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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Weidig vielleicht just das Schärfste gestrichen haben, gleich-
wohl ist der "Hessische Landbote" ein treuer Spiegel der
Gesinnungen seines ursprünglichen Verfassers und war
trotz aller Veränderungen doch einzig jener Tendenz zu
dienen geeignet, welche Büchner im Gegensatz zu Weidig
verfolgte.

Diese Tendenz ist -- wir wollen das bezeichnende Wort
nicht missen und werden einem naheliegendem Mißverständniß
später vorbeugen -- eine social-demokratische. "Steigt
zu den Armen herab, redet zu ihnen in ihrer Sprache von
ihren materiellen Interessen --" in Ausführung dieses Ge-
dankens ist das Pamphlet geschrieben. Noch präciser drückt
sich Büchner's Absicht in seinen eigenen, von Becker über-
lieferten Worten aus: "Man muß den Bauern zeigen und
vorrechnen, daß sie einem Staate angehören, dessen Lasten
sie größtentheils tragen müssen, während Andere den Vortheil
davon beziehen!" Damit ist Inhalt und Aufbau der Flug-
schrift auf das Genaueste charakterisirt. Sie beginnt --
wir sehen hier selbstverständlich von Weidig's Zusätzen völlig
ab -- mit einer kurzen, drastischen Vergleichung zwischen
dem Leben der Reichen und der Armen, ersteres "ein langer
Sonntag", letzteres "ein langer Werktag". Dann werden
die Steuern, sechs Millionen Gulden, detaillirt aufgerechnet
und mit der relativ geringen Zahl der Bewohner, 700,000
Seelen, in wirksamen Gegensatz gebracht. Diese Steuern
nun erhebe man "für den Staat". Was aber sei der
"Staat"? Nicht etwa Selbstzweck, sondern eine Vereinigung
Aller zu Aller Wohl. Zu Aller Wohl müßten also auch
die Steuern verwendet werden, was aber nicht geschehe.
Der Beweis hiefür wird in der Weise erbracht, daß nun

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Weidig vielleicht juſt das Schärfſte geſtrichen haben, gleich-
wohl iſt der "Heſſiſche Landbote" ein treuer Spiegel der
Geſinnungen ſeines urſprünglichen Verfaſſers und war
trotz aller Veränderungen doch einzig jener Tendenz zu
dienen geeignet, welche Büchner im Gegenſatz zu Weidig
verfolgte.

Dieſe Tendenz iſt — wir wollen das bezeichnende Wort
nicht miſſen und werden einem naheliegendem Mißverſtändniß
ſpäter vorbeugen — eine ſocial-demokratiſche. "Steigt
zu den Armen herab, redet zu ihnen in ihrer Sprache von
ihren materiellen Intereſſen —" in Ausführung dieſes Ge-
dankens iſt das Pamphlet geſchrieben. Noch präciſer drückt
ſich Büchner's Abſicht in ſeinen eigenen, von Becker über-
lieferten Worten aus: "Man muß den Bauern zeigen und
vorrechnen, daß ſie einem Staate angehören, deſſen Laſten
ſie größtentheils tragen müſſen, während Andere den Vortheil
davon beziehen!" Damit iſt Inhalt und Aufbau der Flug-
ſchrift auf das Genaueſte charakteriſirt. Sie beginnt —
wir ſehen hier ſelbſtverſtändlich von Weidig's Zuſätzen völlig
ab — mit einer kurzen, draſtiſchen Vergleichung zwiſchen
dem Leben der Reichen und der Armen, erſteres "ein langer
Sonntag", letzteres "ein langer Werktag". Dann werden
die Steuern, ſechs Millionen Gulden, detaillirt aufgerechnet
und mit der relativ geringen Zahl der Bewohner, 700,000
Seelen, in wirkſamen Gegenſatz gebracht. Dieſe Steuern
nun erhebe man "für den Staat". Was aber ſei der
"Staat"? Nicht etwa Selbſtzweck, ſondern eine Vereinigung
Aller zu Aller Wohl. Zu Aller Wohl müßten alſo auch
die Steuern verwendet werden, was aber nicht geſchehe.
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[CXV/0131] Weidig vielleicht juſt das Schärfſte geſtrichen haben, gleich- wohl iſt der "Heſſiſche Landbote" ein treuer Spiegel der Geſinnungen ſeines urſprünglichen Verfaſſers und war trotz aller Veränderungen doch einzig jener Tendenz zu dienen geeignet, welche Büchner im Gegenſatz zu Weidig verfolgte. Dieſe Tendenz iſt — wir wollen das bezeichnende Wort nicht miſſen und werden einem naheliegendem Mißverſtändniß ſpäter vorbeugen — eine ſocial-demokratiſche. "Steigt zu den Armen herab, redet zu ihnen in ihrer Sprache von ihren materiellen Intereſſen —" in Ausführung dieſes Ge- dankens iſt das Pamphlet geſchrieben. Noch präciſer drückt ſich Büchner's Abſicht in ſeinen eigenen, von Becker über- lieferten Worten aus: "Man muß den Bauern zeigen und vorrechnen, daß ſie einem Staate angehören, deſſen Laſten ſie größtentheils tragen müſſen, während Andere den Vortheil davon beziehen!" Damit iſt Inhalt und Aufbau der Flug- ſchrift auf das Genaueſte charakteriſirt. Sie beginnt — wir ſehen hier ſelbſtverſtändlich von Weidig's Zuſätzen völlig ab — mit einer kurzen, draſtiſchen Vergleichung zwiſchen dem Leben der Reichen und der Armen, erſteres "ein langer Sonntag", letzteres "ein langer Werktag". Dann werden die Steuern, ſechs Millionen Gulden, detaillirt aufgerechnet und mit der relativ geringen Zahl der Bewohner, 700,000 Seelen, in wirkſamen Gegenſatz gebracht. Dieſe Steuern nun erhebe man "für den Staat". Was aber ſei der "Staat"? Nicht etwa Selbſtzweck, ſondern eine Vereinigung Aller zu Aller Wohl. Zu Aller Wohl müßten alſo auch die Steuern verwendet werden, was aber nicht geſchehe. Der Beweis hiefür wird in der Weiſe erbracht, daß nun h *

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/131>, abgerufen am 21.11.2024.