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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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Der Taubstumme Meystre hatte, wie im vorigen Ka-
pitel erzählt wurde, keine Jdee von Gott, und konnte
ihm eine solche trotz aller Anstrengung nicht beigebracht
werden. Wenn die Natur nicht im Stande ist, mit
größerer Gewalt ihr Recht auch ohne Lehre und Er-
ziehung geltend zu machen, so muß geschlossen werden,
daß dieselbe von solchen ursprünglichen Begriffen über-
haupt nichts weiß. Wollte man die Gottesidee eine an-
geborene nennen, so könnte man am Ende nicht anders,
als auch der Jdee eines bösen, mit höherer Macht aus-
gerüsteten Wesens, eines Teufels, Satans, eines oder
mehrerer Dämonen, dasselbe Prädikat beizulegen. Der
Glaube an böse, den Menschen feindliche Mächte hat
nachweisbar dieselbe, ja unter Naturvölkern oft eine noch
weit größere Ausbreitung und Bedeutung gewonnen, als
der Glaube an einen wohlwollenden Gott. Alle diese
Begriffe sind anerzogene, aus eignem oder Anderer
Nachdenken hervorgegangene, geschlossene, nicht an-
geborne.

Niemand hat den rein menschlichen Ursprung der
Gottesidee besser erklärt und nachgewiesen, als Ludwig
Feuerbach
. Derselbe nennt alle Vorstellungen von
Gott und göttlichem Wesen Anthropomorphismen,
d. h. Erzeugnisse menschlicher Phantasie und menschlicher
Anschauungsweise, gebildet nach dem Muster der eig-
nen menschlichen Jndividualität. Den Ursprung dieses

Der Taubſtumme Meyſtre hatte, wie im vorigen Ka-
pitel erzählt wurde, keine Jdee von Gott, und konnte
ihm eine ſolche trotz aller Anſtrengung nicht beigebracht
werden. Wenn die Natur nicht im Stande iſt, mit
größerer Gewalt ihr Recht auch ohne Lehre und Er-
ziehung geltend zu machen, ſo muß geſchloſſen werden,
daß dieſelbe von ſolchen urſprünglichen Begriffen über-
haupt nichts weiß. Wollte man die Gottesidee eine an-
geborene nennen, ſo könnte man am Ende nicht anders,
als auch der Jdee eines böſen, mit höherer Macht aus-
gerüſteten Weſens, eines Teufels, Satans, eines oder
mehrerer Dämonen, daſſelbe Prädikat beizulegen. Der
Glaube an böſe, den Menſchen feindliche Mächte hat
nachweisbar dieſelbe, ja unter Naturvölkern oft eine noch
weit größere Ausbreitung und Bedeutung gewonnen, als
der Glaube an einen wohlwollenden Gott. Alle dieſe
Begriffe ſind anerzogene, aus eignem oder Anderer
Nachdenken hervorgegangene, geſchloſſene, nicht an-
geborne.

Niemand hat den rein menſchlichen Urſprung der
Gottesidee beſſer erklärt und nachgewieſen, als Ludwig
Feuerbach
. Derſelbe nennt alle Vorſtellungen von
Gott und göttlichem Weſen Anthropomorphismen,
d. h. Erzeugniſſe menſchlicher Phantaſie und menſchlicher
Anſchauungsweiſe, gebildet nach dem Muſter der eig-
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[185/0205] Der Taubſtumme Meyſtre hatte, wie im vorigen Ka- pitel erzählt wurde, keine Jdee von Gott, und konnte ihm eine ſolche trotz aller Anſtrengung nicht beigebracht werden. Wenn die Natur nicht im Stande iſt, mit größerer Gewalt ihr Recht auch ohne Lehre und Er- ziehung geltend zu machen, ſo muß geſchloſſen werden, daß dieſelbe von ſolchen urſprünglichen Begriffen über- haupt nichts weiß. Wollte man die Gottesidee eine an- geborene nennen, ſo könnte man am Ende nicht anders, als auch der Jdee eines böſen, mit höherer Macht aus- gerüſteten Weſens, eines Teufels, Satans, eines oder mehrerer Dämonen, daſſelbe Prädikat beizulegen. Der Glaube an böſe, den Menſchen feindliche Mächte hat nachweisbar dieſelbe, ja unter Naturvölkern oft eine noch weit größere Ausbreitung und Bedeutung gewonnen, als der Glaube an einen wohlwollenden Gott. Alle dieſe Begriffe ſind anerzogene, aus eignem oder Anderer Nachdenken hervorgegangene, geſchloſſene, nicht an- geborne. Niemand hat den rein menſchlichen Urſprung der Gottesidee beſſer erklärt und nachgewieſen, als Ludwig Feuerbach. Derſelbe nennt alle Vorſtellungen von Gott und göttlichem Weſen Anthropomorphismen, d. h. Erzeugniſſe menſchlicher Phantaſie und menſchlicher Anſchauungsweiſe, gebildet nach dem Muſter der eig- nen menſchlichen Jndividualität. Den Urſprung dieſes

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/205>, abgerufen am 24.11.2024.