Anthropomorphismus sucht Feuerbach in dem Ab- hängigkeitsgefühl und sclavischen Sinn, welcher der menschlichen Natur innewohnt. "Der außer- und über- menschliche Gott," sagt Feuerbach, "ist nichts An- deres, als das außer- und übernatürliche Selbst, das seinen Schranken entrückte, über sein objektives Wesen gestellte subjektive Wesen des Menschen." Jn der That ist die Geschichte aller Religionen ein fortlaufender Be- weis für diese Behauptung, und wie könnte es auch an- ders sein? Ohne Kenntniß oder Begriff vom Absoluten, ohne eine unmittelbare Offenbarung, deren Dasein zwar von fast allen religiösen Sekten behauptet, aber nicht bewiesen wird -- können alle Vorstellungen von Gott, einerlei welcher Religion sie angehören, keine andern als menschliche sein, und da der Mensch in der belebten Natur kein höher stehendes geistig begabtes Wesen, als sich selbst kennt, so können auch seine Vorstellungen eines höchsten Wesens nicht anders, als von seinem eig- nen Selbst abstrahirt sein, sie müssen eine Selbst- idealisirung darstellen. Daher spiegeln sich denn auch in den religiösen Vorstellungen aller Völker die jedesmaligen Zustände, Wünsche, Hoffnungen, ja die geistige Bildungsstufe und besondere geistige Richtung eines jeden Volkes jedesmal auf's Treueste und Cha- rakteristischste ab, und wir sind gewohnt, aus dem Götter- dienste eines Volkes auf seine geistige Jndividualität
Anthropomorphismus ſucht Feuerbach in dem Ab- hängigkeitsgefühl und ſclaviſchen Sinn, welcher der menſchlichen Natur innewohnt. „Der außer- und über- menſchliche Gott,‟ ſagt Feuerbach, „iſt nichts An- deres, als das außer- und übernatürliche Selbſt, das ſeinen Schranken entrückte, über ſein objektives Weſen geſtellte ſubjektive Weſen des Menſchen.‟ Jn der That iſt die Geſchichte aller Religionen ein fortlaufender Be- weis für dieſe Behauptung, und wie könnte es auch an- ders ſein? Ohne Kenntniß oder Begriff vom Abſoluten, ohne eine unmittelbare Offenbarung, deren Daſein zwar von faſt allen religiöſen Sekten behauptet, aber nicht bewieſen wird — können alle Vorſtellungen von Gott, einerlei welcher Religion ſie angehören, keine andern als menſchliche ſein, und da der Menſch in der belebten Natur kein höher ſtehendes geiſtig begabtes Weſen, als ſich ſelbſt kennt, ſo können auch ſeine Vorſtellungen eines höchſten Weſens nicht anders, als von ſeinem eig- nen Selbſt abſtrahirt ſein, ſie müſſen eine Selbſt- idealiſirung darſtellen. Daher ſpiegeln ſich denn auch in den religiöſen Vorſtellungen aller Völker die jedesmaligen Zuſtände, Wünſche, Hoffnungen, ja die geiſtige Bildungsſtufe und beſondere geiſtige Richtung eines jeden Volkes jedesmal auf’s Treueſte und Cha- rakteriſtiſchſte ab, und wir ſind gewohnt, aus dem Götter- dienſte eines Volkes auf ſeine geiſtige Jndividualität
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Anthropomorphismus ſucht Feuerbach in dem Ab-
hängigkeitsgefühl und ſclaviſchen Sinn, welcher der
menſchlichen Natur innewohnt. „Der außer- und über-
menſchliche Gott,‟ ſagt Feuerbach, „iſt nichts An-
deres, als das außer- und übernatürliche Selbſt, das
ſeinen Schranken entrückte, über ſein objektives Weſen
geſtellte ſubjektive Weſen des Menſchen.‟ Jn der That
iſt die Geſchichte aller Religionen ein fortlaufender Be-
weis für dieſe Behauptung, und wie könnte es auch an-
ders ſein? Ohne Kenntniß oder Begriff vom Abſoluten,
ohne eine unmittelbare Offenbarung, deren Daſein zwar
von faſt allen religiöſen Sekten behauptet, aber nicht
bewieſen wird — können alle Vorſtellungen von Gott,
einerlei welcher Religion ſie angehören, keine andern als
menſchliche ſein, und da der Menſch in der belebten
Natur kein höher ſtehendes geiſtig begabtes Weſen, als
ſich ſelbſt kennt, ſo können auch ſeine Vorſtellungen eines
höchſten Weſens nicht anders, als von ſeinem eig-
nen Selbſt abſtrahirt ſein, ſie müſſen eine Selbſt-
idealiſirung darſtellen. Daher ſpiegeln ſich denn
auch in den religiöſen Vorſtellungen aller Völker die
jedesmaligen Zuſtände, Wünſche, Hoffnungen, ja die
geiſtige Bildungsſtufe und beſondere geiſtige Richtung
eines jeden Volkes jedesmal auf’s Treueſte und Cha-
rakteriſtiſchſte ab, und wir ſind gewohnt, aus dem Götter-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/206>, abgerufen am 21.11.2024.
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