Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

herab, die nicht hoffähig sind, wie sie." Wie solche
religiöse Vorstellungen und Lehren, welche gerade dieses
Moment stets und vorzugsweise betont haben, dazu ge-
dient haben sollen, das Menschengeschlecht geistig und
sittlich zu erziehen und heranzubilden -- ist uns jeder-
zeit unbegreiflich erschienen, und wir möchten eher suppo-
niren, daß diese Entwicklung nicht wegen, sondern trotz
jener Lehren stattgefunden habe. Daß überhaupt das
Menschengeschlecht in den ewigen entsetzlichen Greueln
religiöser Verfolgungen nicht untergegangen ist, beweist
nur für die unendliche Zähigkeit der menschlichen Natur,
welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnste
Phantasie ihr von vornherein zutrauen würde. -- Jm
Gegensatz zu dieser ganzen externen Moral behauptet
eine zweite moralische Richtung oder Schule, es solle
das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, sondern
um seiner selbst willen, es solle geübt werden, weil
es eben gut sei. Glaubten wir das Recht zu haben, die
erste Ansicht, welche das Gute um eines äußeren himm-
lischen Antriebs willen thut, als eine unmoralische zu
bezeichnen, so glauben wir andererseits nicht zu viel zu
sagen, wenn wir die zweite eine phantastische nennen.
Vor Allem sind die allgemeinen moralischen Begriffe bis
zu einem solchen Grade relativ, einander widersprechend,
von äußeren Verhältnissen oder individueller Anschauung
abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erschei-

herab, die nicht hoffähig ſind, wie ſie.‟ Wie ſolche
religiöſe Vorſtellungen und Lehren, welche gerade dieſes
Moment ſtets und vorzugsweiſe betont haben, dazu ge-
dient haben ſollen, das Menſchengeſchlecht geiſtig und
ſittlich zu erziehen und heranzubilden — iſt uns jeder-
zeit unbegreiflich erſchienen, und wir möchten eher ſuppo-
niren, daß dieſe Entwicklung nicht wegen, ſondern trotz
jener Lehren ſtattgefunden habe. Daß überhaupt das
Menſchengeſchlecht in den ewigen entſetzlichen Greueln
religiöſer Verfolgungen nicht untergegangen iſt, beweiſt
nur für die unendliche Zähigkeit der menſchlichen Natur,
welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnſte
Phantaſie ihr von vornherein zutrauen würde. — Jm
Gegenſatz zu dieſer ganzen externen Moral behauptet
eine zweite moraliſche Richtung oder Schule, es ſolle
das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, ſondern
um ſeiner ſelbſt willen, es ſolle geübt werden, weil
es eben gut ſei. Glaubten wir das Recht zu haben, die
erſte Anſicht, welche das Gute um eines äußeren himm-
liſchen Antriebs willen thut, als eine unmoraliſche zu
bezeichnen, ſo glauben wir andererſeits nicht zu viel zu
ſagen, wenn wir die zweite eine phantaſtiſche nennen.
Vor Allem ſind die allgemeinen moraliſchen Begriffe bis
zu einem ſolchen Grade relativ, einander widerſprechend,
von äußeren Verhältniſſen oder individueller Anſchauung
abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erſchei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0264" n="244"/>
herab, die nicht hoffähig &#x017F;ind, wie &#x017F;ie.&#x201F; Wie &#x017F;olche<lb/>
religiö&#x017F;e Vor&#x017F;tellungen und Lehren, welche gerade die&#x017F;es<lb/>
Moment &#x017F;tets und vorzugswei&#x017F;e betont haben, dazu ge-<lb/>
dient haben &#x017F;ollen, das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht gei&#x017F;tig und<lb/>
&#x017F;ittlich zu erziehen und heranzubilden &#x2014; i&#x017F;t uns jeder-<lb/>
zeit unbegreiflich er&#x017F;chienen, und wir möchten eher &#x017F;uppo-<lb/>
niren, daß die&#x017F;e Entwicklung nicht <hi rendition="#g">wegen,</hi> &#x017F;ondern <hi rendition="#g">trotz</hi><lb/>
jener Lehren &#x017F;tattgefunden habe. Daß überhaupt das<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht in den ewigen ent&#x017F;etzlichen Greueln<lb/>
religiö&#x017F;er Verfolgungen nicht untergegangen i&#x017F;t, bewei&#x017F;t<lb/>
nur für die unendliche Zähigkeit der men&#x017F;chlichen Natur,<lb/>
welche in der That mehr ertragen kann, als die kühn&#x017F;te<lb/>
Phanta&#x017F;ie ihr von vornherein zutrauen würde. &#x2014; Jm<lb/>
Gegen&#x017F;atz zu die&#x017F;er ganzen externen Moral behauptet<lb/>
eine zweite morali&#x017F;che Richtung oder Schule, es &#x017F;olle<lb/>
das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, &#x017F;ondern<lb/><hi rendition="#g">um &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen,</hi> es &#x017F;olle geübt werden, weil<lb/>
es eben <hi rendition="#g">gut</hi> &#x017F;ei. Glaubten wir das Recht zu haben, die<lb/>
er&#x017F;te An&#x017F;icht, welche das Gute um eines äußeren himm-<lb/>
li&#x017F;chen Antriebs willen thut, als eine <hi rendition="#g">unmorali&#x017F;che</hi> zu<lb/>
bezeichnen, &#x017F;o glauben wir anderer&#x017F;eits nicht zu viel zu<lb/>
&#x017F;agen, wenn wir die zweite eine <hi rendition="#g">phanta&#x017F;ti&#x017F;che</hi> nennen.<lb/>
Vor Allem &#x017F;ind die allgemeinen morali&#x017F;chen Begriffe bis<lb/>
zu einem &#x017F;olchen Grade relativ, einander wider&#x017F;prechend,<lb/>
von äußeren Verhältni&#x017F;&#x017F;en oder individueller An&#x017F;chauung<lb/>
abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit er&#x017F;chei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0264] herab, die nicht hoffähig ſind, wie ſie.‟ Wie ſolche religiöſe Vorſtellungen und Lehren, welche gerade dieſes Moment ſtets und vorzugsweiſe betont haben, dazu ge- dient haben ſollen, das Menſchengeſchlecht geiſtig und ſittlich zu erziehen und heranzubilden — iſt uns jeder- zeit unbegreiflich erſchienen, und wir möchten eher ſuppo- niren, daß dieſe Entwicklung nicht wegen, ſondern trotz jener Lehren ſtattgefunden habe. Daß überhaupt das Menſchengeſchlecht in den ewigen entſetzlichen Greueln religiöſer Verfolgungen nicht untergegangen iſt, beweiſt nur für die unendliche Zähigkeit der menſchlichen Natur, welche in der That mehr ertragen kann, als die kühnſte Phantaſie ihr von vornherein zutrauen würde. — Jm Gegenſatz zu dieſer ganzen externen Moral behauptet eine zweite moraliſche Richtung oder Schule, es ſolle das Gute nicht wegen äußerer Beweggründe, ſondern um ſeiner ſelbſt willen, es ſolle geübt werden, weil es eben gut ſei. Glaubten wir das Recht zu haben, die erſte Anſicht, welche das Gute um eines äußeren himm- liſchen Antriebs willen thut, als eine unmoraliſche zu bezeichnen, ſo glauben wir andererſeits nicht zu viel zu ſagen, wenn wir die zweite eine phantaſtiſche nennen. Vor Allem ſind die allgemeinen moraliſchen Begriffe bis zu einem ſolchen Grade relativ, einander widerſprechend, von äußeren Verhältniſſen oder individueller Anſchauung abhängig, daß es geradezu als eine Unmöglichkeit erſchei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/264
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/264>, abgerufen am 21.11.2024.