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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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Uebernatürliches, als etwas vom Stoff Unabhängiges
wähnte, das Uebergewicht über seinen sündhaften Träger
zu geben. Der heilige Bernhard hatte, wie Feuerbach
erzählt, durch übertriebene Ascetik derart seinen Geschmack-
sinn verloren, daß er Schmeer für Butter, Oel für
Wasser trank, und Rostan berichtet, wie in vielen Klöstern
die Oberen ihren Mönchen jährlich mehrmals zur Ader
zu lassen gewohnt waren, um die ausbrechenden Leiden-
schaften derselben, welche der geistige Dienst allein nicht
zu unterdrücken im Stande war, niederzuhalten. Aber er
berichtet auch weiter, wie die beleidigte Natur sich manch-
mal rächte, und wie Empörungen in diesen lebendigen
Gräbern, Bedrohungen der Oberen mit Gift und Dolch
nichts Seltenes waren. Welche traurige und ekelhafte
Ascetik das elende Volk der Jndier noch heutzutage
an sich übt, ist aus Reisebeschreibungen hinlänglich be-
kannt. Zum Lohne dafür ist ihr herrliches Land eine
Beute und sie selbst sind Sclaven einer kleinen Schaar
von Ausländern.

Solche Verkehrtheiten sind glücklicherweise heutzutage
unter uns nur noch als Seltenheiten möglich. Eine
bessere Einsicht hat uns gelehrt, den Stoff an uns und
in uns zu ehren. Bilden und pflegen wir unsern Körper
nicht minder als unsern Geist und vergessen wir nicht,
daß Beide eins und unzertrennlich sind, und daß, was
wir dem einen thun, unmittelbar auch dem andern zu

Uebernatürliches, als etwas vom Stoff Unabhängiges
wähnte, das Uebergewicht über ſeinen ſündhaften Träger
zu geben. Der heilige Bernhard hatte, wie Feuerbach
erzählt, durch übertriebene Aſcetik derart ſeinen Geſchmack-
ſinn verloren, daß er Schmeer für Butter, Oel für
Waſſer trank, und Roſtan berichtet, wie in vielen Klöſtern
die Oberen ihren Mönchen jährlich mehrmals zur Ader
zu laſſen gewohnt waren, um die ausbrechenden Leiden-
ſchaften derſelben, welche der geiſtige Dienſt allein nicht
zu unterdrücken im Stande war, niederzuhalten. Aber er
berichtet auch weiter, wie die beleidigte Natur ſich manch-
mal rächte, und wie Empörungen in dieſen lebendigen
Gräbern, Bedrohungen der Oberen mit Gift und Dolch
nichts Seltenes waren. Welche traurige und ekelhafte
Aſcetik das elende Volk der Jndier noch heutzutage
an ſich übt, iſt aus Reiſebeſchreibungen hinlänglich be-
kannt. Zum Lohne dafür iſt ihr herrliches Land eine
Beute und ſie ſelbſt ſind Sclaven einer kleinen Schaar
von Ausländern.

Solche Verkehrtheiten ſind glücklicherweiſe heutzutage
unter uns nur noch als Seltenheiten möglich. Eine
beſſere Einſicht hat uns gelehrt, den Stoff an uns und
in uns zu ehren. Bilden und pflegen wir unſern Körper
nicht minder als unſern Geiſt und vergeſſen wir nicht,
daß Beide eins und unzertrennlich ſind, und daß, was
wir dem einen thun, unmittelbar auch dem andern zu

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[28/0048] Uebernatürliches, als etwas vom Stoff Unabhängiges wähnte, das Uebergewicht über ſeinen ſündhaften Träger zu geben. Der heilige Bernhard hatte, wie Feuerbach erzählt, durch übertriebene Aſcetik derart ſeinen Geſchmack- ſinn verloren, daß er Schmeer für Butter, Oel für Waſſer trank, und Roſtan berichtet, wie in vielen Klöſtern die Oberen ihren Mönchen jährlich mehrmals zur Ader zu laſſen gewohnt waren, um die ausbrechenden Leiden- ſchaften derſelben, welche der geiſtige Dienſt allein nicht zu unterdrücken im Stande war, niederzuhalten. Aber er berichtet auch weiter, wie die beleidigte Natur ſich manch- mal rächte, und wie Empörungen in dieſen lebendigen Gräbern, Bedrohungen der Oberen mit Gift und Dolch nichts Seltenes waren. Welche traurige und ekelhafte Aſcetik das elende Volk der Jndier noch heutzutage an ſich übt, iſt aus Reiſebeſchreibungen hinlänglich be- kannt. Zum Lohne dafür iſt ihr herrliches Land eine Beute und ſie ſelbſt ſind Sclaven einer kleinen Schaar von Ausländern. Solche Verkehrtheiten ſind glücklicherweiſe heutzutage unter uns nur noch als Seltenheiten möglich. Eine beſſere Einſicht hat uns gelehrt, den Stoff an uns und in uns zu ehren. Bilden und pflegen wir unſern Körper nicht minder als unſern Geiſt und vergeſſen wir nicht, daß Beide eins und unzertrennlich ſind, und daß, was wir dem einen thun, unmittelbar auch dem andern zu

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/48>, abgerufen am 21.11.2024.