welcher Gebildete, namentlich aber welcher mit den Er- werbungen der Naturwissenschaften auch nur oberflächlich Vertraute wollte an dieser Wahrheit zweifeln? Daß aber eine Kraft -- um einmal diesen Ausdruck in ab- stracto zu gebrauchen -- nur dann eine Kraft sein, nur dann existiren kann, wenn und so lange sie sich in Thätigkeit befindet -- dürfte nicht minder klar sein. Wollte man sich also eine Schöpferkraft, eine absolute Potenz -- einerlei welchen Namen man ihr gibt -- als die Ursache der Welt denken, so müßte man, den Be- griff der Zeit auf sie anwendend, von ihr sagen, daß sie weder vor noch nach der Schöpfung sein konnte. Vorher konnte sie nicht sein, da sich der Begriff einer solchen Kraft mit der Jdee des Nichts oder des Un- thätigseins nicht vertragen kann. Eine Schöpferkraft konnte nicht sein, ohne zu schaffen; man müßte sich denn vorstellen, sie habe sich in vollkommener Ruhe und Träg- heit dem form- und bewegungslosen Stoff gegenüber eine Zeitlang unthätig verhalten -- eine Vorstellung, deren Unmöglichkeit wir bereits oben nachgewiesen zu haben glauben. Eine ruhende, unthätige Schöpferkraft würde eine ebenso leere und haltlose Abstraction sein, als die einer Kraft ohne Stoff überhaupt. Nachher konnte oder kann sie nicht sein, da wiederum Ruhe und Thatenlosigkeit mit dem Begriffe einer solchen Kraft unverträglich sind und sie selber negiren würden. Die
welcher Gebildete, namentlich aber welcher mit den Er- werbungen der Naturwiſſenſchaften auch nur oberflächlich Vertraute wollte an dieſer Wahrheit zweifeln? Daß aber eine Kraft — um einmal dieſen Ausdruck in ab- stracto zu gebrauchen — nur dann eine Kraft ſein, nur dann exiſtiren kann, wenn und ſo lange ſie ſich in Thätigkeit befindet — dürfte nicht minder klar ſein. Wollte man ſich alſo eine Schöpferkraft, eine abſolute Potenz — einerlei welchen Namen man ihr gibt — als die Urſache der Welt denken, ſo müßte man, den Be- griff der Zeit auf ſie anwendend, von ihr ſagen, daß ſie weder vor noch nach der Schöpfung ſein konnte. Vorher konnte ſie nicht ſein, da ſich der Begriff einer ſolchen Kraft mit der Jdee des Nichts oder des Un- thätigſeins nicht vertragen kann. Eine Schöpferkraft konnte nicht ſein, ohne zu ſchaffen; man müßte ſich denn vorſtellen, ſie habe ſich in vollkommener Ruhe und Träg- heit dem form- und bewegungsloſen Stoff gegenüber eine Zeitlang unthätig verhalten — eine Vorſtellung, deren Unmöglichkeit wir bereits oben nachgewieſen zu haben glauben. Eine ruhende, unthätige Schöpferkraft würde eine ebenſo leere und haltloſe Abſtraction ſein, als die einer Kraft ohne Stoff überhaupt. Nachher konnte oder kann ſie nicht ſein, da wiederum Ruhe und Thatenloſigkeit mit dem Begriffe einer ſolchen Kraft unverträglich ſind und ſie ſelber negiren würden. Die
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welcher Gebildete, namentlich aber welcher mit den Er-
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Vertraute wollte an dieſer Wahrheit zweifeln? Daß
aber eine Kraft — um einmal dieſen Ausdruck in ab-
stracto zu gebrauchen — nur dann eine Kraft ſein, nur
dann exiſtiren kann, wenn und ſo lange ſie ſich in
Thätigkeit befindet — dürfte nicht minder klar ſein.
Wollte man ſich alſo eine Schöpferkraft, eine abſolute
Potenz — einerlei welchen Namen man ihr gibt — als
die Urſache der Welt denken, ſo müßte man, den Be-
griff der Zeit auf ſie anwendend, von ihr ſagen, daß
ſie weder vor noch nach der Schöpfung ſein konnte.
Vorher konnte ſie nicht ſein, da ſich der Begriff einer
ſolchen Kraft mit der Jdee des Nichts oder des Un-
thätigſeins nicht vertragen kann. Eine Schöpferkraft
konnte nicht ſein, ohne zu ſchaffen; man müßte ſich denn
vorſtellen, ſie habe ſich in vollkommener Ruhe und Träg-
heit dem form- und bewegungsloſen Stoff gegenüber
eine Zeitlang unthätig verhalten — eine Vorſtellung,
deren Unmöglichkeit wir bereits oben nachgewieſen zu
haben glauben. Eine ruhende, unthätige Schöpferkraft
würde eine ebenſo leere und haltloſe Abſtraction ſein,
als die einer Kraft ohne Stoff überhaupt. Nachher
konnte oder kann ſie nicht ſein, da wiederum Ruhe und
Thatenloſigkeit mit dem Begriffe einer ſolchen Kraft
unverträglich ſind und ſie ſelber negiren würden. Die
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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