Entschiedenheit gegen die Jdeen einer individuellen Un- sterblichkeit, einer persönlichen Fortdauer nach dem Tode zu erklären. Mit dem Untergang und Zerfall seines materiellen Substrats und mit dem Heraustritt aus derjenigen Umgebung, durch welche allein es zu einem bewußten Dasein und zu einer Person geworden ist, muß auch ein geistiges Wesen ein Ende nehmen, das wir allein auf diesem doppelten Boden und in innigster Abhängigkeit von demselben haben emporwachsen sehen. Alle Kenntniß, welche diesem Wesen zu Theil geworden ist, bezieht sich auf irdische Dinge; es hat sich selbst er- kannt und ist sich seiner bewußt geworden nur in, mit und durch diese Dinge; es ist Person geworden nur durch sein Gegenübertreten gegen irdische abgegrenzte Jndividualitäten; wie sollte es denkbar oder möglich sein, daß dieses Wesen, herausgerissen aus diesen ihm wie Lebensluft nöthigen Bedingungen, mit Selbstbewußtsein und als dieselbe Person weiterexistiren könne! Nicht Ueber- legung, sondern nur eigensinnige Willkühr, nicht die Wissenschaft, sondern nur der Glaube können die Jdee einer persönlichen Fortdauer stützen. "Die Physiologie", sagt Karl Vogt, "erklärt sich bestimmt und kategorisch gegen eine individuelle Unsterblichkeit, wie überhaupt gegen alle Vorstellungen, welche sich an diejenige der speciellen Existenz einer Seele anschließen. Die Seele fährt nicht in den Fötus, wie der böse Geist in den Be-
Büchner, Kraft und Stoff. 13
Entſchiedenheit gegen die Jdeen einer individuellen Un- ſterblichkeit, einer perſönlichen Fortdauer nach dem Tode zu erklären. Mit dem Untergang und Zerfall ſeines materiellen Subſtrats und mit dem Heraustritt aus derjenigen Umgebung, durch welche allein es zu einem bewußten Daſein und zu einer Perſon geworden iſt, muß auch ein geiſtiges Weſen ein Ende nehmen, das wir allein auf dieſem doppelten Boden und in innigſter Abhängigkeit von demſelben haben emporwachſen ſehen. Alle Kenntniß, welche dieſem Weſen zu Theil geworden iſt, bezieht ſich auf irdiſche Dinge; es hat ſich ſelbſt er- kannt und iſt ſich ſeiner bewußt geworden nur in, mit und durch dieſe Dinge; es iſt Perſon geworden nur durch ſein Gegenübertreten gegen irdiſche abgegrenzte Jndividualitäten; wie ſollte es denkbar oder möglich ſein, daß dieſes Weſen, herausgeriſſen aus dieſen ihm wie Lebensluft nöthigen Bedingungen, mit Selbſtbewußtſein und als dieſelbe Perſon weiterexiſtiren könne! Nicht Ueber- legung, ſondern nur eigenſinnige Willkühr, nicht die Wiſſenſchaft, ſondern nur der Glaube können die Jdee einer perſönlichen Fortdauer ſtützen. „Die Phyſiologie‟, ſagt Karl Vogt, „erklärt ſich beſtimmt und kategoriſch gegen eine individuelle Unſterblichkeit, wie überhaupt gegen alle Vorſtellungen, welche ſich an diejenige der ſpeciellen Exiſtenz einer Seele anſchließen. Die Seele fährt nicht in den Fötus, wie der böſe Geiſt in den Be-
Büchner, Kraft und Stoff. 13
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Entſchiedenheit gegen die Jdeen einer individuellen Un-
ſterblichkeit, einer perſönlichen Fortdauer nach dem Tode
zu erklären. Mit dem Untergang und Zerfall ſeines
materiellen Subſtrats und mit dem Heraustritt aus
derjenigen Umgebung, durch welche allein es zu einem
bewußten Daſein und zu einer Perſon geworden iſt,
muß auch ein geiſtiges Weſen ein Ende nehmen, das
wir allein auf dieſem doppelten Boden und in innigſter
Abhängigkeit von demſelben haben emporwachſen ſehen.
Alle Kenntniß, welche dieſem Weſen zu Theil geworden
iſt, bezieht ſich auf irdiſche Dinge; es hat ſich ſelbſt er-
kannt und iſt ſich ſeiner bewußt geworden nur in, mit
und durch dieſe Dinge; es iſt Perſon geworden nur
durch ſein Gegenübertreten gegen irdiſche abgegrenzte
Jndividualitäten; wie ſollte es denkbar oder möglich ſein,
daß dieſes Weſen, herausgeriſſen aus dieſen ihm wie
Lebensluft nöthigen Bedingungen, mit Selbſtbewußtſein
und als dieſelbe Perſon weiterexiſtiren könne! Nicht Ueber-
legung, ſondern nur eigenſinnige Willkühr, nicht die
Wiſſenſchaft, ſondern nur der Glaube können die Jdee
einer perſönlichen Fortdauer ſtützen. „Die Phyſiologie‟,
ſagt Karl Vogt, „erklärt ſich beſtimmt und kategoriſch
gegen eine individuelle Unſterblichkeit, wie überhaupt
gegen alle Vorſtellungen, welche ſich an diejenige der
ſpeciellen Exiſtenz einer Seele anſchließen. Die Seele
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/213>, abgerufen am 16.02.2025.
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