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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt
der Kenner über Schönheit, als der Laie! -- Wie eine
Pflanze im Boden, so wurzeln wir mit unserm Wissen,
Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber
hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus-
gerissen aus diesem Boden müssen wir gleich der Pflanze
verwelken und sterben.

Aus allem Diesem geht hervor und steht damit im
innigsten Zusammenhang, daß wir keine Wissenschaft,
keine Vorstellung vom Absoluten, d. h. von dem
haben können, was über die uns umgebende sinnliche
Welt hinausgeht. So sehr die Herrn Metaphysiker
vergeblich sich bemühen mögen, das Absolute zu defi-
niren, so sehr die Religion streben mag, durch Annahme
unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Absolute
zu erwecken, nichts kann diesen innern Mangel verdecken.
All unser Wissen und Vorstellen ist relativ und geht nur
aus einer gegenseitigen Vergleichung der uns umgebenden
sinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom
Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne
Niedrig, von Warm ohne Kalt u. s. w.; absolute Jdeen
besitzen wir nicht. Wir sind nicht im Stande, uns einen
auch nur entfernten Begriff von "Ewig" oder "Unend-
lich" zu machen, weil unser Verstand in seiner sinnlichen
Begrenzung durch Raum und Zeit eine unübersteigliche
Grenze für jene Vorstellung findet. Weil wir in der

inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt
der Kenner über Schönheit, als der Laie! — Wie eine
Pflanze im Boden, ſo wurzeln wir mit unſerm Wiſſen,
Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber
hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus-
geriſſen aus dieſem Boden müſſen wir gleich der Pflanze
verwelken und ſterben.

Aus allem Dieſem geht hervor und ſteht damit im
innigſten Zuſammenhang, daß wir keine Wiſſenſchaft,
keine Vorſtellung vom Abſoluten, d. h. von dem
haben können, was über die uns umgebende ſinnliche
Welt hinausgeht. So ſehr die Herrn Metaphyſiker
vergeblich ſich bemühen mögen, das Abſolute zu defi-
niren, ſo ſehr die Religion ſtreben mag, durch Annahme
unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Abſolute
zu erwecken, nichts kann dieſen innern Mangel verdecken.
All unſer Wiſſen und Vorſtellen iſt relativ und geht nur
aus einer gegenſeitigen Vergleichung der uns umgebenden
ſinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom
Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne
Niedrig, von Warm ohne Kalt u. ſ. w.; abſolute Jdeen
beſitzen wir nicht. Wir ſind nicht im Stande, uns einen
auch nur entfernten Begriff von „Ewig‟ oder „Unend-
lich‟ zu machen, weil unſer Verſtand in ſeiner ſinnlichen
Begrenzung durch Raum und Zeit eine unüberſteigliche
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[175/0195] inneren Drang folgende Jüngling! Wie anders urtheilt der Kenner über Schönheit, als der Laie! — Wie eine Pflanze im Boden, ſo wurzeln wir mit unſerm Wiſſen, Denken, Empfinden in der objectiven Welt, darüber hinaus die Blüthenkrone der Jdee tragend; aber heraus- geriſſen aus dieſem Boden müſſen wir gleich der Pflanze verwelken und ſterben. Aus allem Dieſem geht hervor und ſteht damit im innigſten Zuſammenhang, daß wir keine Wiſſenſchaft, keine Vorſtellung vom Abſoluten, d. h. von dem haben können, was über die uns umgebende ſinnliche Welt hinausgeht. So ſehr die Herrn Metaphyſiker vergeblich ſich bemühen mögen, das Abſolute zu defi- niren, ſo ſehr die Religion ſtreben mag, durch Annahme unmittelbarer Offenbarung den Glauben an das Abſolute zu erwecken, nichts kann dieſen innern Mangel verdecken. All unſer Wiſſen und Vorſtellen iſt relativ und geht nur aus einer gegenſeitigen Vergleichung der uns umgebenden ſinnlichen Dinge hervor. Wir hätten keinen Begriff vom Dunkel ohne das Licht, keine Ahnung von Hoch ohne Niedrig, von Warm ohne Kalt u. ſ. w.; abſolute Jdeen beſitzen wir nicht. Wir ſind nicht im Stande, uns einen auch nur entfernten Begriff von „Ewig‟ oder „Unend- lich‟ zu machen, weil unſer Verſtand in ſeiner ſinnlichen Begrenzung durch Raum und Zeit eine unüberſteigliche Grenze für jene Vorſtellung findet. Weil wir in der

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/195>, abgerufen am 24.11.2024.