herab, die nicht hoffähig sind, wie sie." Wie solche religiöse Vorstellungen und Lehren, welche gerade dieses Moment stets und vorzugsweise betont haben, dazu ge- dient haben sollen, das Menschengeschlecht geistig und sittlich zu erziehen und heranzubilden -- ist uns jeder- zeit unbegreiflich erschienen, und wir möchten eher suppo- niren, daß diese Entwicklung nicht wegen, sondern trotz jener Lehren stattgefunden habe. Daß überhaupt das Menschengeschlecht in den ewigen entsetzlichen Greueln religiöser Verfolgungen nicht untergegangen ist, beweist nur für die unendliche Zähigkeit der menschlichen Natur, welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnste Phantasie ihr von vornherein zutrauen würde. -- Jm Gegensatz zu dieser ganzen externen Moral behauptet eine zweite moralische Richtung oder Schule, es solle das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, sondern um seiner selbst willen, es solle geübt werden, weil es eben gut sei. Glaubten wir das Recht zu haben, die erste Ansicht, welche das Gute um eines äußeren himm- lischen Antriebs willen thut, als eine unmoralische zu bezeichnen, so glauben wir andererseits nicht zu viel zu sagen, wenn wir die zweite eine phantastische nennen. Vor Allem sind die allgemeinen moralischen Begriffe bis zu einem solchen Grade relativ, einander widersprechend, von äußeren Verhältnissen oder individueller Anschauung abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erschei-
herab, die nicht hoffähig ſind, wie ſie.‟ Wie ſolche religiöſe Vorſtellungen und Lehren, welche gerade dieſes Moment ſtets und vorzugsweiſe betont haben, dazu ge- dient haben ſollen, das Menſchengeſchlecht geiſtig und ſittlich zu erziehen und heranzubilden — iſt uns jeder- zeit unbegreiflich erſchienen, und wir möchten eher ſuppo- niren, daß dieſe Entwicklung nicht wegen, ſondern trotz jener Lehren ſtattgefunden habe. Daß überhaupt das Menſchengeſchlecht in den ewigen entſetzlichen Greueln religiöſer Verfolgungen nicht untergegangen iſt, beweiſt nur für die unendliche Zähigkeit der menſchlichen Natur, welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnſte Phantaſie ihr von vornherein zutrauen würde. — Jm Gegenſatz zu dieſer ganzen externen Moral behauptet eine zweite moraliſche Richtung oder Schule, es ſolle das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, ſondern um ſeiner ſelbſt willen, es ſolle geübt werden, weil es eben gut ſei. Glaubten wir das Recht zu haben, die erſte Anſicht, welche das Gute um eines äußeren himm- liſchen Antriebs willen thut, als eine unmoraliſche zu bezeichnen, ſo glauben wir andererſeits nicht zu viel zu ſagen, wenn wir die zweite eine phantaſtiſche nennen. Vor Allem ſind die allgemeinen moraliſchen Begriffe bis zu einem ſolchen Grade relativ, einander widerſprechend, von äußeren Verhältniſſen oder individueller Anſchauung abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erſchei-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0264"n="244"/>
herab, die nicht hoffähig ſind, wie ſie.‟ Wie ſolche<lb/>
religiöſe Vorſtellungen und Lehren, welche gerade dieſes<lb/>
Moment ſtets und vorzugsweiſe betont haben, dazu ge-<lb/>
dient haben ſollen, das Menſchengeſchlecht geiſtig und<lb/>ſittlich zu erziehen und heranzubilden — iſt uns jeder-<lb/>
zeit unbegreiflich erſchienen, und wir möchten eher ſuppo-<lb/>
niren, daß dieſe Entwicklung nicht <hirendition="#g">wegen,</hi>ſondern <hirendition="#g">trotz</hi><lb/>
jener Lehren ſtattgefunden habe. Daß überhaupt das<lb/>
Menſchengeſchlecht in den ewigen entſetzlichen Greueln<lb/>
religiöſer Verfolgungen nicht untergegangen iſt, beweiſt<lb/>
nur für die unendliche Zähigkeit der menſchlichen Natur,<lb/>
welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnſte<lb/>
Phantaſie ihr von vornherein zutrauen würde. — Jm<lb/>
Gegenſatz zu dieſer ganzen externen Moral behauptet<lb/>
eine zweite moraliſche Richtung oder Schule, es ſolle<lb/>
das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, ſondern<lb/><hirendition="#g">um ſeiner ſelbſt willen,</hi> es ſolle geübt werden, weil<lb/>
es eben <hirendition="#g">gut</hi>ſei. Glaubten wir das Recht zu haben, die<lb/>
erſte Anſicht, welche das Gute um eines äußeren himm-<lb/>
liſchen Antriebs willen thut, als eine <hirendition="#g">unmoraliſche</hi> zu<lb/>
bezeichnen, ſo glauben wir andererſeits nicht zu viel zu<lb/>ſagen, wenn wir die zweite eine <hirendition="#g">phantaſtiſche</hi> nennen.<lb/>
Vor Allem ſind die allgemeinen moraliſchen Begriffe bis<lb/>
zu einem ſolchen Grade relativ, einander widerſprechend,<lb/>
von äußeren Verhältniſſen oder individueller Anſchauung<lb/>
abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erſchei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[244/0264]
herab, die nicht hoffähig ſind, wie ſie.‟ Wie ſolche
religiöſe Vorſtellungen und Lehren, welche gerade dieſes
Moment ſtets und vorzugsweiſe betont haben, dazu ge-
dient haben ſollen, das Menſchengeſchlecht geiſtig und
ſittlich zu erziehen und heranzubilden — iſt uns jeder-
zeit unbegreiflich erſchienen, und wir möchten eher ſuppo-
niren, daß dieſe Entwicklung nicht wegen, ſondern trotz
jener Lehren ſtattgefunden habe. Daß überhaupt das
Menſchengeſchlecht in den ewigen entſetzlichen Greueln
religiöſer Verfolgungen nicht untergegangen iſt, beweiſt
nur für die unendliche Zähigkeit der menſchlichen Natur,
welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnſte
Phantaſie ihr von vornherein zutrauen würde. — Jm
Gegenſatz zu dieſer ganzen externen Moral behauptet
eine zweite moraliſche Richtung oder Schule, es ſolle
das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, ſondern
um ſeiner ſelbſt willen, es ſolle geübt werden, weil
es eben gut ſei. Glaubten wir das Recht zu haben, die
erſte Anſicht, welche das Gute um eines äußeren himm-
liſchen Antriebs willen thut, als eine unmoraliſche zu
bezeichnen, ſo glauben wir andererſeits nicht zu viel zu
ſagen, wenn wir die zweite eine phantaſtiſche nennen.
Vor Allem ſind die allgemeinen moraliſchen Begriffe bis
zu einem ſolchen Grade relativ, einander widerſprechend,
von äußeren Verhältniſſen oder individueller Anſchauung
abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erſchei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/264>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.