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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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den Beweggründen dieses verhängnißvollen Schritts aufnehmen,
so können wir jetzt mit Sicherheit verneinen, daß ihn äußere
Umstände gelockt. Denn was er in Straßburg nur vor-
geahnt, stand in Gießen greifbar klar vor ihm: die revolu-
tionäre Partei hatte keine Macht, keine Mittel, keine Pläne;
Traum und Schaum waren ihre Bestrebungen, und wer ihr
seine Kraft weihte, weihte sie einer verlorenen Sache. Gerade
zu jener Zeit mußte dies selbst ein Phantast begreifen und
Büchner war wahrlich kein solcher! Oder hoffte er, daß
sich die Menge durch kühne Vorkämpfer denn doch werde mit
fortreißen lassen? Im Gegentheil! wie er von dem Muth
der Massen dachte, beweist eine Briefstelle vom November
1833 (S. 334) -- "die Leute gehen in's Feuer, wenn's
von einer brennenden Punschbowle kommt" -- der über-
müthigste Junker hätte kein schärferes Wort ersinnen können,
als dieser angehende Jünger der Revolution! Und so gibt
es nur eine Erklärung für Büchner's Handlungsweise, seinen
innern, seinen Gemüthszustand. Er war in Gießen
durch das Zusammenwirken jener traurigen Verhältnisse, welche
wir oben geschildert, so schwermüthig, so dumpf und hoff-
nungslos geworden, daß er Kampf und Gefahr suchte, um
sich selbst zu entrinnen. Was er brauchte, was er mit
brennender, selbstquälerischer Sehnsucht herbeiwünschte, war
eine Aufgabe, der er dienen, ein großer Zweck, dem er seine
Kraft widmen konnte. Ich gehe zu Grunde, mochte er sich
in jenen düsteren Tagen sagen, wohlan denn, so will ich,
statt an mir selbst, durch Andere zu Grunde gehen, und im
Kampfe für meine Ideale, im vergeblichen Kampfe für die
Freiheit meines Volkes. Ein krankhaftes Mittel, eine krank-
hafte Gemüthsstimmung zu überwinden -- anders wird man

den Beweggründen dieſes verhängnißvollen Schritts aufnehmen,
ſo können wir jetzt mit Sicherheit verneinen, daß ihn äußere
Umſtände gelockt. Denn was er in Straßburg nur vor-
geahnt, ſtand in Gießen greifbar klar vor ihm: die revolu-
tionäre Partei hatte keine Macht, keine Mittel, keine Pläne;
Traum und Schaum waren ihre Beſtrebungen, und wer ihr
ſeine Kraft weihte, weihte ſie einer verlorenen Sache. Gerade
zu jener Zeit mußte dies ſelbſt ein Phantaſt begreifen und
Büchner war wahrlich kein ſolcher! Oder hoffte er, daß
ſich die Menge durch kühne Vorkämpfer denn doch werde mit
fortreißen laſſen? Im Gegentheil! wie er von dem Muth
der Maſſen dachte, beweiſt eine Briefſtelle vom November
1833 (S. 334) — "die Leute gehen in's Feuer, wenn's
von einer brennenden Punſchbowle kommt" — der über-
müthigſte Junker hätte kein ſchärferes Wort erſinnen können,
als dieſer angehende Jünger der Revolution! Und ſo gibt
es nur eine Erklärung für Büchner's Handlungsweiſe, ſeinen
innern, ſeinen Gemüthszuſtand. Er war in Gießen
durch das Zuſammenwirken jener traurigen Verhältniſſe, welche
wir oben geſchildert, ſo ſchwermüthig, ſo dumpf und hoff-
nungslos geworden, daß er Kampf und Gefahr ſuchte, um
ſich ſelbſt zu entrinnen. Was er brauchte, was er mit
brennender, ſelbſtquäleriſcher Sehnſucht herbeiwünſchte, war
eine Aufgabe, der er dienen, ein großer Zweck, dem er ſeine
Kraft widmen konnte. Ich gehe zu Grunde, mochte er ſich
in jenen düſteren Tagen ſagen, wohlan denn, ſo will ich,
ſtatt an mir ſelbſt, durch Andere zu Grunde gehen, und im
Kampfe für meine Ideale, im vergeblichen Kampfe für die
Freiheit meines Volkes. Ein krankhaftes Mittel, eine krank-
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[LXXXVIII/0104] den Beweggründen dieſes verhängnißvollen Schritts aufnehmen, ſo können wir jetzt mit Sicherheit verneinen, daß ihn äußere Umſtände gelockt. Denn was er in Straßburg nur vor- geahnt, ſtand in Gießen greifbar klar vor ihm: die revolu- tionäre Partei hatte keine Macht, keine Mittel, keine Pläne; Traum und Schaum waren ihre Beſtrebungen, und wer ihr ſeine Kraft weihte, weihte ſie einer verlorenen Sache. Gerade zu jener Zeit mußte dies ſelbſt ein Phantaſt begreifen und Büchner war wahrlich kein ſolcher! Oder hoffte er, daß ſich die Menge durch kühne Vorkämpfer denn doch werde mit fortreißen laſſen? Im Gegentheil! wie er von dem Muth der Maſſen dachte, beweiſt eine Briefſtelle vom November 1833 (S. 334) — "die Leute gehen in's Feuer, wenn's von einer brennenden Punſchbowle kommt" — der über- müthigſte Junker hätte kein ſchärferes Wort erſinnen können, als dieſer angehende Jünger der Revolution! Und ſo gibt es nur eine Erklärung für Büchner's Handlungsweiſe, ſeinen innern, ſeinen Gemüthszuſtand. Er war in Gießen durch das Zuſammenwirken jener traurigen Verhältniſſe, welche wir oben geſchildert, ſo ſchwermüthig, ſo dumpf und hoff- nungslos geworden, daß er Kampf und Gefahr ſuchte, um ſich ſelbſt zu entrinnen. Was er brauchte, was er mit brennender, ſelbſtquäleriſcher Sehnſucht herbeiwünſchte, war eine Aufgabe, der er dienen, ein großer Zweck, dem er ſeine Kraft widmen konnte. Ich gehe zu Grunde, mochte er ſich in jenen düſteren Tagen ſagen, wohlan denn, ſo will ich, ſtatt an mir ſelbſt, durch Andere zu Grunde gehen, und im Kampfe für meine Ideale, im vergeblichen Kampfe für die Freiheit meines Volkes. Ein krankhaftes Mittel, eine krank- hafte Gemüthsſtimmung zu überwinden — anders wird man

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/104>, abgerufen am 21.11.2024.