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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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hang solcher Vorgänge zu erklären und auch nur eine
gegründete Vermuthung darüber auszusprechen, wo
und wie die Seele in solchen Zeiträumen sich verhalten
habe. Jn den Dachrinnen unserer Wohnhäuser lebt ein
Jnfusorium, welches mit dem Ablauf des Wassers ver-
trocknet und aufhört zu leben. Dieser scheinbare Tod
dauert so lange, bis ein neuer Regen dasselbe Thierchen
zu einem abermaligen Lebenscyclus erweckt, und so fort.
Zeigt sich in solchen Beispielen die Seele nicht recht deutlich
als ein stofflicher Effekt? -- Nicht minder müssen wir uns
gegen diejenige Anschauungsweise erklären, welche, von der
persönlichen Seele abstrahirend, eine allgemeine gei-
stige Materie,
eine Grundseele annehmen zu dürfen
glaubt, aus welcher die einzelnen Seelen bei ihrer Ent-
stehung ausströmen und in welche sie bei Vernichtung
ihres materiellen Substrats wieder zurückkehren sollen.
Solche Vorstellungen sind ebenso hypothetisch, als nutz-
los. Die Annahme einer solchen geistigen Materie halten
wir überdem für einen Widersinn, weil Geist und Materie,
wenn auch unzertrennlich verbunden, doch begrifflich ein-
ander entgegengesetzt sind, und weil wir für den Begriff
"Geist", "Kraft", "Eigenschaft" an sich gerade das
Nichtstoffliche, das Stofflose als charakteristisch anzusehen
genöthigt sind. Die Kraft kann nur sichtbar, überhaupt
effektiv werden am Stoff und durch den Stoff; sie
würde ohne ihn nicht sein; aber sie ist darum nicht

hang ſolcher Vorgänge zu erklären und auch nur eine
gegründete Vermuthung darüber auszuſprechen, wo
und wie die Seele in ſolchen Zeiträumen ſich verhalten
habe. Jn den Dachrinnen unſerer Wohnhäuſer lebt ein
Jnfuſorium, welches mit dem Ablauf des Waſſers ver-
trocknet und aufhört zu leben. Dieſer ſcheinbare Tod
dauert ſo lange, bis ein neuer Regen daſſelbe Thierchen
zu einem abermaligen Lebenscyclus erweckt, und ſo fort.
Zeigt ſich in ſolchen Beiſpielen die Seele nicht recht deutlich
als ein ſtofflicher Effekt? — Nicht minder müſſen wir uns
gegen diejenige Anſchauungsweiſe erklären, welche, von der
perſönlichen Seele abſtrahirend, eine allgemeine gei-
ſtige Materie,
eine Grundſeele annehmen zu dürfen
glaubt, aus welcher die einzelnen Seelen bei ihrer Ent-
ſtehung ausſtrömen und in welche ſie bei Vernichtung
ihres materiellen Subſtrats wieder zurückkehren ſollen.
Solche Vorſtellungen ſind ebenſo hypothetiſch, als nutz-
los. Die Annahme einer ſolchen geiſtigen Materie halten
wir überdem für einen Widerſinn, weil Geiſt und Materie,
wenn auch unzertrennlich verbunden, doch begrifflich ein-
ander entgegengeſetzt ſind, und weil wir für den Begriff
„Geiſt‟, „Kraft‟, „Eigenſchaft‟ an ſich gerade das
Nichtſtoffliche, das Stoffloſe als charakteriſtiſch anzuſehen
genöthigt ſind. Die Kraft kann nur ſichtbar, überhaupt
effektiv werden am Stoff und durch den Stoff; ſie
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[201/0221] hang ſolcher Vorgänge zu erklären und auch nur eine gegründete Vermuthung darüber auszuſprechen, wo und wie die Seele in ſolchen Zeiträumen ſich verhalten habe. Jn den Dachrinnen unſerer Wohnhäuſer lebt ein Jnfuſorium, welches mit dem Ablauf des Waſſers ver- trocknet und aufhört zu leben. Dieſer ſcheinbare Tod dauert ſo lange, bis ein neuer Regen daſſelbe Thierchen zu einem abermaligen Lebenscyclus erweckt, und ſo fort. Zeigt ſich in ſolchen Beiſpielen die Seele nicht recht deutlich als ein ſtofflicher Effekt? — Nicht minder müſſen wir uns gegen diejenige Anſchauungsweiſe erklären, welche, von der perſönlichen Seele abſtrahirend, eine allgemeine gei- ſtige Materie, eine Grundſeele annehmen zu dürfen glaubt, aus welcher die einzelnen Seelen bei ihrer Ent- ſtehung ausſtrömen und in welche ſie bei Vernichtung ihres materiellen Subſtrats wieder zurückkehren ſollen. Solche Vorſtellungen ſind ebenſo hypothetiſch, als nutz- los. Die Annahme einer ſolchen geiſtigen Materie halten wir überdem für einen Widerſinn, weil Geiſt und Materie, wenn auch unzertrennlich verbunden, doch begrifflich ein- ander entgegengeſetzt ſind, und weil wir für den Begriff „Geiſt‟, „Kraft‟, „Eigenſchaft‟ an ſich gerade das Nichtſtoffliche, das Stoffloſe als charakteriſtiſch anzuſehen genöthigt ſind. Die Kraft kann nur ſichtbar, überhaupt effektiv werden am Stoff und durch den Stoff; ſie würde ohne ihn nicht ſein; aber ſie iſt darum nicht

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/221>, abgerufen am 21.11.2024.