selbst bei den nächsten Verwandten. Ich mag nicht hinter jedem Kusse die Kochtöpfe rasseln hören und bei den ver- schiedenen Tanten das Familienvatersgesicht ziehen." Ob ihm die letztere Bedingung zugehalten worden, wissen wir nicht, bezüglich der ersteren geschah ihm sein Wunsch. In den letzten Tagen des März 1834 reiste Büchner, ohne seine Familie vorher zu benachrichtigen, nach Straßburg und errang mühelos die Zustimmung der Eltern der Braut. Von hier aus schrieb er dann an seine Eltern und theilte den Erstaunten seine Verlobung als fait accompli mit. Auch sie weigerten ihre Einwilligung nicht, und Büchner kehrte in den ersten Apriltagen nach Darmstadt zurück, um da die Osterferien zuzubringen.
Hier, im elterlichen Hause, befiel ihn eine schwere Er- krankung, eine Hirnentzündung, vielleicht durch die Auf- regungen der letzten Tage hervorgerufen, vielleicht auch das endliche Heraustreten jenes Krankheitsstoffs, welcher sich in diesem unseligen Winter in ihm angesammelt. Jedenfalls überwand er die Krankheit mit Leichtigkeit und wurde darauf gesünder, als zuvor. Schon als Reconvalescent nutzte er seine Muße in eigenthümlicher Weise: er gründete unter seinen Darmstädter Freunden eine geheime Gesellschaft, nach dem Muster jener, welche er kurz vorher in Gießen organi- sirt. Dies lenkt uns zu seiner politischen Thätigkeit zurück.
... Unter den wenigen Menschen, mit denen Georg Büchner schon während der ersten Zeit seines Gießener Aufenthalts verkehrte, war auch ein curioser und abenteuer- licher Geselle, August Becker mit Namen, seines Zeichens Student der Theologie. Diese letztere Bezeichnung bezieht sich jedoch nur auf den zufälligen und rein äußerlichen Um-
ſelbſt bei den nächſten Verwandten. Ich mag nicht hinter jedem Kuſſe die Kochtöpfe raſſeln hören und bei den ver- ſchiedenen Tanten das Familienvatersgeſicht ziehen." Ob ihm die letztere Bedingung zugehalten worden, wiſſen wir nicht, bezüglich der erſteren geſchah ihm ſein Wunſch. In den letzten Tagen des März 1834 reiſte Büchner, ohne ſeine Familie vorher zu benachrichtigen, nach Straßburg und errang mühelos die Zuſtimmung der Eltern der Braut. Von hier aus ſchrieb er dann an ſeine Eltern und theilte den Erſtaunten ſeine Verlobung als fait accompli mit. Auch ſie weigerten ihre Einwilligung nicht, und Büchner kehrte in den erſten Apriltagen nach Darmſtadt zurück, um da die Oſterferien zuzubringen.
Hier, im elterlichen Hauſe, befiel ihn eine ſchwere Er- krankung, eine Hirnentzündung, vielleicht durch die Auf- regungen der letzten Tage hervorgerufen, vielleicht auch das endliche Heraustreten jenes Krankheitsſtoffs, welcher ſich in dieſem unſeligen Winter in ihm angeſammelt. Jedenfalls überwand er die Krankheit mit Leichtigkeit und wurde darauf geſünder, als zuvor. Schon als Reconvalescent nutzte er ſeine Muße in eigenthümlicher Weiſe: er gründete unter ſeinen Darmſtädter Freunden eine geheime Geſellſchaft, nach dem Muſter jener, welche er kurz vorher in Gießen organi- ſirt. Dies lenkt uns zu ſeiner politiſchen Thätigkeit zurück.
... Unter den wenigen Menſchen, mit denen Georg Büchner ſchon während der erſten Zeit ſeines Gießener Aufenthalts verkehrte, war auch ein curioſer und abenteuer- licher Geſelle, Auguſt Becker mit Namen, ſeines Zeichens Student der Theologie. Dieſe letztere Bezeichnung bezieht ſich jedoch nur auf den zufälligen und rein äußerlichen Um-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0108"n="XCII"/>ſelbſt bei den nächſten Verwandten. Ich mag nicht hinter<lb/>
jedem Kuſſe die Kochtöpfe raſſeln hören und bei den ver-<lb/>ſchiedenen Tanten das Familienvatersgeſicht ziehen." Ob<lb/>
ihm die letztere Bedingung zugehalten worden, wiſſen wir<lb/>
nicht, bezüglich der erſteren geſchah ihm ſein Wunſch. In<lb/>
den letzten Tagen des März 1834 reiſte <hirendition="#g">Büchner</hi>, ohne<lb/>ſeine Familie vorher zu benachrichtigen, nach Straßburg und<lb/>
errang mühelos die Zuſtimmung der Eltern der Braut.<lb/>
Von hier aus ſchrieb er dann an ſeine Eltern und theilte<lb/>
den Erſtaunten ſeine Verlobung als <hirendition="#aq">fait accompli</hi> mit. Auch<lb/>ſie weigerten ihre Einwilligung nicht, und <hirendition="#g">Büchner</hi> kehrte<lb/>
in den erſten Apriltagen nach Darmſtadt zurück, um da die<lb/>
Oſterferien zuzubringen.</p><lb/><p>Hier, im elterlichen Hauſe, befiel ihn eine ſchwere Er-<lb/>
krankung, eine Hirnentzündung, vielleicht durch die Auf-<lb/>
regungen der letzten Tage hervorgerufen, vielleicht auch das<lb/>
endliche Heraustreten jenes Krankheitsſtoffs, welcher ſich in<lb/>
dieſem unſeligen Winter in ihm angeſammelt. Jedenfalls<lb/>
überwand er die Krankheit mit Leichtigkeit und wurde darauf<lb/>
geſünder, als zuvor. Schon als Reconvalescent nutzte er<lb/>ſeine Muße in eigenthümlicher Weiſe: er gründete unter<lb/>ſeinen Darmſtädter Freunden eine geheime Geſellſchaft, nach<lb/>
dem Muſter jener, welche er kurz vorher in Gießen organi-<lb/>ſirt. Dies lenkt uns zu ſeiner politiſchen Thätigkeit zurück.</p><lb/><p>... Unter den wenigen Menſchen, mit denen Georg<lb/>
Büchner ſchon während der erſten Zeit ſeines Gießener<lb/>
Aufenthalts verkehrte, war auch ein curioſer und abenteuer-<lb/>
licher Geſelle, <hirendition="#g">Auguſt Becker</hi> mit Namen, ſeines Zeichens<lb/>
Student der Theologie. Dieſe letztere Bezeichnung bezieht<lb/>ſich jedoch nur auf den zufälligen und rein äußerlichen Um-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[XCII/0108]
ſelbſt bei den nächſten Verwandten. Ich mag nicht hinter
jedem Kuſſe die Kochtöpfe raſſeln hören und bei den ver-
ſchiedenen Tanten das Familienvatersgeſicht ziehen." Ob
ihm die letztere Bedingung zugehalten worden, wiſſen wir
nicht, bezüglich der erſteren geſchah ihm ſein Wunſch. In
den letzten Tagen des März 1834 reiſte Büchner, ohne
ſeine Familie vorher zu benachrichtigen, nach Straßburg und
errang mühelos die Zuſtimmung der Eltern der Braut.
Von hier aus ſchrieb er dann an ſeine Eltern und theilte
den Erſtaunten ſeine Verlobung als fait accompli mit. Auch
ſie weigerten ihre Einwilligung nicht, und Büchner kehrte
in den erſten Apriltagen nach Darmſtadt zurück, um da die
Oſterferien zuzubringen.
Hier, im elterlichen Hauſe, befiel ihn eine ſchwere Er-
krankung, eine Hirnentzündung, vielleicht durch die Auf-
regungen der letzten Tage hervorgerufen, vielleicht auch das
endliche Heraustreten jenes Krankheitsſtoffs, welcher ſich in
dieſem unſeligen Winter in ihm angeſammelt. Jedenfalls
überwand er die Krankheit mit Leichtigkeit und wurde darauf
geſünder, als zuvor. Schon als Reconvalescent nutzte er
ſeine Muße in eigenthümlicher Weiſe: er gründete unter
ſeinen Darmſtädter Freunden eine geheime Geſellſchaft, nach
dem Muſter jener, welche er kurz vorher in Gießen organi-
ſirt. Dies lenkt uns zu ſeiner politiſchen Thätigkeit zurück.
... Unter den wenigen Menſchen, mit denen Georg
Büchner ſchon während der erſten Zeit ſeines Gießener
Aufenthalts verkehrte, war auch ein curioſer und abenteuer-
licher Geſelle, Auguſt Becker mit Namen, ſeines Zeichens
Student der Theologie. Dieſe letztere Bezeichnung bezieht
ſich jedoch nur auf den zufälligen und rein äußerlichen Um-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XCII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/108>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.