bei aufmerksamer Prüfung Büchners Handlungsweise nicht zu erklären vermögen. Auch Dr. Ludwig Büchner, der aus der Familien-Tradition schöpfte und sich mit den Freunden seines Bruders über diesen Punkt besprach, ist derselben Ueberzeugung -- "Georg stürzte sich", schreibt er, "in die Politik, wie in einen Ausweg aus geistigen Nöthen und Schmerzen". Der Kampf "in tyrannos" sollte ihm gewähren, was ihm seine medizinischen, philosophischen und geschichtlichen Studien versagt oder gar geraubt: Aufregung, Anspannung und Bethätigung seiner Kraft. Jedes andere Motiv, nach dem man ausspähen wollte, erweist sich bei näherer Prüfung nicht stichhaltig. Was vielleicht bei einer geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben leichte Gelegenheit auch Verschwörer macht, genügt nicht bei einem Menschen, wie Georg Büchner. Und ebensowenig ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den hessischen Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen gewesen wäre, und der beste Beweis hiefür ist, daß Büchner sie binnen kurzer Zeit sämmtlich dominirte! Nur ein Motiv wird man daneben gelten lassen müssen: dieses active Eingreifen wider- sprach wohl der Einsicht seines Verstandes, aber es entsprach völlig den Empfindungen seines leidenschaftlichen Herzens. Hier konnte sich sein Trotz gegen die plumpe Uebermacht bethätigen, hier sein leidenschaftliches Mitleid mit den Be- ladenen und Unterdrückten, hier sein großer, persönlicher Muth.
"Ein krankhaftes Mittel, eine krankhafte Gemüths- stimmung zu überwinden --" milder oder romantischer wird man gleichwohl im Wesentlichen Büchner's Handlungsweise
bei aufmerkſamer Prüfung Büchners Handlungsweiſe nicht zu erklären vermögen. Auch Dr. Ludwig Büchner, der aus der Familien-Tradition ſchöpfte und ſich mit den Freunden ſeines Bruders über dieſen Punkt beſprach, iſt derſelben Ueberzeugung — "Georg ſtürzte ſich", ſchreibt er, "in die Politik, wie in einen Ausweg aus geiſtigen Nöthen und Schmerzen". Der Kampf "in tyrannos" ſollte ihm gewähren, was ihm ſeine mediziniſchen, philoſophiſchen und geſchichtlichen Studien verſagt oder gar geraubt: Aufregung, Anſpannung und Bethätigung ſeiner Kraft. Jedes andere Motiv, nach dem man ausſpähen wollte, erweiſt ſich bei näherer Prüfung nicht ſtichhaltig. Was vielleicht bei einer geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben leichte Gelegenheit auch Verſchwörer macht, genügt nicht bei einem Menſchen, wie Georg Büchner. Und ebenſowenig ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den heſſiſchen Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen geweſen wäre, und der beſte Beweis hiefür iſt, daß Büchner ſie binnen kurzer Zeit ſämmtlich dominirte! Nur ein Motiv wird man daneben gelten laſſen müſſen: dieſes active Eingreifen wider- ſprach wohl der Einſicht ſeines Verſtandes, aber es entſprach völlig den Empfindungen ſeines leidenſchaftlichen Herzens. Hier konnte ſich ſein Trotz gegen die plumpe Uebermacht bethätigen, hier ſein leidenſchaftliches Mitleid mit den Be- ladenen und Unterdrückten, hier ſein großer, perſönlicher Muth.
"Ein krankhaftes Mittel, eine krankhafte Gemüths- ſtimmung zu überwinden —" milder oder romantiſcher wird man gleichwohl im Weſentlichen Büchner's Handlungsweiſe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0105"n="LXXXIX"/>
bei aufmerkſamer Prüfung Büchners Handlungsweiſe nicht<lb/>
zu erklären vermögen. Auch <hirendition="#aq">Dr.</hi> Ludwig Büchner, der<lb/>
aus der Familien-Tradition ſchöpfte und ſich mit den<lb/>
Freunden ſeines Bruders über dieſen Punkt beſprach, iſt<lb/>
derſelben Ueberzeugung — "Georg ſtürzte ſich", ſchreibt er,<lb/>
"in die Politik, wie in einen Ausweg aus geiſtigen Nöthen<lb/>
und Schmerzen". Der Kampf <hirendition="#aq">"in tyrannos"</hi>ſollte ihm<lb/>
gewähren, was ihm ſeine mediziniſchen, philoſophiſchen und<lb/>
geſchichtlichen Studien verſagt oder gar geraubt: Aufregung,<lb/>
Anſpannung und Bethätigung ſeiner Kraft. Jedes andere<lb/>
Motiv, nach dem man ausſpähen wollte, erweiſt ſich bei<lb/>
näherer Prüfung nicht ſtichhaltig. Was vielleicht bei einer<lb/>
geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben<lb/>
leichte Gelegenheit auch Verſchwörer macht, genügt nicht<lb/>
bei einem Menſchen, wie Georg Büchner. Und ebenſowenig<lb/>
ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in<lb/>
jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den heſſiſchen<lb/>
Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen geweſen wäre,<lb/>
und der beſte Beweis hiefür iſt, daß Büchner ſie binnen<lb/>
kurzer Zeit ſämmtlich dominirte! Nur <hirendition="#g">ein</hi> Motiv wird man<lb/>
daneben gelten laſſen müſſen: dieſes active Eingreifen wider-<lb/>ſprach wohl der Einſicht ſeines Verſtandes, aber es entſprach<lb/>
völlig den Empfindungen ſeines leidenſchaftlichen Herzens.<lb/>
Hier konnte ſich ſein Trotz gegen die plumpe Uebermacht<lb/>
bethätigen, hier ſein leidenſchaftliches Mitleid mit den Be-<lb/>
ladenen und Unterdrückten, hier ſein großer, perſönlicher<lb/>
Muth.</p><lb/><p>"Ein krankhaftes Mittel, eine krankhafte Gemüths-<lb/>ſtimmung zu überwinden —" milder oder romantiſcher wird<lb/>
man gleichwohl im Weſentlichen Büchner's Handlungsweiſe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[LXXXIX/0105]
bei aufmerkſamer Prüfung Büchners Handlungsweiſe nicht
zu erklären vermögen. Auch Dr. Ludwig Büchner, der
aus der Familien-Tradition ſchöpfte und ſich mit den
Freunden ſeines Bruders über dieſen Punkt beſprach, iſt
derſelben Ueberzeugung — "Georg ſtürzte ſich", ſchreibt er,
"in die Politik, wie in einen Ausweg aus geiſtigen Nöthen
und Schmerzen". Der Kampf "in tyrannos" ſollte ihm
gewähren, was ihm ſeine mediziniſchen, philoſophiſchen und
geſchichtlichen Studien verſagt oder gar geraubt: Aufregung,
Anſpannung und Bethätigung ſeiner Kraft. Jedes andere
Motiv, nach dem man ausſpähen wollte, erweiſt ſich bei
näherer Prüfung nicht ſtichhaltig. Was vielleicht bei einer
geringeren Natur zur Erklärung ausreichen würde: daß eben
leichte Gelegenheit auch Verſchwörer macht, genügt nicht
bei einem Menſchen, wie Georg Büchner. Und ebenſowenig
ward er etwa durch den Einfluß überlegener Naturen in
jenes Treiben hineingezogen. Es gab unter den heſſiſchen
Demokraten keinen Mann, der ihm überlegen geweſen wäre,
und der beſte Beweis hiefür iſt, daß Büchner ſie binnen
kurzer Zeit ſämmtlich dominirte! Nur ein Motiv wird man
daneben gelten laſſen müſſen: dieſes active Eingreifen wider-
ſprach wohl der Einſicht ſeines Verſtandes, aber es entſprach
völlig den Empfindungen ſeines leidenſchaftlichen Herzens.
Hier konnte ſich ſein Trotz gegen die plumpe Uebermacht
bethätigen, hier ſein leidenſchaftliches Mitleid mit den Be-
ladenen und Unterdrückten, hier ſein großer, perſönlicher
Muth.
"Ein krankhaftes Mittel, eine krankhafte Gemüths-
ſtimmung zu überwinden —" milder oder romantiſcher wird
man gleichwohl im Weſentlichen Büchner's Handlungsweiſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/105>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.