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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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nisse wird die Funktion des Denkorgans im Schlaf für
einige Zeit sistirt und damit die Seele im wahren Sinne
des Worts vernichtet. Das geistige Wesen ist ent-
flohen, und nur der Körper existirt oder vegetirt weiter
ohne Selbstbewußtsein und in einem Zustand, welcher
dem Zustand jener Thiere gleicht, denen Flourens die
Gehirnhemisphären weggeschnitten hatte. Beim Erwachen
findet sich die Seele genau da wieder, wo sie sich beim
Einschlafen vergessen hatte; die lange Zwischenzeit war
für sie nicht vorhanden, sie befand sich im Zustand eines
geistigen Todes. Dieses eigenthümliche Verhältniß ist
so in die Augen springend, daß man von je Schlaf und
Tod mit einander verglich und sie Brüder nannte.
Während der französischen Revolution ließ der bekannte
Chaumette die Jnschrift an die Kirchhofsthüren setzen:
"Der Tod ist ein ewiger Schlaf." Andreä, der Ver-
fasser einer alten descriptio reipublicae christianopo-
litanae
aus dem Jahr 1619, sagt: "Diese eine Republik
kennt den Tod nicht, und doch ist er bei ihr in aller
Vertraulichkeit, aber sie nennen ihn Schlaf." Jm
Moment des Einschlafens beschleicht uns das unheimliche
Gefühl der bevorstehenden geistigen Vernichtung und der
Unwissenheit darüber, ob sie zeitlich oder ewig sein
werde. Mit schönen Worten schildert dies Gefühl der
Dichter:

niſſe wird die Funktion des Denkorgans im Schlaf für
einige Zeit ſiſtirt und damit die Seele im wahren Sinne
des Worts vernichtet. Das geiſtige Weſen iſt ent-
flohen, und nur der Körper exiſtirt oder vegetirt weiter
ohne Selbſtbewußtſein und in einem Zuſtand, welcher
dem Zuſtand jener Thiere gleicht, denen Flourens die
Gehirnhemiſphären weggeſchnitten hatte. Beim Erwachen
findet ſich die Seele genau da wieder, wo ſie ſich beim
Einſchlafen vergeſſen hatte; die lange Zwiſchenzeit war
für ſie nicht vorhanden, ſie befand ſich im Zuſtand eines
geiſtigen Todes. Dieſes eigenthümliche Verhältniß iſt
ſo in die Augen ſpringend, daß man von je Schlaf und
Tod mit einander verglich und ſie Brüder nannte.
Während der franzöſiſchen Revolution ließ der bekannte
Chaumette die Jnſchrift an die Kirchhofsthüren ſetzen:
„Der Tod iſt ein ewiger Schlaf.‟ Andreä, der Ver-
faſſer einer alten descriptio reipublicae christianopo-
litanae
aus dem Jahr 1619, ſagt: „Dieſe eine Republik
kennt den Tod nicht, und doch iſt er bei ihr in aller
Vertraulichkeit, aber ſie nennen ihn Schlaf.‟ Jm
Moment des Einſchlafens beſchleicht uns das unheimliche
Gefühl der bevorſtehenden geiſtigen Vernichtung und der
Unwiſſenheit darüber, ob ſie zeitlich oder ewig ſein
werde. Mit ſchönen Worten ſchildert dies Gefühl der
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[198/0218] niſſe wird die Funktion des Denkorgans im Schlaf für einige Zeit ſiſtirt und damit die Seele im wahren Sinne des Worts vernichtet. Das geiſtige Weſen iſt ent- flohen, und nur der Körper exiſtirt oder vegetirt weiter ohne Selbſtbewußtſein und in einem Zuſtand, welcher dem Zuſtand jener Thiere gleicht, denen Flourens die Gehirnhemiſphären weggeſchnitten hatte. Beim Erwachen findet ſich die Seele genau da wieder, wo ſie ſich beim Einſchlafen vergeſſen hatte; die lange Zwiſchenzeit war für ſie nicht vorhanden, ſie befand ſich im Zuſtand eines geiſtigen Todes. Dieſes eigenthümliche Verhältniß iſt ſo in die Augen ſpringend, daß man von je Schlaf und Tod mit einander verglich und ſie Brüder nannte. Während der franzöſiſchen Revolution ließ der bekannte Chaumette die Jnſchrift an die Kirchhofsthüren ſetzen: „Der Tod iſt ein ewiger Schlaf.‟ Andreä, der Ver- faſſer einer alten descriptio reipublicae christianopo- litanae aus dem Jahr 1619, ſagt: „Dieſe eine Republik kennt den Tod nicht, und doch iſt er bei ihr in aller Vertraulichkeit, aber ſie nennen ihn Schlaf.‟ Jm Moment des Einſchlafens beſchleicht uns das unheimliche Gefühl der bevorſtehenden geiſtigen Vernichtung und der Unwiſſenheit darüber, ob ſie zeitlich oder ewig ſein werde. Mit ſchönen Worten ſchildert dies Gefühl der Dichter:

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/218>, abgerufen am 21.11.2024.