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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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bei aufmerksamer Prüfung Büchners Handlungsweise nicht
zu erklären vermögen. Auch Dr. Ludwig Büchner, der
aus der Familien-Tradition schöpfte und sich mit den
Freunden seines Bruders über diesen Punkt besprach, ist
derselben Ueberzeugung -- "Georg stürzte sich", schreibt er,
"in die Politik, wie in einen Ausweg aus geistigen Nöthen
und Schmerzen". Der Kampf "in tyrannos" sollte ihm
gewähren, was ihm seine medizinischen, philosophischen und
geschichtlichen Studien versagt oder gar geraubt: Aufregung,
Anspannung und Bethätigung seiner Kraft. Jedes andere
Motiv, nach dem man ausspähen wollte, erweist sich bei
näherer Prüfung nicht stichhaltig. Was vielleicht bei einer
geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben
leichte Gelegenheit auch Verschwörer macht, genügt nicht
bei einem Menschen, wie Georg Büchner. Und ebensowenig
ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in
jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den hessischen
Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen gewesen wäre,
und der beste Beweis hiefür ist, daß Büchner sie binnen
kurzer Zeit sämmtlich dominirte! Nur ein Motiv wird man
daneben gelten lassen müssen: dieses active Eingreifen wider-
sprach wohl der Einsicht seines Verstandes, aber es entsprach
völlig den Empfindungen seines leidenschaftlichen Herzens.
Hier konnte sich sein Trotz gegen die plumpe Uebermacht
bethätigen, hier sein leidenschaftliches Mitleid mit den Be-
ladenen und Unterdrückten, hier sein großer, persönlicher
Muth.

"Ein krankhaftes Mittel, eine krankhafte Gemüths-
stimmung zu überwinden --" milder oder romantischer wird
man gleichwohl im Wesentlichen Büchner's Handlungsweise

bei aufmerkſamer Prüfung Büchners Handlungsweiſe nicht
zu erklären vermögen. Auch Dr. Ludwig Büchner, der
aus der Familien-Tradition ſchöpfte und ſich mit den
Freunden ſeines Bruders über dieſen Punkt beſprach, iſt
derſelben Ueberzeugung — "Georg ſtürzte ſich", ſchreibt er,
"in die Politik, wie in einen Ausweg aus geiſtigen Nöthen
und Schmerzen". Der Kampf "in tyrannos" ſollte ihm
gewähren, was ihm ſeine mediziniſchen, philoſophiſchen und
geſchichtlichen Studien verſagt oder gar geraubt: Aufregung,
Anſpannung und Bethätigung ſeiner Kraft. Jedes andere
Motiv, nach dem man ausſpähen wollte, erweiſt ſich bei
näherer Prüfung nicht ſtichhaltig. Was vielleicht bei einer
geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben
leichte Gelegenheit auch Verſchwörer macht, genügt nicht
bei einem Menſchen, wie Georg Büchner. Und ebenſowenig
ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in
jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den heſſiſchen
Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen geweſen wäre,
und der beſte Beweis hiefür iſt, daß Büchner ſie binnen
kurzer Zeit ſämmtlich dominirte! Nur ein Motiv wird man
daneben gelten laſſen müſſen: dieſes active Eingreifen wider-
ſprach wohl der Einſicht ſeines Verſtandes, aber es entſprach
völlig den Empfindungen ſeines leidenſchaftlichen Herzens.
Hier konnte ſich ſein Trotz gegen die plumpe Uebermacht
bethätigen, hier ſein leidenſchaftliches Mitleid mit den Be-
ladenen und Unterdrückten, hier ſein großer, perſönlicher
Muth.

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ſtimmung zu überwinden —" milder oder romantiſcher wird
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[LXXXIX/0105] bei aufmerkſamer Prüfung Büchners Handlungsweiſe nicht zu erklären vermögen. Auch Dr. Ludwig Büchner, der aus der Familien-Tradition ſchöpfte und ſich mit den Freunden ſeines Bruders über dieſen Punkt beſprach, iſt derſelben Ueberzeugung — "Georg ſtürzte ſich", ſchreibt er, "in die Politik, wie in einen Ausweg aus geiſtigen Nöthen und Schmerzen". Der Kampf "in tyrannos" ſollte ihm gewähren, was ihm ſeine mediziniſchen, philoſophiſchen und geſchichtlichen Studien verſagt oder gar geraubt: Aufregung, Anſpannung und Bethätigung ſeiner Kraft. Jedes andere Motiv, nach dem man ausſpähen wollte, erweiſt ſich bei näherer Prüfung nicht ſtichhaltig. Was vielleicht bei einer geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben leichte Gelegenheit auch Verſchwörer macht, genügt nicht bei einem Menſchen, wie Georg Büchner. Und ebenſowenig ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den heſſiſchen Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen geweſen wäre, und der beſte Beweis hiefür iſt, daß Büchner ſie binnen kurzer Zeit ſämmtlich dominirte! Nur ein Motiv wird man daneben gelten laſſen müſſen: dieſes active Eingreifen wider- ſprach wohl der Einſicht ſeines Verſtandes, aber es entſprach völlig den Empfindungen ſeines leidenſchaftlichen Herzens. Hier konnte ſich ſein Trotz gegen die plumpe Uebermacht bethätigen, hier ſein leidenſchaftliches Mitleid mit den Be- ladenen und Unterdrückten, hier ſein großer, perſönlicher Muth. "Ein krankhaftes Mittel, eine krankhafte Gemüths- ſtimmung zu überwinden —" milder oder romantiſcher wird man gleichwohl im Weſentlichen Büchner's Handlungsweiſe

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/105>, abgerufen am 24.11.2024.