung durch Raum und Zeit eine unübersteigliche Grenze für jene Vorstellung findet. Weil wir in der
inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt der Kenner über Schönheit, als der Laie! — Wie eine Pflanze im Boden, ſo wurzeln wir mit unſerm Wiſſen, Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus- geriſſen aus dieſem Boden müſſen wir gleich der Pflanze verwelken und ſterben.
Aus allem Dieſem geht hervor und ſteht damit im innigſten Zuſammenhang, daß wir keine Wiſſenſchaft, keine Vorſtellung vom Abſoluten, d. h. von dem haben können, was über die uns umgebende ſinnliche Welt hinausgeht. So ſehr die Herrn Metaphyſiker vergeblich ſich bemühen mögen, das Abſolute zu defi- niren, ſo ſehr die Religion ſtreben mag, durch Annahme unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Abſolute zu erwecken, nichts kann dieſen innern Mangel verdecken. All unſer Wiſſen und Vorſtellen iſt relativ und geht nur aus einer gegenſeitigen Vergleichung der uns umgebenden ſinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne Niedrig, von Warm ohne Kalt u. ſ. w.; abſolute Jdeen beſitzen wir nicht. Wir ſind nicht im Stande, uns einen auch nur entfernten Begriff von „Ewig‟ oder „Unend- lich‟ zu machen, weil unſer Verſtand in ſeiner ſinnlichen Begrenzung durch Raum und Zeit eine unüberſteigliche Grenze für jene Vorſtellung findet. Weil wir in der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0195"n="175"/>
inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt<lb/>
der Kenner über Schönheit, als der Laie! — Wie eine<lb/>
Pflanze im Boden, ſo wurzeln wir mit unſerm Wiſſen,<lb/>
Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber<lb/>
hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus-<lb/>
geriſſen aus dieſem Boden müſſen wir gleich der Pflanze<lb/>
verwelken und ſterben.</p><lb/><p>Aus allem Dieſem geht hervor und ſteht damit im<lb/>
innigſten Zuſammenhang, daß wir keine Wiſſenſchaft,<lb/>
keine Vorſtellung vom <hirendition="#g">Abſoluten,</hi> d. h. von dem<lb/>
haben können, was über die uns umgebende ſinnliche<lb/>
Welt hinausgeht. So ſehr die Herrn Metaphyſiker<lb/>
vergeblich ſich bemühen mögen, das Abſolute zu defi-<lb/>
niren, ſo ſehr die Religion ſtreben mag, durch Annahme<lb/>
unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Abſolute<lb/>
zu erwecken, nichts kann dieſen innern Mangel verdecken.<lb/>
All unſer Wiſſen und Vorſtellen iſt relativ und geht nur<lb/>
aus einer gegenſeitigen Vergleichung der uns umgebenden<lb/>ſinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom<lb/>
Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne<lb/>
Niedrig, von Warm ohne Kalt u. ſ. w.; abſolute Jdeen<lb/>
beſitzen wir nicht. Wir ſind nicht im Stande, uns einen<lb/>
auch nur entfernten Begriff von „Ewig‟ oder „Unend-<lb/>
lich‟ zu machen, weil unſer Verſtand in ſeiner ſinnlichen<lb/>
Begrenzung durch Raum und Zeit eine unüberſteigliche<lb/>
Grenze für jene Vorſtellung findet. Weil wir in der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[175/0195]
inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt
der Kenner über Schönheit, als der Laie! — Wie eine
Pflanze im Boden, ſo wurzeln wir mit unſerm Wiſſen,
Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber
hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus-
geriſſen aus dieſem Boden müſſen wir gleich der Pflanze
verwelken und ſterben.
Aus allem Dieſem geht hervor und ſteht damit im
innigſten Zuſammenhang, daß wir keine Wiſſenſchaft,
keine Vorſtellung vom Abſoluten, d. h. von dem
haben können, was über die uns umgebende ſinnliche
Welt hinausgeht. So ſehr die Herrn Metaphyſiker
vergeblich ſich bemühen mögen, das Abſolute zu defi-
niren, ſo ſehr die Religion ſtreben mag, durch Annahme
unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Abſolute
zu erwecken, nichts kann dieſen innern Mangel verdecken.
All unſer Wiſſen und Vorſtellen iſt relativ und geht nur
aus einer gegenſeitigen Vergleichung der uns umgebenden
ſinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom
Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne
Niedrig, von Warm ohne Kalt u. ſ. w.; abſolute Jdeen
beſitzen wir nicht. Wir ſind nicht im Stande, uns einen
auch nur entfernten Begriff von „Ewig‟ oder „Unend-
lich‟ zu machen, weil unſer Verſtand in ſeiner ſinnlichen
Begrenzung durch Raum und Zeit eine unüberſteigliche
Grenze für jene Vorſtellung findet. Weil wir in der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/195>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.